Familie Tschiep hat geschrieben:Fernsehfohlen hat geschrieben:Vielleicht geht es Erdogan und seinen Schergen auch gar nicht (nur) um das Gedicht an sich, sondern auch darum, die deutsche Spitzenpolitik vor sich her zu treiben und zu demonstrieren, wie erbärmlich sie buckelt, wenn sie wie derzeit ansatzweise abhängig von ihm und seinem Regime ist!? Es ist doch schon seltsam, dass die Heulerei über das "extra 3"-Lied wenige Tage nach dem Flüchtlingsdeal begonnen hat, was ja nun nicht der erste satirische Beitrag über ihn und seine Politik war.
Dann wäre es klug von der Bundesrepublik, Erdogans Bitte nicht zu entsprechen.
Das ist absolut nicht der Sinn dieser Einrichtung, Bitten um Strafverfolgung abzuwehren, weil man Provokation wittert. Es darf einzig und allein um die Frage gehen: Ist die Bitte gerechtfertigt oder nicht. Und das ist imo in diesem Fall nach geltender deutscher Rechtslage relativ eindeutig.
Familie Tschiep hat geschrieben:Und dieses Gesetz, was man herausgekramt hat, sollte man vielleicht auch ändern.
Da kann man drüber nachdenken, aber a) nicht vor einem eventuellen Prozess und b) auch über die weitreichenden Folgen. Es ist ja nicht einmal so, dass hier ein Paragraph gerade zweckentfremdet wird. Wie bei Herr Vorragend beschrieben ist die Intention dieses Paragraphen exakt die nun bestehende Situation: Verhinderung diplomatischer Missstimmungen. An dem Punkt sind wir gerade: es gibt eine offensichtlich beleidigende Äußerung eines deutschen Mitbürgers gegenüber eines ausländischen Staatsoberhaupts, welches - sagen wir es salopp - wenig Humor besitzt und sich daher angegriffen fühlt.
Dann kommt die Frage dazu, was sich denn überhaupt ändern soll? Manchmal hab ich das Gefühl, einige hier haben sich nicht einmal den Inhalt besagten Paragraphens zu Gemüte geführt: Es geht dort explizit um Beleidigung.
Wollen wir Beleidigung legitimieren? Wollen wir ein Grundrecht auf Beleidigung?
Nein? Dann brauchen wir auch diesen Paragraphen nicht ändern, denn dann geht es eher um die Frage, was Beleidigung ist und was nicht. Aber nicht mehr um dieses Gesetz, welches eine Beleidigung voraussetzt, um überhaupt zu greifen.
Auch in der Frage Beleidigung ja/nein bin ich sehr zwiegespalten, ob man es sich so einfach machen sollte, dass ein satirischer Rahmen direkt Satire impliziert. Und ob eine Straftat, die in Satire eingebettet ist, unter Satirefreiheit/Kunstfreiheit/Meinungsfreiheit fällt.
Ohne den Rahmen der Sendung ist das Gedicht eindeutig eine beleidigende Schmähkritik und damit strafbar. Da braucht man denke ich wenig drüber zu diskutieren. Wird es zur unangreifbaren Satire durch den Rahmen drumherum? Welche Straftaten kann ich zu Satire/Kunst erklären, indem ich sie in einen satirischen Rahmen einbette und welche nicht? Wieviel Satire ist nötig, damit das ganze Werk zur Satire wird?
Ich glaube, das sind alles Fragen, sie man nicht mal eben aus dem Handgelenk schütteln sollte, da alle neuen Auslegungen Pro und Contra mit sich führen.
Wenn die Ankündigung von Satire künftig reicht, um Beleidigung straffrei zu machen, dann gewinnen wir an Meinungsfreiheit, geben dazu aber jedem die Gelegenheit, alles und jeden zu beleidigen.
Wenn wir §103 streichen, stärken wir die Grundrechte unserer eigenen Bürger, riskieren aber außenpolitische Probleme und geben vor allem einzelnen Individuen enorme Macht, diplomatische Beziehungen empfindlich zu stören. Und von diesen Individuen gibt es leider mehr als genug.
Lehnen wir ausländische Strafverlangen wegen Beleidigung grundsätzlich ab, wenn es dem betreffenden Staatsoberhaupt offenbar um aktuelle Machtspielchen geht, dann schützen wir das eigene Volk von ausländischer Willkür, schaffen dafür unsere eigene Willkür bei der Strafbarkeitsbewertung.