- Fr 4. Mär 2016, 19:09
#1462423
Ich versuche es mal ohne "du guckst doch auch sonst jeden Dreck" Rhethorik:
(manchmal, Theo, habe ich das Gefühl, dass das bei dir eher eine Art Argumentationsmüdigkeit ist, weil ich weiß, dass du das besser kannst)
Den Pilot fand ich jetzt auch gar nicht so überragend, stach aber in einer Hinsicht heraus: er hatte ein für meinen Geschmack ziemlich ideales Pacing. Nicht die Art atemloser Plotpoint-Schleuder, die man inzwischen regelmäßig von den Networks um die Ohren geballert bekommt, und auch kein grenz-zäher Slow Burner Einstieg Marke Netflix. Man hat eine verträgliche Menge an World Building, Charactereinführung und Handlungsmotivation transportiert und den Szenen genug Luft gelassen, um eine Atmosphäre aufzubauen.
Alien-Besatzung gab es schon in einer ganzen Reihe Inkarnationen, aber hier hat man die Einschätzung der Lage erfreulicherweise dem Zuschauer überlassen. Mir wird hier nicht mit dem Holzhammer (und Reden über amerikanische Geschichte) vermittelt, wer die Guten, die Gerechten, die Bösen und die Fehlgeleiteten sind. Alle haben ziemlich nachvollziehbare Argumente für ihr Handeln.
Das wird mit der zweiten und dritten Folge umso spürbarer, wenn man durch eine recht geschickte Rollenplatzierung langsam mehr Einblicke in die Arbeit der Kollaborateure und des Widerstands gewinnt und die ziemlich gleichwertig behandelt werden. Gerade durch Kathy Bakers klasse geschriebene und gespielte Rolle haben die vermeintlichen Schurken ein Gesicht von Rationalität, Big Picture Pragmatismus und glaubhafter Besorgnis um das Wohl der Menschen gewonnen. Die Underdog-Sympathien für die Rebellen werden dagegen durch eine manchmal mehr trotzig wirkende Verweigerung gegen neue Realitäten konterkariert. Es braucht ein paar Folgen bis diese ausgewogen neutrale Sichtweise als Saat für subtiler werdende Charakterzeichnung aufgeht und die Konflikte dadurch immer nuancenreicher werden.
Colony ist tatsächlich keine Show, die versucht, großartig mit Schocker-Twists zu punkten oder große Rebellen gegen Aliens Action aufzufahren. Meine anfängliche Einschätzung hier gerade "Half Life 2 - Die Serie" zu sehen, hat sich nicht bestätigt. Die Sci-fi-Elemente und Technologien bleiben dezent im Hintergrund und sind eher Setting als Plotmittelpunkt. Was sich da herauskristallisiert ist eher ein Konflikt zwischen den Polen "bedingungslose Progressivität mit Risiko des Identitätsverlusts" (jetzt im Sinne von kulturellen Wurzeln und kein Brainwashing oder so) gegen "kompromisslos konservatives Stemmen gegen eine sich zu rasant verändernde Welt". Und damit haben wir im Setup im Grunde eine wunderbaren Katalysator für die Sci-fi-Verarbeitung eines zentralen sozialen Themas unserer Zeit. Und noch deutlich vor Aliens, CGI, Twists und Technikwundern war das doch ursprünglich mal der Kerngedanke des Science Fiction Genres.
Das ganze wird wiederum etwas geerdet dadurch, dass man hier gut (nicht makellos) das Globale ins Private runterdampft und eine Familie in Zwänge, Nöte und manchmal Verzweiflungstaten manövriert, um das gemeinsame Ziel zu verwirklichen, den verlorenen Sohn zurück zu bekommen. Und je mehr auf dieser Mission ihr Einfluss auf beide Seiten der großen Ereignisse wächst, umso mehr steht der Sohn dann auch für den Streit darum, wie man sich mit der neuen Welt arrangiert, um der nächsten Generation nicht bloß verbrannte Erde zu hinterlassen. Zusätzlich streut die Show recht geschickt kleine Fragezeichen auf das Gesamtbild, das sich einem nur Bröckchenweise erschließt, wobei bisher weitestgehend auf typische Augenroll-Momente wie "It is coming, it is coming..."-Todesröchler eines Geheimnisträgers oder ähnlich abgeschmacktem Scheiß verzichtet wird.
Das ist jetzt ein ziemlich hohes Loblied auf eine noch sehr junge Show und ja, manche Einschätzungen treffe ich hier auf Basis von Knospen statt Blüten, aber die Tendenz ist eine sehr positive Überraschung für mich. Bin völlig unbeleckt und mit Nullerwartung reingegangen: keine Trailer gesehen, lediglich mal einen Vierzeiler drüber in einer Upcoming New Shows Listung gelesen, den Pilot eher aus Langeweile drei Wochen nach Premiere gestartet und erst so mit Folge 4 wirklich gehookt worden. Seitdem trifft Colony immer besser die Balance aus Suspense-Thriller und Drama, das weder zu sperrig schwergängig wird, noch zu oberflächlich plakativ bleibt. Und auch die "wie fügt sich alles zusammen" Spekulierfreudigen bekommen nebenbei ein bisschen Futter, ohne dass man hier mit später nie sauber erklärbaren Elementen wie zum Beispiel LOSTs Smokie oder die Zahlenreihe auf die Kacke hauen würde.
Deshalb kann ich aus meiner Sicht nur wärmstens dafür werben, der Serie eine erste oder zweite Chance zu geben - sofern man der Grundthematik überhaupt etwas abgewinnen kann und die Serie nicht daran vorzuverurteilen, woran entfernt ähnlich gestartete Shows mal gescheitert sind.
"And in that moment, I swear we were infinite."