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von revo
#1315532
Naja, so eine Lubhudelei finde ich oft etwas scheinheilig. Da muss ich Kunstbanause recht geben. Ich sehe auch keinen Grund, mit jemandem anders umzugehen als zuvor. Und zu trauern. Oder ein Bier aufzumachen.
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von baumarktpflanze
#1315537
revo hat geschrieben:Naja, so eine Lubhudelei finde ich oft etwas scheinheilig. Da muss ich Kunstbanause recht geben. Ich sehe auch keinen Grund, mit jemandem anders umzugehen als zuvor. Und zu trauern. Oder ein Bier aufzumachen.
Es geht auch nicht um Lobhudelei.

Aber es ist schlicht unfair nachzutreten, wenn sich jemand nicht mehr wehren kann. Wenn man also keine gute Worte für eine Person finden kann, dann kann man auch schweigen - oder nicht die Person als Arschloch bezeichnen. Die Chance, die Person als Arschloch zu werten, hatte man sicher zu Lebzeiten der Person genug - und dann sollte man es bitte auch mit der Person entsprechend klären.

Dazu kommt: Es ist ein Unterschied, ob Du eine Person als Arschloch bezeichnest oder die Taten, die diese Person gemacht hast, bewertest. Taten einer Person kannst du von mir aus auch im Nachhinein bewerten.
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von Kunstbanause
#1315542
Die Taten der Person fußen doch auf Charakterzügen dieser Person, also SIND die Taten der Person auch die Person selbst. Eine Person, die zu Lebzeiten das Verhalten eines Vollarschlochs an den Tag gelegt hat, IST auch eines. Und wenn eine solche Person beispielsweise die Würde anderer Menschen mit Füßen getreten hat, selbst wenn diese sich nicht wehren konnten bzw. die Mittel dazu nicht hatten, habe ich selbst auch absolut kein Problem damit, auch nach dem Tode der entsprechenden Person verbal nachzutreten. Ich habe kein schlechtes Gewissen dabei. Alles andere ist für mich gesellschaftliche Schönmalerei, verlogenes Brötchenthekengewäsch.
Zuletzt geändert von Kunstbanause am So 8. Dez 2013, 00:58, insgesamt 1-mal geändert.
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von TomR.
#1315544
baumarktpflanze hat geschrieben:Aber es ist schlicht unfair nachzutreten, wenn sich jemand nicht mehr wehren kann. Wenn man also keine gute Worte für eine Person finden kann, dann kann man auch schweigen - oder nicht die Person als Arschloch bezeichnen. Die Chance, die Person als Arschloch zu werten, hatte man sicher zu Lebzeiten der Person genug - und dann sollte man es bitte auch mit der Person entsprechend klären.

Dazu kommt: Es ist ein Unterschied, ob Du eine Person als Arschloch bezeichnest oder die Taten, die diese Person gemacht hast, bewertest. Taten einer Person kannst du von mir aus auch im Nachhinein bewerten.
Das sehe ich auch so. Man kann über jemanden lästern, sie/ihn niederschreiben bis zum Geht nicht mehr, aber wenn jemand gestorben ist, muss damit Schluss sein. Entweder, man empfindet etwas für die dahingeschiedene Person und schreibt seine Kondolenz, oder man hält ganz einfach die Schnauze. Trauernden sollte da die Möglichkeit gegeben werden, ihr Mitgefühl ausdrücken zu können und man muss da absolut nicht mit irgendwelchen Posts querschießen.
Ein bisschen viel Pietät muss schon gewahrt werden, auch wenn es "nur" dieses "Neuland" namens Internet betrifft.
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von revo
#1315545
Ach, Pietät, menschliche Gefühle... manchmal finde ich, Menschen haben einfach viel zu viel Respekt vor dem Tod.

