Herr Vorragend hat geschrieben:Ja, natürlich hat sich durch die jüngste massive Flüchtlingswelle und das zugehörige Chaos/die Überlastung der Einsatzkräfte etc. streng genommen zumindest minimal die Gefahr erhöht, dass Islamisten/Terroristen als Flüchtlinge getarnt nach Europa einreisen und dann z.B. Terroranschläge durchführen. Wer nach Europa einreisen will, für den besteht durch das Chaos und den Umstand, dass viele Staaten die Flüchtlinge momentan ohne Registrierung durchreisen lassen, momentan nun mal die beste Chance seit Langem. Dass dann unter den Millionen Menschen hier und da dann eben auch mal einer ist, der keine so guten Absichten verfolgt, ist ja klar.
[...]
Ich würde allerdings auch vermuten, dass sich durch die Flüchtlingswelle die Gefahr terroristischer Anschläge zumindest bisher tatsächlich nur moderat erhöht hat. Statistisch gesehen dürfte eine viel grössere Gefahr von einheimischen Attentätern ausgehen, die bereits seit Längerem im Land leben und die sich von der Mehrheitsgesellschaft nicht respektiert/geschätzt fühlen, weil man ihnen immer wieder das Gefühl gibt, minderwertig/unerwünscht zu sein und sie zu Aussenseitern macht.
Sehr schön geschrieben, das entspricht quasi 1:1 auch meiner Meinung.
In ein paar Jahren, wenn viele der mit grossen Hoffnungen nach Europa Geflüchteten merken, dass sich ihre Hoffnungen nicht erfüllen und die Verbitterung zunimmt - da dürfte die Gefahr durch die jetzigen Flüchtlinge ein gutes Stück zunehmen.
Und auch das halte ich für eine sehr realistische Einschätzung, die sicher mit einer gewissen Sorge in die Zukunft blicken lässt. Genau diese zunehmende Frustration der Flüchtlinge gegenüber ihrem Aufnahmeland muss eigentlich verhindert werden - ich glaube nur nicht, dass es verhindert werden kann bei der akutellen "kommt alle erstmal rein, wir weisen niemanden ab"-Politik.
Ich hab schon oft in den letzten Wochen gehört, dass wir aus den Verfehlungen der Gastarbeiter-Politik lernen müssten. Damals kamen so weit ichs noch im Kopf hatte innerhalb von rund 15 Jahren etwa drei bis vier Millionen Menschen nach Deutschland, jetzt haben wir mal eben eine Million - innerhalb eines Jahres. Wir werden in der zweiten Jahreshälfte bei etwa 600.000 bis 800.000 liegen. Und NICHTS spricht derzeit dafür, dass dieser Strom in absehbarer Zukunft abreißen wird. Insofern verstehe ich es in Anbetracht der derzeitigen Lage nicht mehr nachvollziehen, wenn ein vernunftbegabter Mensch einerseits sagt, man müsse aus früheren Verfehlungen bei der Integration lernen und andererseits immer noch an der Politik der offenen Grenzen festhält. Klar, damals dachten wir, die Leute hauen wieder ab und heute wissen wir, dass es eine große Zahl nicht tun wird, aber von dieser Weisheit ist noch kein Sprachkurs, kein Integrationsprogramm, keine Wohnung, keine Schulstunde, kein Platz an irgendeiner Uni (die übrigens in vielen Bereichen jetzt schon überquirlen - ihr müsst euch das Affentheater am Anfang eines Semesters mal geben, wenn 90 Studenten in nem Raum für 40 Studenten sitzen... ist auf eine höchst traurige Art schon witzig und es wird zumindest im Wintersemester auch von Jahr zu Jahr witziger) bezahlt.
Was das alles für mich heißt? Dass nicht über Jahre hinweg Millionen von Flüchtlingen aufgenommen werden können, wenn man sie wirklich integrieren möchte. Wir können sie natürlich weiterhin in Massenunterkünfte stecken (Möglichkeit 1), die von Woche zu Woche unmenschlichere Bedingungen aufweisen werden, aber das hat nichts mit Integration zu tun. Oder wir können - zumindest glaube ich das - uns so langsam mal ernsthaft die Frage stellen, ob wir nicht doch versuchen müssen, uns von der Idee der offenen Grenzen zu verabschieden (Möglichkeit 2). Und ja, ich fürchte, dass es dauerhaft auch heißen wird, Zäune zu bauen, im höchsten Maße Schutzbedürftige abzuweisen und uns von der Idee des offenen Europas ein Stück weit zu verabschieden.
Aus meiner Sicht gibt es in erster Linie diese beiden Richtungen, nach denen man handeln kann. Die Idee, noch etliche weitere Monate Hunderttausende ins Land zu lassen und sich zu erhoffen, dass sie sich irgendwie integrieren werden - nein, überhaupt die Möglichkeit bekommen, sich integrieren zu KÖNNEN, denn ich glaube, dass der Wille bei 80-90% der Geflüchteten durchaus vorhanden ist - halte ich zunehmend für Fantasterei. Der deutschen Bevölkerung tut man damit keinen Gefallen, aber vor allem tut man damit auch denen keinen Gefallen, die schon hierhin geflüchtet sind und von Woche zu Woche frustrierter werden, weil sie sehen, wie viele Steine ihnen bei ihrem Integrationsbestreben in den Weg gelegt werden. Und diese aufkeimende Frustration ist meines Erachtens der Nährboden für eine Radikalisierung, weil die Ausweglosigkeit zunimmt.
