Familie Tschiep hat geschrieben:Wie kann ein Cellist, der ja nicht unbedingt der Klassikstar ist, so viel Geld besitzen?
z.B., indem er
- in eine reiche Familie geboren wurde
- das Geld geerbt hat
- im Lotto gewonnen hat
usw. usw.
Und jetzt komm mir nicht mit irgendwelchen Argumenten a la "aber der stammt nachweislich nicht aus einer reichen Familie!" - es geht mir mit diesen Beispielen nur darum, aufzuzeigen, dass es diverse Möglichkeiten gibt, wie Jemand mehr Geld besitzen kann, als man es aufgrund seines Berufes erwarten würde. So lange man nichts Genaues weiss, ist das Alles reine Spekulation - gewisse Medien tun aber ihr bestes, durch Suggestivfragen a la "Wie kann ein Cellist so viel Geld besitzen?" naiven Lesern zu suggerieren, dass Putin da mit drin stecken müsse, was nun wirklich völliger Bullshit ist:
Auch wenn der Cellist auf krummen Wegen an das Geld gelangt sein sollte (was ich durchaus für gut möglich, ja sogar für recht wahrscheinlich halte), heisst das ja weiss Gott nicht, dass Putin darin persönlich verwickelt sein muss, nur weil er mit dem Mann evtl. befreundet ist.
Denn man kann ja nun davon ausgehen, dass Putin vielleicht EIN Freund/Bekannter des Cellisten ist - aber Putin ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der einzige Freund/Bekannte, den dieser Cellist hat. Und gerade wenn es stimmen sollte, dass Putin ein guter/enger Freund von ihm ist, so ist dann ja davon auszugehen, dass er durch die Freundschaft zu Putin im Laufe der Jahre Kontakt zu sehr vielen reichen und einflussreichen Personen Russlands bekommen hat.
Es ist natürlich durchaus möglich, dass Putin in irgendeiner Weise persönlich in diese Offshore-Geschäfte des Cellisten verwickelt war, das will ich keineswegs ausschliessen. Aber die Beweis- bzw. Indizienlage dafür ist bislang extrem dünn, um es mal vorsichtig auszudrücken. Und wenn man dann noch bedenkt, dass stolze 400 Journalisten bereits seit einem ganzen Jahr wegen den Panama Papers recherchieren, dann kann davon ausgehen, dass die Journalisten trotz intensiver Recherche partout keine Beweise für eine persönliche Verwicklung Putins in diese Offshore-Geschichte finden konnten, und da in nächster Zukunft diesbezüglich auch nicht mehr viel kommen wird.
Und das ist es eben, was an der ganzen Sachen so übel nach der üblichen Anti-Putin-Propaganda stinkt:
Während die Panama Papers sehr konkrete Beweise für die persönliche Verwicklung von zehntausenden Menschen liefern - darunter alleine ca. einem dutzend aktiven oder ehemaligen Staats- und Regierungschefs! - hat sich die erste Welle der Berichterstattung ausgerechnet und ganz massiv auf Putin konzentriert, obwohl dessen Name in den Panama Papers gar nicht auftaucht, und ein mit Putin mglw. befreundeter Cellist bestenfalls ein leichtes Indiz ist. Das hat mehr als nur ein Geschmäckle, das stinkt.
Und jetzt versucht mir nicht zu erklären, dass ich mir das ja nur einbilde, dass Putin in der Berichterstattung besonders hervorgehoben wurde:
*Mittlerweile* ist Putin in den Artikeln nur noch Nebensache, das stimmt. Aber die erste Welle der Berichterstattung hat sich nun mal ganz massiv auf Putin konzentriert, und zwar interessanterweise in fast allen Ländern. Craig Murray, der ehemalige britische Botschafter, hatte daher völlig recht, als er bereits vor zwei Tagen schrieb:
So kommt es, dass die erste „große Story“, die heute im Guardian im Zusammenhang mit den Panama Papers publiziert wurde, sich ausschließlich um Wladimir Putin und einen betrügerischen Cellospieler dreht. Die Story wird schon korrekt sein und ich habe keine Zweifel dran, dass Putin Dreck am Stecken hat. Aber warum konzentriert man sich derart auf Russland? Die russischen Vermögen sind doch nur ein kleiner Teil des Geldes, das mit Hilfe von Mossack Fonseca versteckt wird. In der Tat sieht es eher danach aus, dass die äußerst selektive Berichterstattung selbst stinkt.
