Entfremdung auf Raten
TV-Karrieren Günther Jauchs Rücktritt vom Talk kam für die ARD nicht
überraschend. Das Verhältnis zwischen dem Star und den Anstalten war schon lange
zerrüttet. Bereits vor einem Jahr drohte Jauch mit der Kündigung seines Vertrags.
Polit-Talker Jauch
Um Günther Jauch zur ARD zu holen,
brauchten die Senderbosse
vier Jahre. Ihn zu ersetzen dauerte
vier Tage.
Um ihn zu holen, schipperten sie gemeinsam
mit Jauch über einen See bei
Potsdam. Sie trafen sich bei Jauchs zu Hause,
um ihn zum Kommen zu überreden.
Sie ließen nicht locker, als er ihnen zwischendrin,
kurz vor Vertragsabschluss, einmal
von der Fahne ging. Sie warben weiter
um ihn, umschmeichelten ihn, und als sie
ihn im Jahr 2011 endlich überredet hatten,
brüsteten sie sich mit ihrem Fang. Hart am
Rande zur Heldenlyrik dichteten die Intendanten,
wie gut der RTL-Star und die
ARD angeblich zusammenpassten. Jauch
sei „der Großmeister der journalistischen
Unterhaltung“, „einer der Besten“, der
Mann, dem selbstverständlich „der Königsplatz“
am Sonntagabend zukomme, weil
er das Erste so sehr schmücke.
Ihn zu ersetzen ging dann prosaischer.
Am Dienstag dieser Woche, Jauchs Ankündigung
seines Rücktritts war vier Tage
alt, schalteten sich die Sendergewaltigen
zu einer Telefonkonferenz zusammen. Die
Stimmung war entspannt wie selten, die
Einigkeit groß wie fast nie. „Von Trauer
über Jauchs Abgang keine Spur“, berichtete
einer aus der Runde später. Ohne
große Gegenrede kürten die Intendanten
Anne Will zur Nachfolgerin, dann legte einer
nach dem anderen auf.
Die Sendung „Günther Jauch“ mag es
noch bis zum Jahresende geben. Mit ihrem
Moderator ist die ARD seit Dienstag durch.
Und er mit ihr.
Günther Jauch hatte seinen Entschluss
schon vor Monaten gefasst. Private Gründe
haben dabei eine wichtige Rolle gespielt,
nicht zuletzt wohl schlicht der Umstand,
dass die Moderation der wöchentlichen
Politrunde ein Zeitfresser ist.
Beruflich aber zog Jauch mit diesem
Schritt auch den Schlussstrich unter seine
Zusammenarbeit mit der ARD, unter ein
Verhältnis, das von dauernden Reibereien
geprägt war. Jauch, der kaum etwas mehr
hasst als Einmischung in seine Arbeit, störten
die ständigen Debatten um die Besetzung
seiner Talkrunde. Es gab Streit um
einzelne Gäste. Es gab den beständigen
Vorwurf, er lade zu wenige Frauen ein. Es
gab seinen ebenso beständigen Konter, er
lade immer nur die Besten ein, und er könne
nichts dafür, dass es meistens Männer
seien.
Um manchen, der auf einem der Talksessel
im Berliner Gasometer Platz nehmen
sollte, gab es zwischen Jauch und dem
Norddeutschen Rundfunk, der die Sendung
innerhalb der ARD betreut, derart heftige
Auseinandersetzungen, dass der Moderator
im April 2014 dem Sender schriftlich eine
Art Abmahnung ins Haus schickte. Darin
beklagte er das fehlende Vertrauen und
drohte, wenn die Einmischung in seine Unabhängigkeit
als Journalist nicht auf höre,
werde er von seinen vertraglich zugesicherten
Rechten Gebrauch machen und den
Vertrag mit der ARD kündigen.
Der einst so Umgarnte sah sich da schon
der dauernden Kontrolle seitens des NDR
ausgesetzt. Genervt hatte er zugelassen,
dass seine Politrunde anlässlich des Hochwassers
an Elbe und Donau 2013 Teil einer
ARD-Spendenaktion wurde. Jauch sei ja
nicht zur ARD gegangen, um Galas à la
„Ein Herz für Kinder“ zu moderieren,
heißt es in seinem Umfeld.
Regelmäßig hatte es Diskussionen um
die Gästeeinladungen gegeben, etwa im
Fall des Anwalts und Ex-ARD-Talkers Michel
Friedman und des AWD-Gründers
Carsten Maschmeyer.
Zur Eskalation kam es, als Jauch eine
Sendung über den Umgang der Presse mit
Prominenten plante und dafür neben der
Managerin von Michael Schumacher, Sabine
Kehm, auch den Medienanwalt Christian
Schertz einladen wollte. Eigentlich
kein Problem; Schertz war mehrfach Talkgast
bei Anne Will, Maybrit Illner oder
Reinhold Beckmann und ist Fachmann für
diese Fragen. Aber Schertz ist zugleich
Jauchs Anwalt.
Der damalige Justiziar
des NDR, Werner Hahn,
stellte sich quer. Er gab intern
zu Protokoll, dass
Moderator und Gast nicht
unbefangen agieren könnten,
wenn sie zugleich Anwalt
und Mandant seien –
zudem in exakt den Fragen,
um die es in der Talkrunde
gehen sollte. Hahn
legte seine Bedenken dem
Intendanten dar. Einen
solchen Gast in dieser
Konstellation einzuladen
verstoße seiner Ansicht
nach gegen den Rundfunkstaatsvertrag.
Jauch, so erinnert man
sich beim NDR, habe sich
„unbelehrbar“ und „uneinsichtig“
gezeigt. Er bot noch an, das Mandantenverhältnis zu
Schertz in der Sendung transparent zu machen.
Aber das änderte aus Sicht des NDR
nichts mehr.
Schließlich zog Jauch seinen Anwalt zurück
– und holte stattdessen einen Juristen,
der früher in der Schertz-Kanzlei gearbeitet
hatte, in die Sendung. Dann schickte
er das Schreiben mit der Androhung seiner
Kündigung an NDR-Intendant Lutz Marmor.
Ein heftiger Schritt, der die Distanz
zwischen Sender und Star beförderte.
Ein gutes Jahr später ist aus der Drohung
Realität geworden – das Resultat einer
Entfremdung auf Raten. Innerhalb der
ARD registrierten sie aufmerksam, wie das
Dauerfeuer der öffentlichen Kritik den
Star mürbemachte. Wie ihn die allwöchentlich
wiederkehrende Kritik an der Sendung
in der montäglichen Schaltkonferenz
der ARD-Chefredakteure nervte. Wie ihn
die mangelnde Unterstützung der ARDGranden
gegen die Kritiker von außen
frustrierte.
Doch sie verstanden einander kaum
noch. Jauchs Talks seien in der Chefredakteursrunde
nicht heftiger angegangen worden
als andere Sendungen, heißt es aus
dem Kreis. Der Star habe auf Kritik nur
deutlich sensibler reagiert als andere. Und
man habe keine eigene „Lex Jauch“ installieren
wollen, um ihn von ARD-interner
Kritik auszunehmen.
Jauch habe sich donnerstags bis sonntags
für die Sendung aufgerieben, habe
aber irgendwann nicht mehr gewusst, warum
er sich das alles eigentlich noch antue,
sagt ein ARD-Mann, der mit Jauch über
die Dinge gesprochen hat. Statt Ruhm und
Ehre habe ihm der Talk bei Licht betrachtet
vor allem Frust und Ärger eingebracht.