Ich würde auch nicht unterscheiden zwischen dem Menschen und den Taten, das ist Erbsenzählerei.
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von baumarktpflanze
#1315546
Kunstbanause hat geschrieben:Die Taten der Person fußen doch auf Charakterzügen dieser Person, also SIND die Taten der Person auch die Person selbst. Eine Person, die zu Lebzeiten das Verhalten eines Vollarschlochs an den Tag gelegt hat, IST auch eines. Und wenn eine solche Person beispielsweise die Würde anderer Menschen mit Füßen getreten hat, selbst wenn diese sich nicht wehren konnten bzw. die Mittel dazu nicht hatten, habe ich selbst auch absolut kein Problem damit, auch nach dem Tode der entsprechenden Person verbal nachzutreten. Ich habe kein schlechtes Gewissen dabei. Alles andere ist für mich gesellschaftliche Schönmalerei, verlogenes Brötchenthekengewäsch.
Es mag sein, dass bestimmte Taten auch einen Rückschluss auf die Person geben. Sie machen eine Person aber nicht aus und charakterisieren einen Menschen auch nicht vollständig.

Personen können gezwungen sein zu bestimmten Taten.
Personen können bestimmte Taten begehen, ohne dass sie sich bestimmter Konsequenzen bewusst sind.
Personen können vermindert schuldhaft sein.
Personen können auch falsch beschuldigt werden.

Die zweite Frage ist: Was bringt es, außer aus egoistischen Gründen, nach dem Tode eines Menschen nochmal nachzutreten? Macht das die Taten dieser Person besser oder beruhigt es nur das Gewissen? Die Taten der Person und die Person selbst wirst du dadurch nicht mehr ändern.

Die dritte Frage ist: Warum soll man, wenn eine Person die Würde eines anderen Menschen wie auch immer verletzt hat, sich darauf einlassen, das Gleiche im Nachhinein mit der Person auch zu machen? Dafür kann man sich ruhig zu schade sein.
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von Kunstbanause
#1315548
TomR. hat geschrieben:
baumarktpflanze hat geschrieben:Aber es ist schlicht unfair nachzutreten, wenn sich jemand nicht mehr wehren kann. Wenn man also keine gute Worte für eine Person finden kann, dann kann man auch schweigen - oder nicht die Person als Arschloch bezeichnen. Die Chance, die Person als Arschloch zu werten, hatte man sicher zu Lebzeiten der Person genug - und dann sollte man es bitte auch mit der Person entsprechend klären.

Dazu kommt: Es ist ein Unterschied, ob Du eine Person als Arschloch bezeichnest oder die Taten, die diese Person gemacht hast, bewertest. Taten einer Person kannst du von mir aus auch im Nachhinein bewerten.
Das sehe ich auch so. Man kann über jemanden lästern, sie/ihn niederschreiben bis zum Geht nicht mehr, aber wenn jemand gestorben ist, muss damit Schluss sein. Entweder, man empfindet etwas für die dahingeschiedene Person und schreibt seine Kondolenz, oder man hält ganz einfach die Schnauze. Trauernden sollte da die Möglichkeit gegeben werden, ihr Mitgefühl ausdrücken zu können und man muss da absolut nicht mit irgendwelchen Posts querschießen.
Ein bisschen viel Pietät muss schon gewahrt werden, auch wenn es "nur" dieses "Neuland" namens Internet betrifft.
Warum? Wer sagt das? Wer schreibt so etwas vor?

Okay, anders gefragt: Sollen wir über Schicklgruber nun auch nur noch Gutes reden, da man ja bei Toten nicht mehr nachtritt? Gaddafi? Stalin? Hussein? Ceaucescu? Soll ich weiter machen?

Und was das mit dem Internet zu tun haben soll, ist mir ein Rätsel - ich hatte diese Ansicht auch schon lange, bevor ich Internetnutzer war. Im Freundeskreis, im Familienkreis, überall dort, wo das Thema solcher (toter) negativ behafteter Menschen Thema war.

Und @ baumarktpflanze

(sorry, ich geh der Einfachheit halber farbig dazwischen)
baumarktpflanze hat geschrieben:Es mag sein, dass bestimmte Taten auch einen Rückschluss auf die Person geben. Sie machen eine Person aber nicht aus und charakterisieren einen Menschen auch nicht vollständig.

Sicherlich mag das auch mit der Konditionierung und der Formung der Umgebung zusammenhängen, doch hat so etwas für mich immer den fahlen Beigeschmack der Relativierung.

