Eindruck nach 3 Folgen:
Rein von der Optik ist es für TV-Verhältnisse spektakulär und sogar noch "cinematischer" als Game of Thrones. Inhaltlich ist es nach 3 gesehenen Folgen aber immer noch ein Mixed Bag. Viele gute Zutaten und eine Welt, die man so noch nie in einer regulären US-Serie gesehen hat, aber die Charakterzeichnung und Dialoge sind weitgehend so schwach, dass es stellenweise richtiggehend öde wird, wenn Kublai Khan (der einzige Charakter, der vom Start weg funktioniert) nicht anwesend ist und weder Action noch Sex im Vordergrund stehen. Ich würde nicht sagen, dass die Serie lieber komplett in die trashige Richtung gehen sollte, wenn sie schon solche Elemente nutzt und im ernsten Part auf ausgetretenen Pfaden wandelt, aber die Figuren würden sich definitiv lebendiger anfühlen, wenn es etwas Raum für gelegentlichen Humor gäbe. Eigentlich alle großen HBO-Dramen und auch die meisten Top-Vertreter von FX oder AMC haben trotz aller Düsternis und Tragik auch Momente der Wärme und Szenen, die witziger sind als die meisten Comedys. Diese Gegensätze lassen die Figuren menschlicher erscheinen und den tragischen Part umso wirkungsvoller werden, als wenn da selbst in Alltagssituationen immer alles bedeutungsschwanger, mit regloser Miene und mit Stock im Arsch vorgetragen wird. Auch ein Grund, dass der lebenshungrige Kublai hier so hervorsticht.
Eindruck nach 7 Folgen
Mittlerweile 7 Folgen von Marco Polo gesehen und auch wenn es wegen der oft unsinnigen Dialoge und der schwachen Charakterzeichnung immer noch weit von der Qualität eines Game of Thrones (oder Boardwalk Empire oder Walking Dead oder Sons of Anarchy oder Mad Men oder sonstigen Top-Favoriten jeglicher Subgenres :lol: ) entfernt ist, hat die Serie seit Folge 4-5 einen deutlichen Sprung gemacht. Seit Folge 5 sind die Phasen der gepflegten und hübsch anzusehenden Langeweile (fast) passe, der mäandernde Plot erhält kontinuierlich mehr Fokus und man beginnt sogar langsam die (Charakter-) Versäumnisse der ersten 4 Folgen zu reparieren.
(Bei Game of Thrones konnte ich nie verstehen, dass manche Zuschauer schon Probleme hatten z.B. Jon Snow und Robb Stark auseinander zu halten, aber hier habe ich tatsächlich erst in Folge 5 gemerkt, dass Kublai (mindestens) 3 Bastardsöhne in seinem Umfeld hat. :lol: Bis dahin waren die einfach nur Hintergrundrauschen ohne jegliche Eigenschaften. )
Staffelfazit: Der positive Eindruck ab Folge 5 hat sich bis zum Ende bestätigt. Viele der anfänglichen Mängel konnten innerhalb dieser Auftaktstaffel zwar nicht mehr korrigiert werden, aber das spürbare Vorwärtsmomentum der Story, einige Twists und ein Minimum an Charakterzeichnung für die wichtigeren Figuren haben diesen ziellos dahinplätschernden und ironiefreien Edel-Langweiler dann doch noch zu einem unterhaltsamen Asia-Epos werden lassen.
Auffällig fand ich allerdings, dass sich die Staffel in der erzählerisch besten Phase plötzlich optisch mit dem Zucker zurückhielt. Von der Mitte der Staffel bis zur finalen Schlacht war kaum noch etwas von der vorher gezeigten Liebe zu weiten Bildern und eindrucksvollen Panoramen zu sehen, die anfänglich über die Inhaltsleere hinwegtröstete. Stattdessen spielte sich fast alles in Kammern und Hallen ab. Das auch solche Bottle-Episoden spannender als Spektakel sein können, zeigen andere Serien immer wieder, aber Marco Polo fehlt es dazu einfach immer noch an faszinierenden Charakteren (Kublai kommt dem wie gesagt am nächsten und einige der anderen Figuren leben später immerhin vom Sympathie bzw. Hasswert).
Staffel 2 findet hoffentlich einen Weg, um das Budget besser aufzuteilen. In den eindrucksvollsten Szenen sieht Marco Polo wie eine 50-100 Mio $ Kinoproduktion aus und setzt neue TV-Maßstäbe, aber über die ganze Staffel gesehen, holt Game of Thrones dann doch deutlich mehr Schauwert aus seinem vergleichbaren Budget.
btw. habe ich mich nach Folge 7 geirrt oder mittlerweile etwas vergessen, weil ein Sohn in den letzten Folgen nicht mehr vorkam? Nachdem ich gestern das Staffelfinale gesehen habe, kann ich mich nämlich nicht mehr erinnern, wie ich auf 3 Bastardsöhne kam. Da wäre einmal der Bastard, der Kublais Kopf will und dann der Bastard, der mit Marco befreundet ist. + sein "echter" Sohn, der auf dem Schlachtfeld verwundet wurde.