Als in Jauchs Sendung zum ersten Mal
das Video gezeigt wurde, in dem der
jet zige griechische Finanzminister Gianis
Varoufakis seinen Stinkefinger gegen
Deutschland richtet, hielten
Jauch und seine Redaktion
das für einen journalistischen
Scoop. Die
Medienkritik zerredete
ihm jedoch den Erfolg,
weil in der Sendung nicht
ganz klar wurde, dass Varoufakis
die Geste vor seiner
Zeit als Minister gemacht
hatte. Und als dann
auch noch ZDF-Satiriker
Jan Böhmermann so tat,
als wäre das Video seine
Erfindung, galt Jauch öffentlich
quasi als journalistischer
Halbtrottel. Für einen
Tag stand der Verdacht
im Raum, Jauch sei
auf einen manipulierten
Film hereingefallen – und
die ARD setzte dem Vorwurf über Stunden kaum etwas entgegen.
Die mangelnde Rückendeckung, so sagen
es Vertraute, habe Jauch frustriert.
Die Entscheidung aber, die ARD zu verlassen,
war zu dem Zeitpunkt wohl längst
gefallen. Die Beziehung war gescheitert.
Ein typischer Fall von enttäuschter Liebe.
Zwei Partner, die sich gegenseitig überschätzt
und über die Schwächen des anderen
hinweggesehen hatten, in der Hoffnung,
diese würden von allein verschwinden,
waren am Ende von genau diesen
Schwächen des jeweils anderen genervt.
Die ständige Einmischung des einen. Die
zu sehr an RTL erinnernde TV-Machart
des anderen. Man hätte es vielleicht noch
ein paar Jahre lang miteinander ausgehalten
– aber am Ende wusste keiner mehr,
warum man es eigentlich tun sollte.
Jauch hatte es offenbar von Anfang an
geahnt, er hatte gewusst, dass die „Gremlins“
in den Gremien und auf den Redaktionsfluren
der ARD ihm, dem Star, das
Leben schwer machen würden. Einmal war
er aus diesem Grund schon vor dem
Sprung zur ARD zurückgeschreckt.
Vielleicht schwante ihm, dass seine Verpflichtung
als Großmeister des politischen
Talks ein Missverständnis war. Die ARD
wollte in einer Person alle Gegensätze versöhnen,
die sie selbst aushalten muss. Zwischen
politischem Anspruch und Unterhaltung,
zwischen Qualität und Quote, zwischen
Beliebtheit und Relevanz.
Am Ende bleibt der Eindruck, dass
Jauch der Star am falschen Platz war. Der
beste Talker wurde er nie. Anne Will ist
politischer. Frank Plasberg fragt bissiger.
Unübertroffen ist jedoch die Strahlkraft
des Namens Günther Jauch. Man habe
sich, sagt einer der Männer, die ihn damals
zur ARD holten, von dieser Strahlkraft
vielleicht ein bisschen blenden lassen.
Auch Jauch selbst verzichtete für die
Sendung auf einiges. Auf Werbeverträge,
auf eine Fernsehbeliebtheit ohne Risiko,
überhaupt auf seine Unbeschwertheit, die
ihn als Unterhalter ausgezeichnet und so
beliebt gemacht hat.
Wie Fernsehen aussieht, das Jauch wirklich
Spaß macht, konnte man im April erleben,
bei der Jubiläumssendung von
„Stern TV“. Zum 25-jährigen Bestehen des
RTL-Magazins begrüßte Moderator Steffen
Hallaschka auch seinen Vorgänger Jauch.
Gemeinsam testeten sie aus Konserven -
dosen und Einweckgläsern Lebensmittel,
die zum Teil so alt waren wie die Sendung.
Jauch versuchte sich mit Turnübungen am
Reck, stolperte im Tierkostüm durch die
Kulissen und spielte mal wieder die Rolle
seines Lebens: den Körperlegastheniker
und linkischen Schlaks. Man könnte auch
sagen: Er war ein intelligenter Clown.
Jauch wirkte so entspannt, als sei er nach
langer Zeit endlich wieder zu Hause.