Personen können gezwungen sein zu bestimmten Taten.
Können.
Personen können bestimmte Taten begehen, ohne dass sie sich bestimmter Konsequenzen bewusst sind.
Können.
Personen können vermindert schuldhaft sein.
Können.
Personen können auch falsch beschuldigt werden.
Können.
Ist das nicht alles etwas sehr spekulativ?


Die zweite Frage ist: Was bringt es, außer aus egoistischen Gründen, nach dem Tode eines Menschen nochmal nachzutreten?

Wie kommst du darauf, dass die Gründe egoistischer Natur sind? Ist es nicht bei manchen Menschen einfach so, dass sie ihre Meinung kundtun, ganz egal, ob diese mit oder gegen den Strich geht? Meine Beweggründe, so etwas zu schreiben, sind keinesfalls egoistisch, sondern schlichtweg das Schildern meiner ehrlichen, persönlichen Ansicht. Wenn du hierin irgendwelche egoistischen Absichten zu erkennen meinst, verfügst du aber über eine ziemlich bizarre Phantasie.

Macht das die Taten dieser Person besser oder beruhigt es nur das Gewissen?
Die Taten der Person und die Person selbst wirst du dadurch nicht mehr ändern.

Es wird die Taten in keine Richtung verändern, aber auch nicht meine Meinung von dieser Person. Wieso sollte ich diese nach dem Tode also ändern oder gar begraben? Um des lieben Friedens willen? Hatten wir das Thema mit Silikonlächeln und Gänseblümchenwiese nicht erst?

Die dritte Frage ist: Warum soll man, wenn eine Person die Würde eines anderen Menschen wie auch immer verletzt hat, sich darauf einlassen, das Gleiche im Nachhinein mit der Person auch zu machen? Dafür kann man sich ruhig zu schade sein.

Brrr, das hat jetzt etwas arg Biblisches, von wegen "Gleiches nicht mit Gleichem vergelten" - für mich als Agnostiker und auch Konfessionsloser ist solches Heiligengewäsch eher ein rotes Tuch.
Das Negative desjenigen Menschen bleibt auch nach seinem Tode bestehen, also nehme ich mir auch das Recht heraus, seine Taten, und ja, auch ihn als Menschen noch nach dessen Lebzeiten zu verurteilen, und wenn es sein muss, mit den hasserfülltesten Worten.
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von baumarktpflanze
#1315551
Kunstbanause hat geschrieben: Warum? Wer sagt das? Wer schreibt so etwas vor?
Okay, anders gefragt: Sollen wir über Schicklgruber nun auch nur noch Gutes reden, da man ja bei Toten nicht mehr nachtritt? Gaddafi? Stalin? Hussein? Ceaucescu? Soll ich weiter machen?
Eine Person handelt aber immer aufgrund einer sozialen Rolle, die sie aus bestimmten Gründen einnimmt - weil sie sich beispielsweise für ein Amt bewirbt - oder einnehmen muss - weil sie beispielsweise in eine bestimmte Kaste hineingeboren ist. Jede Person befindet sich aber immer in verschiedenen sozialen Rollen. Dort kann sie gleich handeln, muss es aber nicht.

Du kannst also über die Taten, die eine Person getan hat, richten und sagen, dass das nicht okay war, aber du kannst nicht von einer Tat auf eine Person schließen. Das mag auf den ersten Blick verständlich sein, aber das ist eine unzulässige Generalisierung, weil es im Extremfall bedeuten würde, dass du allein aufgrund einer einzelnen Tat eine ganze Person, die Millionen Taten in ihrem Leben getan hat, richtest.
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von Kunstbanause
#1315553
Und genau das ist das Problem in unserer Gesellschaft - es wird, anstatt den Fokus auf die Hinterbliebenen und die Opfer/zu Schaden Gekommenen zu richten, praktisch immer die Tat und ggf. auch der Mensch hinterfragt - das Warum, das Wieso - und wer daran schuld sein könnte, dass "das tote Arschloch" oder "das noch lebende Arschloch" so geworden ist. Und bei noch lebenden Straftätern wird ja dann, anstatt dass sie für den Rest ihres Lebens hinter Gitter wandern, auch noch daran gearbeitet, diese Personen zu resozialisieren.
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von baumarktpflanze
#1315557
Kunstbanause hat geschrieben:Und genau das ist das Problem in unserer Gesellschaft - es wird, anstatt den Fokus auf die Hinterbliebenen und die Opfer/zu Schaden Gekommenen zu richten, praktisch immer die Tat und ggf. auch der Mensch hinterfragt - das Warum, das Wieso - und wer daran schuld sein könnte, dass "das tote Arschloch" oder "das noch lebende Arschloch" so geworden ist. Und bei noch lebenden Straftätern wird ja dann, anstatt dass sie für den Rest ihres Lebens hinter Gitter wandern, auch noch daran gearbeitet, diese Personen zu resozialisieren.
Man kann gerne einen stärkeren Fokus auf die Hinterbliebenen von Straftaten richten. Da bin ich mit dir d'accord, auch wenn es hier schon eine Menge Initiativen und Einrichtungen gibt. Aber am Ende ist der Angehörige oder Hinterbliebene auf sich alleine gestellt.

