- Di 11. Nov 2008, 22:41
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Ein Umzug von Sat.1 nach München ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht absolut gerechtfertig. Die Entscheidung liegt nahe und das tat sie bereits, als N24 aus dem Hause der ProSiebenSat.1 Media AG am Berliner Hausvogteiplatz ausgegliedert wurde und an den Potsdamer Platz umgezogen ist. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gab es aus rechnerischer Sicht keinen Grund mehr dafür, Sat.1 in Berlin lassen zu wollen. Warum auch? Die dort ansässigen Redaktionen produzieren keine Nachrichten, die von der Nähe zur Politik und zu den wichtigsten Organisationen profitieren könnten. Im Wesentlichen wird hier das semiaktuelle Boulevard-Trash-Magazin "Sat.1 Das Magazin" produziert und sitzen hier die Unterhaltungs- und Spielfilmredaktion. Unterhaltungssendungen kann man genauso gut in Buxtehude von RTL kopieren - und Drehbücher für mittelprächtige Eigenproduktionen kann man notfalls auch in Polen lesen und zur Produktion freigeben. Oder eben in Unterföhring. Das spart nicht nur sehr viel Miete für einen Prachtbau mitten in der deutschen Hauptstadt, sondern fördert auch Synergien mit dem Rest der Gruppe und sorgt am Ende vielleicht dafür, dass der eine oder andere eben nicht mitgehen will und man sich so ein bisschen schlanker macht. Soweit die Denke von McKinsey's Jungs, die man als Durchschnittsabsolvent eines Betriebswirtschaftsstudiums an einer zweitklassigen Uni durchaus nachvollziehen kann.
Leider unterschlägt diese Argumentation einen entscheidenen Faktor: Die Tatsache, dass Sat.1 wie jedes Medienunternehmen maßgeblich von Kreativität lebt - Kreativität, die von Mitarbeitern produziert wird. So abgehoben das der VW-Fließbandarbeiter finden mag, aber beim Fernsehen werden nunmal keine Nieten in Bleche gestanzt, sondern werden Inhalte produziert. Was für klassische Industrieunternehmen nur eine Floskel ist, gilt für Sat.1 im besonderen und die Kreativbranche im Allgemeinen umso mehr: Das Kapital sind die Mitarbeiter. Und weil die Manager von Google, eBay, Microsoft und Co. das verstanden haben, geizen eben diese Unternehmen nicht mit umfangreichen Leistungen für ihre Mitarbeiter und sind stets bemüht, ein grandioses Flair und optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen. Profis nennen das Unternehmenskultur. Die ist kein Träumerunsinn, sondern betriebswirtschaftlich begründet. Wenn Sie, lieber Herr de Posch, sich die Bilanzen der vorgenannten Unternehmen anschauen, wissen Sie, wovon ich rede. Manch ein Harvard-Professor setzt dem sogar noch einen drauf und behauptet sinngemäß: "Wenn Sie einem Mitarbeiter 16 Dollar die Stunde zahlen müssten, geben Sie ihm 18. Denn jeden Dollar, den Sie ihm zu wenig bezahlen, zahlt er Ihnen doppelt und dreifach heim. Und das kostet Sie dann mehr als 2 Dollar." Bedauerlicherweise beschäftigt sich Sat.1 schon längst nicht mehr mit Unternehmenskultur. Und ganz allein das erklärt die grauenhaften Quoten und die furchtbaren Bilanzen. Insider wissen: Die Mitarbeiter sind frustriert, unmotiviert, unterbezahlt und haben quasi keine Perspektiven. Und die wenigen Gutbezahlten ruhen sich längst auf den Sozialplänen aus und haben jegliche Lust auf das Medium verloren, wenn sie sie überhaupt jemals besessen haben. Powered by emotion ist anders. Hinzu kommt eine geradezu abstruse Personalpolitik, bei der die zweite Reihe aus der Branche abgeworben oder krampfhaft gehalten wird - weil sie eben billig ist. Ein Zustand, der Armutszeugnis für Vorstand, Geldgeber und McKinsey - immerhin der führende Wirtschaftsberater - ist. Dabei kann man all jenen noch nicht einmal etwas vorwerfen - woher soll Heuschrecke KKR Permira es auch besser wissen, wenn man sonst nur in klassische Industrien investiert. Dabei ist die Lösung eigentlich ganz einfach: Einen Schlußstrich ziehen und Geld ausgeben. Richtig, Geld ausgeben. Ein neues Haus in Berlin in einem lebenswerten Umfeld, in der es Kreative aushalten, die konsequente Einführung einer Unternehmenskultur, in der sich alle wohlfühlen und das Akquirieren der ersten Liga der Fernsehbranche - das wäre ein guter Anfang. Um wieder ein Programm zu machen, das einzigartig ist, das sich abhebt, das kreativ ist - erfolgreich eben. Leider werden diese Worte genauso verhallen wie die verzweifelten Rufe der Mitarbeiter, die aus nachvollziehbaren Gründen nicht in Container auf einem Feld in Süddeutschland ziehen möchten. Weil die Führung leider nicht den notwendigen Blick für eine Branche mit den ganz besonderen Rahmenbedingungen hat. Und daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Die Prophezeiung: Sat.1 wird endgültig als drittklassiger Konservensender in den Markt eingehen.
Liebe Sat.1-Mitarbeiter, ich würde Euch gern die Daumen drücken, wenn ich darin einen Sinn sehen würde. Viel lieber möchte ich Euch ermutigen, in dem Umzug eine Chance zu sehen - die Chance für einen Neuanfang. Kassiert die Abfindungen und habt keine Angst vor Neuem. So schwer das nachzuvollziehen ist für jemanden, der feste Verpflichtungen hat und schon lange dabei ist: Es gibt noch mehr da draußen als Sat.1 - tolles, lohnenswertes, etwas, von dem man genauso gut leben kann, nur eben mit mehr Freude. Fragt die Kollegen, die in den letzten Wochen und Monaten gehen mussten oder es freiwillig taten - ich bin sicher, keiner ist heute mehr traurig über seinen Weggang. Sich jeden Tag ärgern müssen, wissen, dass man geduldet aber nicht erwünscht ist und ein Programm produzieren, das nun wirklich überhaupt keine Relevanz mehr hat - daran könnt Ihr nicht ernsthaft festhalten wollen. Und selbst, wenn Sat.1 nun doch in Berlin bleiben sollte, an diesem Zustand wird sich nichts ändern. Also: Freut Euch und nutzt die Gunst der Stunde!