In welcher Art von politischem System würdest Du am liebsten leben/ist Dir am sympathischsten?

Modell "Deutschland": Rein repräsentative Demokratie - der Souverän (=das Volk) ist nicht politisch mündig genug und sollte daher keinerlei direkten Einfluss auf politische Entscheidungen haben
Keine Stimmen
0%
Modell "Schweiz" bzw. "management by exception": Der Souverän vertraut grundsätzlich den von ihm bestimmten Repräsentanten, behält sich aber das Recht vor, in Ausnahmefällen einzugreifen und selbst verbindliche politische Entscheidungen zu treffen
2
40%
Modell "basisdemokratische Utopie": Berufspolitiker sind unnötig, politische Entscheidungen sollten vom Souverän selbst, oder wahlweise von von ihm bestimmten Repräsentanten (z.B. Fachexperten) gefällt werden
1
20%
Etwas Anderes (bitte erläutern!)
2
40%
#1459062
Ich finde die deutsche Einstellung zum Thema "Demokratie" irgendwie widersprüchlich und würde gerne mal fremde (also eure) Meinungen dazu hören.

Ich will das Thema mal mit einer provokanten These einläuten:
Wir predigen "Demokratie" als vermeintliches Allheilmittel und beste Regierungsform überhaupt (so sehr, dass jeder öffentliche Zweifel daran in unserer Gesellschaft als nicht hinnehmbarer Tabubruch gelten würde) - dabei glauben wir in Wahrheit gar nicht wirklich daran.

In meinen Augen ist "repräsentative Demokratie" (und ganz besonders dessen spezielle Form "Parteiendemokratie") eigentlich gar keine echte Demokratie, sondern eher "Scheindemokratie". Oder vorsichtiger formuliert: Von der weiten Spannweite aller denkbaren Formen, die man irgendwie als "Demokratie" bezeichnen kann, ist unsere gewohnte Parteiendemokratie meiner Meinung nach am untersten nur denkbaren Ende angesiedelt. Im Sinne von: Es ist eigentlich unmöglich, die deutsche Demokratie noch nennenswert undemokratischer zu machen, ohne dass man es immer noch ernsthaft Demokratie nennen könnte (Man könnte höchstens noch die Dauer der Legislaturperioden auf 20 Jahre oder so erhöhen)

Zu meiner Verwunderung scheint das aber auch nur die Wenigsten wirklich zu stören: Es sind weiss Gott nicht nur Politiker & Co., die vehement gegen jedes mehr an Demokratie sind (also z.B. Volksabstimmungen, direktdemokratische Entscheidungen etc.), es scheint mir sogar eher der Durchschnittsbürger zu sein, der sich eigentlich gar nicht mehr direkten politischen Einfluss wünscht, und nur allzu gerne die 1-2 beliebten Totschlagsargumente nachplappert ("da würde schon morgen die Todesstrafe wiedereingeführt werden!"). Im Grunde scheint mir die Argumentation dann normalerweise darauf hinauszulaufen, dass es einfach viel zu viele Dumme da draussen gibt, die dann "falsch" abstimmen und schlimme Fehlentscheidungen treffen würden.

Nun mag an diesem Argument tatsächlich etwas dran sein, vielleicht sogar weit mehr als nur ein Funke Wahrheit. AAABER, nun die grosse Quizfrage:
Wenn wir den Durschnittsdeutschen für direkte Demokratie nicht für mündig genug halten, selbst politische Entscheidungen zu treffen - warum sollte dann ausgerechnet eine repräsentative Demokratie dieses Problem lösen? Ich meine, wenn wir nicht mündig genug sind, die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen - warum sollten wir dann ausgerechnet mündig sein, die richtigen Repräsentanten zu wählen, die an unserer statt diese richtigen Entscheidungen treffen?

Kennt da einer eine sinnvolle Begründung? (Vielleicht gibt es die ja wirklich)

Und: Wie würdet ihr euch das "ideale" politische System vorstellen?
Zuletzt geändert von Herr Vorragend am Sa 6. Feb 2016, 18:47, insgesamt 1-mal geändert.
#1459106
Ich glaube schon, dass wir an die Demokratie glauben, auch wenn es bemerkenswert ist, wie wir gerade hinnehmen, dass unsere Nachbarn gerade die Demokratie aushöhlen. Dass in Polen oder Ungarn die Demokratie sich verabschiedet, scheint uns herzlich egal zu sein und das ist sicher nicht nur ein Phänomen, dass durch die Flüchtlingskrise untergeht.