Auf der anderen Seite haben wir aber ein Rechtssystem, das versucht, möglichst gerecht und objektiv zu sein. Das funktioniert nicht immer, hält aber am Ende die Gesellschaft durch bestimmte Strukturen zusammen.

Ich kann jeden Angehörigen durchaus verstehen, der sagt, dass ein Straftäter eine höhere Strafe verdient hat. Da spielen eine Menge Erinnerungen, Erfahrungen und Emotionen eine Rolle. Nur kann, egal, wie hoch eine Strafe ist, dies die Tat nicht ungeschehen machen oder einer Schud in irgendeiner Form gerecht werden.

Es gibt insofern eine rechtliche Schuld und rechtliche Bestrafung, die sagt, dass man für eine Tat X eben eine Strafe von Y-Z Tage / Monate / Jahre bekommt. Und auf der anderen Seite eine moralische Schuld, die anderweitig entschuldigt werden muss oder kann oder schlicht auch bleibt.

Nach dem "Absitzen" der rechtlichen Strafe ist ein Täter, egal, was er getan hat, wieder frei und kann dadurch wieder in Freiheit leben. Das befreit ihn nicht von seiner moralischen Schuld, aber gibt ihm die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen. Die Resozialisierung soll dazu dienen, wieder einen Weg in die Freiheit zu finden und hat in diesem Sinne durchaus ihre Berechtigung.
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von Kunstbanause
#1315558
baumarktpflanze hat geschrieben:
Kunstbanause hat geschrieben:Und genau das ist das Problem in unserer Gesellschaft - es wird, anstatt den Fokus auf die Hinterbliebenen und die Opfer/zu Schaden Gekommenen zu richten, praktisch immer die Tat und ggf. auch der Mensch hinterfragt - das Warum, das Wieso - und wer daran schuld sein könnte, dass "das tote Arschloch" oder "das noch lebende Arschloch" so geworden ist. Und bei noch lebenden Straftätern wird ja dann, anstatt dass sie für den Rest ihres Lebens hinter Gitter wandern, auch noch daran gearbeitet, diese Personen zu resozialisieren.
Man kann gerne einen stärkeren Fokus auf die Hinterbliebenen von Straftaten richten. Da bin ich mit dir d'accord, auch wenn es hier schon eine Menge Initiativen und Einrichtungen gibt. Aber am Ende ist der Angehörige oder Hinterbliebene auf sich alleine gestellt.

Auf der anderen Seite haben wir aber ein Rechtssystem, das versucht, möglichst gerecht und objektiv zu sein. Das funktioniert nicht immer, hält aber am Ende die Gesellschaft durch bestimmte Strukturen zusammen.

Ich kann jeden Angehörigen durchaus verstehen, der sagt, dass ein Straftäter eine höhere Strafe verdient hat. Da spielen eine Menge Erinnerungen, Erfahrungen und Emotionen eine Rolle. Nur kann, egal, wie hoch eine Strafe ist, dies die Tat nicht ungeschehen machen oder einer Schud in irgendeiner Form gerecht werden.

Es gibt insofern eine rechtliche Schuld und rechtliche Bestrafung, die sagt, dass man für eine Tat X eben eine Strafe von Y-Z Tage / Monate / Jahre bekommt. Und auf der anderen Seite eine moralische Schuld, die anderweitig entschuldigt werden muss oder kann oder schlicht auch bleibt.

