P-Joker hat geschrieben:Ich bin der Ansicht, wenn man für ein solch fundamentales Thema ein Referendum abhält, geht das auf keinen Fall ohne ein Quorum. Hätte es hier eines gegeben bei nur 50,01 % aller Wahlberechtigten als Quorum, dann wären in dem Fall 69,3 % der Wählerstimmen nötig gewesen! Im Normalfall aber sollte ein Quorum ja noch viel höher angesetzt sein!
Sagen wir es mal so: Beim letzten großen Referendum in Deutschland, genauer in Baden-Württemberg zu Stuttgart 21, gab es ein entsprechendes Quorum. Die Leute sind auch zur Wahl gegangen. Aber der Frieden ist nicht eingekehrt - im Gegenteil: Die Gegner des Bahnhofsbaus halten bis heute ihre Mahnwache ab und man kann darüber lachen, wenn sie Montags in der alten Bahnhofshalle alte Klassiker in einer ganz eigenen Bahnhofsversion covern.
Vielleicht kann man über manche der Demonstranten auch sagen, dass sie nicht verlieren können und sicher ist für manche von denen auch der Protest gegen einen Bahnhof und eine korrupte Politik zum Lebensinhalt geworden. Gleichwohl: Bei Stuttgart21 ist in Sachen Bürgerbeteiligung und auch Bürgerinformation so ziemlich alles schiefgelaufen, was nur schiefgehen konnte und so konnten die S21-Gegner solche Massendemonstrationen organisieren, wie sie es am Ende auch gemacht haben. Der Stuttgarter Schloßgarten war teilweise ein richtiges Volksfest und das Wetter war gut und der Sommer war schön.
Allein: Eine Lösung ist bis heute nicht gefunden. Der Volksentscheid sei ein mieser Trick gewesen, der Bahnhof wird trotzdem immer teurer und wenn Du heute versuchst, auch nur kurz mit einem der Gegner zu diskutieren, weht Dir ein Sturm der Entrüstung entgegen. Am Ende steht hinter der S21 Diskussion ein großer Graben - obwohl man so eine intensive Diskussion um eine innerstädtische Angelegenheit in Stuttgart schon lange nicht mehr gesehen hat.
Im Grunde ist bei der Erklärung dessen, was die EU eigentlich ist, in den letzten Jahren auch so ziemlich alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann. Die EU ist in den Augen vieler Bürger ein Bürokratenhaufen, sie ist teuer, verschwenderisch, undemokratisch, diktatorisch. Im Grunde also all das, was die Leave-Bewegung den Leuten aufs Brot geschmiert hat. Sie haben das geerntet, was über Jahre schiefgelaufen ist. Wir sollten also endlich klären, wie wir das Projekt EU in Zukunft erklären. Wie wir das Projekt Europa definieren. Das haben wir xfach in den letzten Jahren fast gebetsmühlenartig gehört. Aber gemacht hats: Keiner. Ne Idee sehe ich auch nicht. Insofern ist die Frage also nicht nur, ob die Briten raus wollen oder nicht.
Und noch mehr: Es stellt sich die dritte Frage, wie man die beiden Positionen in Brittannien wieder zusammenführt, damit eben nicht das passiert, was in Stuttgart passiert ist - und damit sind wir wieder am Anfang: Verbrannte Erde und ein riesiger Vertrauensverlust, der Nährboden von ganz anderen Bewegungen sein kann.