Ganz im Gegenteil gibt es nämlich eine ziemlich starke Bewegung in Deutschland, die nach mehr Demokratie und mehr direkte Demokratie lechzt - und passend dazu heisst ja der größte Verein in dieser Hinsicht auch Mehr Demokratie e.V. und hat inzwischen derart viel Macht, dass er aktiv in der Kommunalpolitik mitreden kann. Das ist bemerkenswert, denn die Möglichkeiten, in Deutschland politisch mitzumachen, sind riesig, sie werden nur kaum benutzt. Oder hat jemand von uns mal eine Petition beim Bundestag gestellt? In der Sprechstunde beim Wahlkreisabgeordneten gewesen? Die Gemeinderatsversammlung besucht? Lieber empören wir uns dann auf Portalen wie abgeordnetenwatch.de und wollen dort mehr Beteiligung. Das ist ziemlich albern.

Nun: Die Sache der direkten Demokratie ist auch nicht unbedingt die Frage der Todesstrafe, das ist wirklich ein albernes Argument, sondern eher die Frage, welche Entscheidungen man in die Hände er Bürger legen sollte: Der Haushalt wird ja inzwischen in vielen Haushalten auch durch Bürger bestimmt ("Bürgerhaushalt"), bei Projekten sind Bürgerbeteiligungen teilweise sogar vorgeschrieben. Oft ist es dann auch tatsächlich so, dass Bürger preiswertere und bessere Ideen liefern, als die Experten, die sich damit lange und teuer beschäftigt haben.

Gleichzeitig sieht man aber, dass bei solchen Beteiligungsprojekten nicht alle mitmachen und der Kreis derjenigen, die das tun, wiederum überschaubar ist. Dazu kommt: Bestimmte Projekte sind einfach ungeeignet, um sie per Entscheid, Beteiligung oder ähnliches entscheiden zu lassen. Verteidigungsfragen? Minderheitenschutz? Wirtschaftsentscheidungen? Haben die Bürger tatsächlich die entsprechende Expertise bei der Abstimmung oder ist es nicht eher so, dass sie sich dem Populismus der Wahl anschließen? Sicher haben viele Politiker bis heute nicht die Finanzkrise verstanden, aber wäre eine Abstimmung über die Bankenrettung in Bürgerhand vorstellbar - sowohl in Detailfragen als auch in der Gesamtfrage und, wenn sie vorstellbar ist, auch irgendwie sinnvoll?

Beteiligung in welcher Form auch immer funktioniert dann am Besten, wenn die eigenen Lebensbereiche betroffen sind und man das Problem ganz klar umreissen kann. Dazu sollten auch die Zuständigkeiten klar umrissen werden. Damit ist aber auch klar, dass Beteiligung auf Bundesebene nur schwer funktionieren wird. Und insofern ist die Kritik an mehr Demokratie - und Mehr Demokratie e.V. - durchaus berechtigt. Vor allem aber ist in dieser Hinsicht unsere Demokratie noch ziemlich stark. Allein: Es wäre schön, wenn ein paar mehr Leute sie auch pflegen würden.
#1459114
Schwierig. Hm. Ich glaube an die Demokratie so wenig wie an jede andere Politikform, wenn ich ganz ehrlich sein darf. Aber welche die richtige ist? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

In vielerlei Hinsicht leben wir hier in einer Pseudodemokratie. Der Bürger darf zwar wählen, aber mit den Entschlüssen derer, die er gewählt hat, hat er praktisch nichts mehr zu tun. Wir entscheiden, wer am Hebel sitzt und geben mit unseren Stimmen den Hebel in die Hände derer, die uns am vertrauenswertesten erscheinen. Doch dann greift eine abstrakte Form der Diktatur, und über den Verlauf, was geschieht, haben wir keinerlei Kontrolle.

Einerseits wäre ich schon für direkte, echte Demokratie, um den Bürger direkt in Entscheidungen einzubinden. Doch in Zeiten, in denen die AfD zweistellige Umfragewerte erzielt, wäre ich von dieser Idee gar kein Freund. Denn wenn der Dumme nicht nur wählen, sondern noch mehr mitentscheiden darf, dann gute Nacht.

Im Grunde sehe ich es ähnlich wie baumarktpflanze. Vielleicht sollten Bürger vorher einen IQ-Test machen, bei dem ein IQ über 110 Mindestvoraussetzung ist, um eine Mitentscheidungsbefugnis erteilt zu bekommen.

Man müsste einfach Dummheit, Gier und Intoleranz aussperren können.