Nach dem "Absitzen" der rechtlichen Strafe ist ein Täter, egal, was er getan hat, wieder frei und kann dadurch wieder in Freiheit leben. Das befreit ihn nicht von seiner moralischen Schuld, aber gibt ihm die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen. Die Resozialisierung soll dazu dienen, wieder einen Weg in die Freiheit zu finden und hat in diesem Sinne durchaus ihre Berechtigung.
Hat es die? Bei jemandem, der das Leben bestimmter Menschen für immer verändert hat, zum Negativen? Oder deren Leben ausgelöscht hat? Für immer? Warum sollte der Straftäter dann nicht auch für den Rest seines Lebens büßen?
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von baumarktpflanze
#1315562
Kunstbanause hat geschrieben:Hat es die? Bei jemandem, der das Leben bestimmter Menschen für immer verändert hat, zum Negativen? Oder deren Leben ausgelöscht hat? Für immer? Warum sollte der Straftäter dann nicht auch für den Rest seines Lebens büßen?
Gerade weil eine bestimmte Tat von vielen verschiedenen Personen mit verschiedenen Augen betrachtet wird, braucht es eine Art objektives Maß, um diese Tat zu bestrafen. Darauf fußt am Ende ja unser Rechtssystem.

Man kann darüber streiten, ob die Höhe der Strafen für Taten angemessen sind oder nicht, aber es gibt eben die rechtliche Einordnung und die sagt, dass man nach einer Tat X eine Strafe Y bekommt und danach rechtlich frei ist.

Was bleibt, ist die moralische Schuld. Die kann dem Straftäter keiner nehmen.


Was die Resozialisierung angeht: Die Resozialisierung ist ja in dem Sinne kein Goodie oder Bonus für den Täter. Sie soll ermöglichen, dass der Täter wieder Fuß im Leben fasst und es schafft, sich ein neues und anderes Leben aufzubauen.

Das funktioniert nicht immer, ja, aber das hat auch mit dem Alltag des Strafgefangenen zu tun: In dem Augenblick, wo ein Strafgefangener in ein Gefängnis kommt, kommt er in eine abgeschottete Welt. Dort gelten eigene Regeln:
  • Die meisten Gefangenen verlieren (dabei) den Bezug zur Realität, weil sie schlicht gar nicht die Möglichkeit haben, dieser Realität zu folgen. Sie haben zwar die Möglichkeit, sich im Fernsehen anzuschauen, wie ein Handy funktioniert, aber können es dadurch lange noch nicht bedienen.
  • Die Gefangenen verlieren ebenso die Beziehung zur Gesellschaft: Kontakte brechen ab, sie leben sich zunehmend im Gefängnis ein und schließen dort Kontakt zu anderen Strafgefangenen.
  • Dazu kommt, dass du im Gefängnis über Jahre hinweg einen mehr oder weniger geregelten Tagesablauf lernst: Du bekommst Essen und Trinken, Du hast vielleicht auch eine Arbeit und Du hast feste Zeiten zum Aufstehen und ins Bett gehen. In der Freiheit hast du das aber nicht. Während du im Gefängnis kein Geld brauchst, ist das in der Freiheit nötig.
Deswegen brauchst du gerade dann, wenn du lange in Strafgefangenschaft gesessen hast, jemanden, der dir die Welt da draussen wieder erklärt. Bewährungshelfer machen nichts anderes:
  • Sie helfen dir, eine Arbeitsstelle zu finden - meist vergeblich, denn wer will schon einen Strafgefangenen einstellen? -,
  • sie versuchen, für dich eine Wohnung zu finden - auch schwierig, denn wer will schon neben einem Schwerverbrecher wohnen -
  • und versuchen dich, wieder ins Leben einzugliedern.
In dem Augenblick, in dem du als Strafgefangener aber gar keine Chance hast, dich wieder in die Gesellschaft einzugliedern, weil die Gesellschaft dich aus moralischer Schuldzuschreibung, Angst, Unwissen oder anderen Gründen nicht akzeptiert, oder / und weil du selbst in der Freiheit niemanden hast, der dir nicht als Bewährungshelfer sondern als Freund hilft, den Absprung zu schaffen, hast du genau zwei Chancen: Dir eine eigene Gesellschaft zu suchen oder durch den Druck der Gesellschaft wieder rückfällig zu werden. Allein schon deshalb, weil du dann im Gefängnis wieder einen geregelten Tagesablauf hast und wieder deine "falschen" Freunde bekommst. So beginnen die üblichen Karrieren, die ehemalige Strafgefangene haben.