Diese merkwürdige Fokussierung der anfänglichen Berichterstattung auf eine Person, die durch die Panama Papers gar nicht persönlich belastet wird, hat dann ja auch gestern gleich mal reichlich Kritik auf sich gezogen, daraufhin hat sich die Berichterstattung tatsächlich gewandelt.
Familie Tschiep hat geschrieben:Der Cellist ist ja keine Anna Netrebko. Wenn Putin mit ihm schon seit 1977 befreundet ist, muss die Freundschaft schon eng sein.
Es gibt auch Jemanden, mit dem ich seit ca. 1979 befreundet bin. Das war ich aber auch nur ca. 3 Jahre, dann ist er mit seinen Eltern ein paar Orte weiter umgezogen, seitdem hatte ich mit dem so gut wie nichts mehr zu tun, treffe ihn nur alle paar Jahre mal irgendwo. Dass eine Freundschaft vor Jahrzehnten angefangen hat, heisst erst einmal wenig.
Auch dass der Mann ein paar Jahre später, nämlich 1985, nachweislich der Taufpate von Putins Tochter war, beweist im Endeffekt herzlich wenig. Ich selbst bin Trauzeuge (also auf englisch "best man") von Jemandem, den ich bereits seit früher Kindheit kenne. Das heisst nicht, dass ich immer noch besonders eng mit ihm befreundet wäre: Just seit diesem Tag, dem Tag seiner Hochzeit, hatte ich nur noch ein einzige Mal mit ihm zu tun.
Solche kleinen Anekdoten von anno dazumal suggerieren eine vermeintliche enge Freundschaft, obwohl es in der Praxis längst ganz anders aussehen könnte. Es erscheint mit eher erstaunlich, dass die Medien als Belege für die vermeintlich enge Freundschaft eben nur Anekdoten auspacken, die bereits über 30 Jahre alt sind.
Familie Tschiep hat geschrieben:Ich kann die Unterstellung nicht nachvollziehen, dass es nur um Putin geht.
Das habe ich so auch nicht behauptet, falls das auf mein Posting bezogen war. Allerdings habe ich mglw. tatsächlich etwas übertrieben, das mag sein. Was ich meinte ist eben, dass gerade die erste Welle der Berichterstattung in ihrem Fokus auf Putin extrem verzerrt war.
Familie Tschiep hat geschrieben:Es geht auch um Vater Cameron, Freunde von Assad, den isländischen Ministerpräsidenten, den ukrainischen Präsidenten, den argentinischen Präsidenten, Herrn Messi, Herrn Rosberg und weitere Fußballer und ein paar Betrügereien um Pohlmann.
Es behauptet doch auch niemand, dass ausser Putin kein anderer Name genannt wurde. Kritisiert wird, dass die Medien über die meisten dieser Promintenen deutlich weniger berichtet haben als über Putin - und das, obwohl die Panama Papers echte Beweise für persönliche Verantwortung dieser Prominenten liefern, ganz im Gegensatz zu Putin, wo ein befreundeter Cellist bestenfalls ein mögliches Indiz darstellt.
Familie Tschiep hat geschrieben:Ich verstehe diese kritiklose Huldigung von Putin in Deutschland nicht.
Und ich verstehe nicht, wie Leute ernsthaft von "kritikloser Huldigung von Putin in Deutschland" faseln können. Da muss man meiner Meinung nach schon arg ideologisch verblendet sein, um sich das einzubilden. Wer so redet, der glaubt vermutlich auch an russische "Troll-Fabriken", die das deutschsprachige Internet mit Pro-Putin-Propaganda fluten.
Ich habe in den letzten zwei Jahren mehrere Menschen kennengelernt, die sich durch die verstärkte Anti-Russland-Propaganda der letzten Jahre abgestossen fühlten, ihren Unmut darüber öffentlich äusserten und daraufhin absurderweise als "Putin-Fans", "Putin-Pudel", "Putinisten", "bezahlte russische Trolle" etc. diffamiert wurden.
Kein einziger von denen betrachtete sich selbst als Russland- oder gar Putin-Fan - die haben Russland und Putin allesamt durchaus differenziert gesehen, und lediglich die verzerrte, von Heuchelei und Doppelmoral geprägte Medienberichterstattung erkannt und beklagt.