Die zweite Möglichkeit erfordert ein Denken, das ich selbst bis vor einem guten halben Jahr noch dem rechtspopulistischen Milieu zugeordnet und als abscheulich bezeichnet hätte. Mich widert dieser Gedanke auch noch immer unverändert an, wenn ich mir vorstelle, wie wir Zäune an der Grenze bauen, verzweifelte Menschen abweisen und das Chaos auf der Balkanroute weiter verschärfen. Wir würden damit eine wirklich schreckliche Politik des "wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" fahren, wir würden eventuell Gewalt gegen Unschuldige anwenden müssen, um sie abzuhalten, wir würden den gesamten europäischen Gedanken aufs Spiel setzen. Ach, da sind noch so viele Dinge, die mir als Gegenargumente einfallen. Und dennoch möchte ich betonen, dass die Situation immer mehr Anreize setzt, auch darüber nachzudenken. Die Entwicklung geht gesamteuropäisch immer mehr in diese Richtung und wenn man sich wirklich mal pragmatisch und zukunftsorientiert mit den Entwicklungen auseinandersetzt, muss man sich vielleicht auch hierhin öffnen.
Dann könnte man auch human mit den Menschen umgehen, die jetzt schon versuchen, sich in Deutschland eine neue Heimat aufzubauen, müsste ihnen nicht den Familiennachzug verweigern, ihnen finanzielle Hilfen verweigern, ein Land nach dem anderen zum "sicheren Herkunftsstaat" hinheucheln und was da nicht alles im Gespräch ist, um ihnen täglich zu signalisieren, dass sie hier nicht willkommen sind.
Vielleicht ist meine Überlegung auch falsch, scheitert an der Realität (was ich allerdings auch ein Stück weit für eine Floskel dafür halte, einfach gar nichts zu tun und dem Treiben weiter zuzuschauen), ist unmenschlich (wobei ich das selbst einsehe), aber in meinem Kopf macht es schon einen gewissen Sinn, nach außen mehr auf Abschottung zu setzen, um den bereits aufgenommenen Flüchtlingen hier eine Perspektive zu bieten. Das derzeitige Handeln unserer Politik wird den Zustrom nur weiter forcieren und ein Heer an Enttäuschten und Frustrierten hinterlassen, die sich ein Leben in Wohlstand und Frieden erhofft hatten und sich Deutschland als Wiege des Glücks vorstellen - was in Anbetracht ihrer Situation nur allzu verständlich ist.
Und wenn man sich die Realität dieser Welt seit Jahrzehnten anschaut, scheitert auch das beliebte "Flüchtlingsursachen bekämpfen an der Realität. Alleine in Syrien wird es Jahre dauern, wieder Stabilität in das Land zu bekommen, wenn es überhaupt gelingt. Irak und Afghanistan sind nun seit mindestens einem Jahrzehnt immer wieder Konfliktherde, in Afrika haben wir Libyen, Eritrea, Sudan etc. pp., in Asien gibt es auch diverse Konfliktherde jenseits des Nahen Ostens, wo mir grad auch noch Palästina als Brennpunkt einfällt. Die wollen doch auch alle nach Europa. :?
Wir erleben derzeit einen dramatischen Rechtsruck in weiten Teilen Europas und ich sehe die große Gefahr, dass er auch Deutschland erreichen wird. Der Bundesregierung würde ich das Versäumnis unterstellen, auf das "Wir schaffen das!" ein klares Konzept folgen zu lassen, WIE das zu schaffen sein soll - oder eben auf solche Phrasen zu verzichten, wenn man selbst nicht weiß, ob und wie die Krise zu bewältigen ist. Ich finde es schon erschreckend, dass ich offenbar ein besseres Näschen für das Umschlagen der Stimmung nach der Anfangseuphorie hatte. :?
So, ja. Ich hab viel geschrieben und kann mir sehr gut vorstellen, dass hier der Eine oder Andere mit dem Kopf schütteln wird. Schön ist das alles nicht, womit wir uns derzeit auseinandersetzen müssen und wie uns von Tag zu Tag mehr vor Augen geführt wird, wie fragil unser Schlaraffenland Europa ist.
bmwtop12 hat geschrieben:Noch was: Ich habe jetzt ein noch mieseres Gefühl, wenn mir Ausländer entgegen kommen. Das ist eigentlich Angst. Was führt der im Schilde? Sympathisiert der mit den Anschlägen und feiert sie? Das ist mir - gerade in einer Großstadt - unangenehm. Dieses Ziel haben die Attentäter also schon erreicht, zumindest bei mir.
So sehr ich mich in der Flüchtlingsfrage auch nach rechts bewege, so bescheuert finde ich diese Geisteshaltung. Aus rein pragmatischen Gründen, weil ich denke, dass eine solche ablehnende Haltung bei Menschen anderer Herkunft Radikalisierungsanreize schafft, wenn sie merken, dass sie nur ihrer Herkunft oder Hautfarbe wegen ausgegrenzt werden. Aber auch, weil gerade die Rekrutierungsarbeit des IS auch bei Europäern gewisse Früchte trägt und man ja mehr als einmal von Konvertiten gehört haben, die sich dem radikalen Islamismus anschließen, obwohl sie Europäer sind. Und darüber hinaus, weil ich generalisierte Angst gegenüber Fremden schlichtweg für dumm halte.
Leider hat es der Terrorismus geschafft, dass der Islam immer stärker als Bedrohung wahrgenommen wird und - noch schlimmer - der Moslem und - noch viel schlimmer - der "arabisch ausschauende Mensch".
Fohlen