Wie gesagt: Resozialisierung funktioniert nicht immer und es ist nicht gut, dass es nicht funktioniert. Auf der anderen Seite ist sie aber gerade bei Gefangenen, die sehr sehr lange im Knast gesessen haben, dringend nötig.
von Commi
#1315598
revo hat geschrieben:Ach, Pietät, menschliche Gefühle... manchmal finde ich, Menschen haben einfach viel zu viel Respekt vor dem Tod.
Und manchmal finde ich, dass du viel zu wenig Empathie zeigst.

Natürlich hast du Recht, dass wir zuviel Respekt vor dem Tod haben. Denn der Tod ist ja im Grunde was Natürliches und jetzt sag ich noch was superkackefades, aber immerhin richtiges: er gehört zum Leben dazu.

Aber nur weil das so ist, heißt das ja nicht, dass man nicht trauern darf, dass man keine Pietät walten lassen sollte. Ich habe nichts dagegen, derbe Witze zu reißen und ich kenne da wenig Tabus. Aber wenn da andere Menschen eine Grenze haben, muss man die akzeptieren und respektieren und nicht noch sagen "Ach, Scheiß auf Gefühle, Scheiß auf Pietät" - das hat dann auch was mit Anstand und Respekt zu tun.

Ich würde zum Beispiel jeden umhauen, der schlecht über Verstorbene redet, die mir nahestanden. Mein Großvater war zu Lebzeiten ein Tyrann - der hat keine Verbrechen begangen, aber er war ein eiskalter Geschäftsmann, zu dem meine Mutter nie ein Verhältnis hatte. Aber es ist aufgeweicht, als er immer älter und kränker wurde, als sein Leben nur noch am seidenen Faden hing. Wir haben ihm in diesen Monaten verziehen. Denn wir hätten es uns alle nicht verzeihen können, hätten wir das nicht gemacht. Wir hätten danach nämlich keine Chance mehr gehabt.

Genauso hab ich keine Chance mehr, jemals wieder mit meinem besten Freund zu reden, der mir auch siebeneinhalb Jahre nach seinem Tod noch immer jeden Tag fehlt. Ich hab keine Chance mehr, mit ihm meine Höhen zu teilen, ich hab keine Chance mehr, mich bei ihm auszuweinen. Ich sehe ihn nie mehr wieder, höre nie mehr sein Lachen und es macht mich traurig, dass jeden Tag mein Bild von ihm ein kleines Stück weiter verblasst. Aber ich behalte ihn in meinen Erinnerungen in so vielen Dingen, die ich tue, höre, sehe.
Und wenn mir angesichts dessen jemand sagt, dass er auf Gefühle und Pietät scheißt, macht mich das einfach unfassbar sauer.

Was die Resozialisierung von Straftätern angeht, so gebe ich der baumarktpflanze eindeutig recht.
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von Kunstbanause
#1315650
Na ja, es kommt immer auf den Menschen an, um den es sich handelt.

Meine Großmutter mütterlicherseits war zu Lebzeiten ein bösartiges Biest, und das war sie auch noch kurz vor ihrem Tode. Sie hat mit ihrer Herrschsüchtigkeit ihr komplettes Umfeld zur Verzweiflung gebracht und ließ kaum ein gutes Haar an irgendjemandem. Nur als sie merkte, dass es mit ihr zuende ging, war sie der Meinung, auf einmal lammfromm werden zu müssen - allerdings ohne Worte der Entschuldigung oder dergleichen. Als sie merkte, dass sich nicht nur alle von ihr abgewandt haben, hat sie versucht, sich noch an den Strohhalm zu klammern. Ich habe sie nicht mehr im Krankenhaus besucht, ich ging nicht auf ihre Beerdigung, ich habe offen und ehrlich ausgesprochen, dass ich froh bin, dass dieses böse Weib unter der Erde ist und dass der Terror endlich ein Ende hat. Ich konnte ihr nie verzeihen und hatte auch keinen Grund dazu. Warum auch? Sie war ein durch und durch negativer Mensch, ich habe sie verachtet und verachte sie auch heute noch. Sie hatte keinerlei Respekt verdient, und wieso sollte ich ihr den noch zeigen, "nur weil" sie tot ist?

