AlphaOrange hat geschrieben:
Für mich ist Bingen nix. Vielleicht mal bei Sitcoms, die sehr kurz und sehr gehaltsarm sind (und dann auch nur im Rahmen meines knappen Zeitbudgets), aber gerade bei Serien wie Westworld ist mir Vorfreude, Nachklang und Diskussion viel mehr wert als das Ding an ein bis zwei Tagen durch zu suchten.
Vorfreude und Nachklang gibt es auch beim Sammeln der Staffeln.
Diskussion gibt es ja eh nicht mehr. Im besten Falle eine Häufung von Staffelreviews. Die erste Staffel von Lost, die damals noch der größte Teil montags bei Pro 7 verfolgt hat, war fast schon der einzige Ausreißer, bei dem die Diskussionen und Spekulationen so interessant waren, dass es das Serienerlebnis aufgewertet hat.
btw. Binge setze ich auch nicht nur mit dem klassischen Wegsuchten gleich. Wenn ich meine Dramen "binge", bedeutet das in der Regel, dass ich eine 10 Folgen Staffel in ca. einer Woche schaue. Auf mehr als 1-2 Folgen am Stück habe ich auch selten Lust. Allein schon, weil ich meist spät schaue. :lol: Sobald ich eine Staffel durch habe, will ich dann auch erst mal wieder etwas anderes sehen, selbst wenn es sich um eine Serie handelt, von der sich über die Jahre mehrere Staffeln angesammelt haben.
Wozu brauch ich dann überhaupt noch Serien, da kann ich gleich Filme gucken.
Der Vorteil von Serien besteht für mich vor allem in der Tiefe des Erzähluniversums und den Möglichkeiten bei der Charakterentwicklung, die ein 2 Stunden Film nicht bieten kann. Heutzutage kommt dann noch die oft höhere Klasse in vielen Genres hinzu, weil die Spartensender eine viel spitzere Zielgruppe ohne Zugeständnisse an Kinder bzw. den Mainstream ansprechen können.
Im Endeffekt bleibt es ein Format, das für eine wöchentliche Ausstrahlung konzipiert und produziert wurde. Zu behaupten, dass es besser im Binge-Mode funktioniert stellt implizit in Frage, dass man dieses Ziel irgendwie verfehlt hat.
Es wird von HBO und den linearen Sendern zwar (noch) gewünscht, dass die Serials möglichst zeitnah geschaut werden und es gibt die erwähnten erzählerischen Rahmen, die es möglich machen, sie auch auf diese Weise zu sehen, aber letztlich steht das Gesamtprodukt im Vordergrund. Beim Episodenaufbau werden erzählerisch keine Kompromisse wie bei den Networks (mit Pseudo Serials a la Blacklist) eingegangen und das wäre wohl der einzige Weg, wie jede Folge für sich betrachtet genau so gut funktionieren könnte wie als Zwischenstück inmitten eines größeren Werkes.
Schon bei Klassikern wie The Wire oder Boardwalk Empire waren die ersten Folgen einer Staffel oft sehr langsamer Aufbau (in wöchentlicher Dosis womöglich zäh), der erst zum Staffelende seine Ernte einfuhr. Folge 1-3 direkt separat zu bewerten, ist eine komplett andere Welt als Folge 1-3 als Einleitung einer zwölfteiligen Geschichte zu bewerten. Eben wie bei einem guten Buch und dieser novellistische Ansatz ist doch einer der Hauptgründe, der den Aufstieg der Serie von der Bügelablenkung zum ernstzunehmenden Kunstprodukt ermöglicht hat.
Eine durchgängig erzählte Geschichte, die auf ein klares Ende zusteuert (gerne ja auch Verfilmungen von Büchern), kann man in Kapitel unterteilen, aber unterm Strich wollen wir doch fast alle vor allem eine Geschichte, die von Folge 1 bis zum Ende einen klaren Spannungsbogen fährt und keine Abenteuer der Woche einbaut, nur damit es jede Woche eine Auflösung gibt. Wenn die Summe (Qualität der Staffel) größer als ihre einzelnen Teile (Einzelbewertung der Folgen) ist, würde ich das also nicht als Manko ansehen.
Ob man lieber wöchentlich, jeden Tag 1-2 Folgen oder die komplette Staffel an einem Tag/WE schaut, geht dann in den Bereich der persönlichen Vorliebe, wo es kein richtig oder falsch gibt, aber wenn man die Äußerungen der wöchentlichen Zuschauer nachliest, würden sich bei einer geballten Sichtung viele Kritikpunkte deutlich abschwächen.
Klassiker: Rückblicke oder Charakterfolgen als Filler abkanzeln.
Wenn z.B. in GOT in Folge 3 Tyrion in höchster Todesgefahr schwebt oder in Stranger Things die Jungs und Eleven gerade eine bahnbrechende Entdeckung getätigt haben und Folge 4 dann statt der Auflösung des Cliffhangers plötzlich z.B. eine Rückblickfolge für einen ganz anderen Charakter zeigt bzw. nur den Teenagern und Erwachsenen folgt, würde mich das wahrscheinlich auch frustrieren, insofern mir nicht schon alle Folgen vorliegen. Bei der Auflösung mehrere Wochen (und Folgen von anderen Serien, Real Life Ablenkungen, etc.) später wäre ich emotional auch nicht mehr so in diesen Plot investiert. Vor allem kann ich mich besser auf den Schlenker in Folge 4 einlassen, wenn ich weiß, dass ich die Auflösung des anderen Plots 2 Stunden oder 1 Tag anstatt 2-3 Wochen später sehen kann. Man kann sich zudem stärker in die Atmosphäre der Welt hineinversetzen, wenn man eine Serie geballt schaut, anstatt über 3 Monate zwischen zig anderen Schnippseln.
Wird auch Menschen geben, die einen Kick daraus ziehen, dass sie auf die Folgen warten müssen und sich 2 Monate (oder bei Network Serien 9 Monate) statt 2 Wochen mit der Welt beschäftigen. Nur weil ich nicht überall ein imho oder meines Erachtens hinklatsche, heißt das nicht, dass sie als allgemeingültige Aussagen gedacht sind. :mrgreen: