Holzklotz hat geschrieben:Tanja Timanfaya hat geschrieben:Ich weiß nicht, was ich von dem Anschlag halten soll. Einerseits natürlich schockierend und heftig, andererseits irgendwie auch eine natürlich überzogene Art der Gegenwehr, nachdem nichts fruchtete und die Satire mehrfach deutlich zu heftig war. Vor allem hab ich aber grad Angst davor, was die Politik sich da jetzt zur angeblichen Terrorabwehr einfallen lässt
Liegt nicht genau hier der Fehler deiner Betrachtungsweise, der Widerspruch. Ich hab vorallem Angst vor Leuten mit einer solchen Denkweise, gar nicht davon zu sprechen, Versuche zu unternehmen die Anschläge in irgendeiner Weise zu relativieren.
Erst einmal glaube ich nicht, dass hier irgendjemand die Anschläge in irgendeiner Weise relativieren möchte, auch nicht Tanja. Ich finde aber, dass es durchaus erlaubt ist, sich über die Frage Gedanken zu machen, was Satire oder grundsätzlich die Kunst darf oder auch nicht darf: Wo sind die Grenzen der Satire? Wo sind die Grenzen der Kunst? Und diese Frage ist wahnsinnig schwer zu beantworten.
Man kann ja beispielsweise sagen, dass Satire und Kunst alles darf, solange sie sich in einem gesetzlich gedeckten Rahmen befindet. Dieser gesetzlich gesteckte Rahmen ist aber kulturell bedingt und umrahmt deswegen alle Tatbestände, die in einer bestimmten Kultur - oder hier in Europa speziell mal als Schlagwort "westliche Kultur - bekannten Vorgänge, die in irgendeiner Form zu regulieren sind. Dabei kann es durchaus sein, dass hier etwas strafbar ist, was in anderen Teilen der Welt nicht strafbar ist oder andersherum. Wenn wir also sagen, dass Satire und Kunst alles darf, soweit es gesetzlich gedeckt ist, waren die Karikaturen auch im grünen Bereich, denn soweit ich weiß, wurde die französische Satirezeitschrift zwar oft verklagt, aber nie juristisch belangt.
Allerdings erregen die Karikaturen bzw. speziell die Karikaturen über Mohammed Aufregung in einem Kulturkreis, der nicht als unserer angesehen wird, in dem teilweise andere Gesetzessysteme herrschen und in dem vor allem auch die Auffassung zum Glauben eine völlig andere ist. Im westlich vorherrschenden Christentum ist es normal, wenn man das Christentum an sich kritisiert und wenn man das Oberhaupt des Christentums, ob das irdische oder das überirdische, kritisch hinterfragt oder beide satirisch beleuchtet. In anderen Teilen der Welt und vor allem in der islamisch geprägten Welt ist diese Kritik aber ein Problem, dass von bestimmten Behörden geregelt wird, durch Geistliche besprochen wird, aber schwer für "Nicht-Obere" zu artikulieren ist.
Insofern könnte man zum Beispiel auch sagen, dass Satire dann ihre Grenzen erreicht hat, wenn sie Gefühle verletzt oder wenn es sich um Glaubensfragen dreht. Dann aber geht die Diskussion erst richtig los: Wer genau darf sich in seinen Gefühlen verletzt fühlen? Welche Glaubensfragen dürfen nicht kritisiert werden? Oder wenn bestimmte Glaubensfragen ausgeleuchtet werden dürfen: Welche dürfen es dann und welche nicht? Wie weit darf man da gehen? Das ist wohl der Tod jeder Satire und jeder Kunst.
Es fehlt bisher einfach ein kulturelles Fingerspitzengefühl auf beiden Seiten und ein Gefühl für die beiden Kulturen. Natürlich kann Satire nicht auf alles und jeden Rücksicht nehmen und die Frage ist, wie viel gerade in unserer heutigen globalen Welt, wo jeder alles im Netz abrufen kann, da einfach auch im Rahmen dieses Gefühls füreinander geht und was nicht geht. Auf der anderen Seite kann ich aber auch verstehen, dass sich die Kunst und die Satire gerade den Vorstellungen von einigen Extremisten nicht untwerfen darf. Denn auch das ist ein Teil ihrer Aufgabe: Diesen Extremismus aufzeigen und hinterfragen.
Vielleicht ist - und wahrscheinlich setze ich mich jetzt in die Nesseln und kriege von unseren muslimischen Forenmitgliedern Schelte - auch die Auffassung von Religion eine andere. Während ich das Christentum als relativ frei empfinde, ist der Islam bzw. der Glaube dort stark reguliert: Die Anzahl der Gebete, der regelmäßige Gang in die Moschee, die glaubenstechnische und lebenstechnische Orientierung durch die Predigten des Imams - all das lässt auf eine viel störkere kircheninterne Beeinflussung schließen als das im Christentum der Fall war. Hier haben sich die Gläubigen insoweit säkularisiert, als dass es viele freie Bewegungen gibt, aber auch viele freie Auslebungen des Glaubens: Ob ich in die Kirche gehe oder heute bete oder mit dem Pfarrer spreche, ist allein meine Sache. Auch diese stärkere Regulierung spricht ganz andere Gefühle an bzw. intensiviert das Verhältnis von Glauben, Satire und Kritik. Aber das kennen wir in unserer westlichen Hemisphäre nicht, weil es schlicht nicht Teil unserer Kultur und unserer kulturellen Auffassung ist.