Ja, in solchen Fällen existiert für mich so etwas wie Pietät nicht. Nicht jeder im Familienkreis konnte das nachvollziehen und fand das gut, hat es aber verstanden. Denn die ausbleibende Beklemmung, die in ihrer Gegenwart ständig präsent war, war weg. Jeder hatte darunter zu leiden. Jeder.

Vielleicht sind meine Ansichten diesbezüglich etwas radikal, aber ich bin auch nicht unbedingt jemand, der mit jeder ungeschriebenen Gesellschaftsnorm konform geht.

Menschen wie dein guter verstorbener Freund sind doch, so denk ich mal, ein ganz anderes Kapitel. Ich gehe doch mal davon aus, dass das ein guter Mensch war, oder?

Bezüglich der Resozialisierung werden wir wohl kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
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von baumarktpflanze
#1315685
Commi hat geschrieben:Mein Großvater war zu Lebzeiten ein Tyrann - der hat keine Verbrechen begangen, aber er war ein eiskalter Geschäftsmann, zu dem meine Mutter nie ein Verhältnis hatte. Aber es ist aufgeweicht, als er immer älter und kränker wurde, als sein Leben nur noch am seidenen Faden hing. Wir haben ihm in diesen Monaten verziehen. Denn wir hätten es uns alle nicht verzeihen können, hätten wir das nicht gemacht. Wir hätten danach nämlich keine Chance mehr gehabt.
Wenn man mit Menschen redet, die in Altersheimen und insbesondere in Sterbehospizen arbeiten, erzhlen die das auch. Im Zuge der eigenen Endlichkeit bewerten Menschen ihr Leben und ihre Taten nochmal aus einem ganz anderen Licht und versuchen so, ihren Frieden damit zu machen. Und so finden dann in Sterbehospizen Familienzusammenführungen statt, die es zu gesunden Lebzeiten in Familien nie gegeben hätte.

Vielleicht, weil es die letzte Chance ist, auch für sich selbst, mit den Taten, die ein anderer getan hat, abzuschließen. Nochmal zu reden. Seine Gefühle in einer Offenheit zu offenbaren, wie es sonst einfach nicht möglich ist.

Vielleicht, weil mit etwas abschließen zum Leben dazugehört. Man muss jemanden nicht verzeihen oder vergeben, aber man sollte die Vergangenheit und das, was in der Vergangenheit passiert ist, irgendwann auf sich beruhen lassen, damit man offen ist für neue Menschen und neue Situationen.
Commi hat geschrieben:Genauso hab ich keine Chance mehr, jemals wieder mit meinem besten Freund zu reden, der mir auch siebeneinhalb Jahre nach seinem Tod noch immer jeden Tag fehlt. Ich hab keine Chance mehr, mit ihm meine Höhen zu teilen, ich hab keine Chance mehr, mich bei ihm auszuweinen. Ich sehe ihn nie mehr wieder, höre nie mehr sein Lachen und es macht mich traurig, dass jeden Tag mein Bild von ihm ein kleines Stück weiter verblasst. Aber ich behalte ihn in meinen Erinnerungen in so vielen Dingen, die ich tue, höre, sehe.
Wow! Das ist sehr sehr beeindruckend!
_____________________
Kunstbanause hat geschrieben:Bezüglich der Resozialisierung werden wir wohl kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
Das respektiere ich.

Aber: Nachdem ich nun meine Gründe für eine Resozialisierung ausführlich dargelegt habe, wäre es schön, auch deine zu erfahren, die scheinbar eine Resozialisierung ablehnen.
Was spricht für Dich denn gegen eine Resozialisierung?
Was ist für Dich die Alternative?
Zuletzt geändert von baumarktpflanze am So 8. Dez 2013, 14:29, insgesamt 1-mal geändert.
von Commi
#1315686
Kunstbanause hat geschrieben:
Menschen wie dein guter verstorbener Freund sind doch, so denk ich mal, ein ganz anderes Kapitel. Ich gehe doch mal davon aus, dass das ein guter Mensch war, oder?
Sonst wär ich nicht mit ihm befreundet gewesen. :)
Ich wüsste aber tatsächlich nicht, wieso man da einen Unterschied machen sollte - auch wenn ich deinen Standpunkt durchaus verstehen kann, was deine Omma anging. Ich persönlich könnte nur nie so sein. So sehr hass ich niemanden, dass ich ihm den Tod wünsche oder über seinen Tod ernsthaft froh wäre.

Mich nervt halt einfach nur - um wieder die Brücke zum Thread zu schlagen - wenn Leute generell auf Gefühle und Pietät beim Thema Tod scheißen. Aber das machen die auch nur so lange, bis sie selbst einen geliebten Menschen verlieren.
Kunstbanause hat geschrieben:Bezüglich der Resozialisierung werden wir wohl kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
Müssen wir auch nicht. Diskussionen leben davon, dass daran Beteiligte unterschiedliche Ansichten haben.
Mein Standpunkt ist jedenfalls: resozialisieren, wo es geht. Wer seine Strafe verbüßt hat und den Weg der inneren Umkehr beschreitet, hat es verdient, ein neues Leben beginnen zu dürfen. Das nimmt ihm, wie der Obi-Baum schon sagte, nicht die moralische Schuld. Aber wer ehrlich Fehler bereut, würde von mir immer wieder Chancen kriegen.

Ich machte auch schon schwere Fehler und büßte dafür - und bin froh, dass man mir auch die Chance gab, mich neu zu beweisen.
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von baumarktpflanze
#1315688
Commi hat geschrieben:Das nimmt ihm, wie der Obi-Baum schon sagte, nicht die moralische Schuld.
Aha. Ich bin nur eine gewöhnliche Pflanze. :cry:
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von Kunstbanause
#1315689
Du zeigst eben das, was essentiell dafür ist, dass andere dir verzeihen können: Einsicht. Stehst zu deinen Fehlern. Bist um Frieden bemüht. Vielen fehlen diese Eigenschaften.
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von Atum4
#1315715
Ich bekomme einfach mein ProxTube nicht mehr zum laufen... :evil:
YouTube ist somit für mich am Ar****


Scheiße
Synonyme Isso (auf jeden fall) - Bedeutung, gleichbedeutende Wörter
auf jeden fall, Ist so, So ist es,
von Commi
#1315728
baumarktpflanze hat geschrieben:
Commi hat geschrieben:Das nimmt ihm, wie der Obi-Baum schon sagte, nicht die moralische Schuld.
Aha. Ich bin nur eine gewöhnliche Pflanze. :cry:
Ich könnte dich auch toom-Farn nennen.
von Waterboy
#1315730
Atum4 hat geschrieben:Ich bekomme einfach mein ProxTube nicht mehr zum laufen... :evil:
YouTube ist somit für mich am Ar****

,
ich hab in letzter Zeit auch das Problem, das viele Musikvideos durch Prox zwar entsperrt werden, dann aber nur ein paar Sekunden laden und dann alles abbricht :( :(

bin jetzt auf vimeo.com ausgewichen, hab da sogar bisher alle Musikvideos die ich suchte gefunden
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von Kunstbanause
#1315735
Commi hat geschrieben:
baumarktpflanze hat geschrieben:
Commi hat geschrieben:Das nimmt ihm, wie der Obi-Baum schon sagte, nicht die moralische Schuld.
Aha. Ich bin nur eine gewöhnliche Pflanze. :cry:
Ich könnte dich auch toom-Farn nennen.
Hornbach-Bonsai oder Praktiker-Kaktus?
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von baumarktpflanze
#1315752
Kunstbanause hat geschrieben:
Commi hat geschrieben:
baumarktpflanze hat geschrieben:
Commi hat geschrieben:Das nimmt ihm, wie der Obi-Baum schon sagte, nicht die moralische Schuld.
Aha. Ich bin nur eine gewöhnliche Pflanze. :cry:
Ich könnte dich auch toom-Farn nennen.
Hornbach-Bonsai oder Praktiker-Kaktus?
Aber ich bin doch eine Edelzüchtung :cry:
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