Ich weiß, ist alles wenig zielführend.
#1459115
Kunstbanause hat geschrieben:In vielerlei Hinsicht leben wir hier in einer Pseudodemokratie. Der Bürger darf zwar wählen, aber mit den Entschlüssen derer, die er gewählt hat, hat er praktisch nichts mehr zu tun. Wir entscheiden, wer am Hebel sitzt und geben mit unseren Stimmen den Hebel in die Hände derer, die uns am vertrauenswertesten erscheinen. Doch dann greift eine abstrakte Form der Diktatur, und über den Verlauf, was geschieht, haben wir keinerlei Kontrolle.
Oh, ganz im Gegenteil: Du kannst demonstrieren, petitieren, eine Bürgerinitiative initiieren, beim Abgeordneten vorsprechen, Menschen mobilisieren... Sicher: Das ist ne Menge Arbeit und braucht auch Zeit. Aber Einfluss hast Du mehr als genug. Du musst ihn halt nutzen.
Kunstbanause hat geschrieben:Vielleicht sollten Bürger vorher einen IQ-Test machen, bei dem ein IQ über 110 Mindestvoraussetzung ist, um eine Mitentscheidungsbefugnis erteilt zu bekommen. Man müsste einfach Dummheit, Gier und Intoleranz aussperren können.
Abgesehen von den Inklusionsaktionsplänen, die gerade landauf, landab beschlossen werden, finden genau solche Leute sich bei Beteiligungen ein und niemand anders. Das ist ein Problem, weil die gebildete Schicht alleine einfach nicht repräsentativ ist.
Zuletzt geändert von baumarktpflanze am Do 4. Feb 2016, 23:20, insgesamt 1-mal geändert.
#1459116
baumarktpflanze hat geschrieben:Ganz im Gegenteil gibt es nämlich eine ziemlich starke Bewegung in Deutschland, die nach mehr Demokratie und mehr direkte Demokratie lechzt - und passend dazu heisst ja der größte Verein in dieser Hinsicht auch Mehr Demokratie e.V. und hat inzwischen derart viel Macht, dass er aktiv in der Kommunalpolitik mitreden kann.
Ich habe da natürlich extrem verallgemeinert - natürlich gibt es auch in Deutschland sehr viele Leute, die tatsächlich mehr direkte Demokratie wollen. Gerade die Leute von Mehr Demokratie e.V. dürften da definitiv dazugehören.
Nur, dass diese Leute meinem persönlichen Eindruck nach eben eine Minderheit sind, und der Durchschnittsbürger eher nicht viel von direkter Demokratie hält.
baumarktpflanze hat geschrieben:Das ist bemerkenswert, denn die Möglichkeiten, in Deutschland politisch mitzumachen, sind riesig, sie werden nur kaum benutzt. Oder hat jemand von uns mal eine Petition beim Bundestag gestellt? In der Sprechstunde beim Wahlkreisabgeordneten gewesen? Die Gemeinderatsversammlung besucht?
Ich gebe Dir Recht, dass es durch Dinge wie die von Dir genannten Beispiele durchaus gewisse Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Politik gibt.
Aber diese Möglichkeiten haben strenggenommen nichts mit Demokratie zu tun, bei der das Volk als Ganzes politischen Macht ausüben kann. Stattdessen laufen solche Sachen, genau wie Bürgerinitiativen etc. in der Praxis normalerweise eben darauf hinaus, dass sich eine verschwindent kleine Minderheit der Bevölkerung lautstarken Einfluss für persönliche Anliegen sichern kann.
Und viele dieser Dinge scheinen manchmal auch eher dafür da zu sein, den einfachen Bürger von der Macht fernzuhalten, ihm nur ein Gefühl von Einfluss vorzutäuschen. Schau Dir nur die Petition zu TTIP an: Drei Millionen Deutsche haben da mittlerweile unterschrieben. Für eine Unterschriftenaktion sind das geradezu unfassbar viele, die allerwenigsten Petitionen schaffen ja auch nur 50k. Aus Umfragen etc. ist völlig klar, dass die Deutschen geschlossen gegen TTIP sind. Und was ist mit der Unterschriftenaktion, mit unglaublichen drei Millionen Unterschriften? Das Bundeskanzleramt hat den Organisatoren gerade vor ein paar Tagen mitgeteilt: joa, ihr könnt das gerne per Post einschicken - aber nicht mal persönlich der Kanzlerin übergeben ist drin. Genauso hätte Angie jeden Unterzeichner persönlich für seine Naivität auslachen und in's Gesicht spucken können. :evil:
Nun: Die Sache der direkten Demokratie ist auch nicht unbedingt die Frage der Todesstrafe, das ist wirklich ein albernes Argument, sondern eher die Frage, welche Entscheidungen man in die Hände er Bürger legen sollte: Der Haushalt wird ja inzwischen in vielen Haushalten auch durch Bürger bestimmt ("Bürgerhaushalt"), bei Projekten sind Bürgerbeteiligungen teilweise sogar vorgeschrieben. Oft ist es dann auch tatsächlich so, dass Bürger preiswertere und bessere Ideen liefern, als die Experten, die sich damit lange und teuer beschäftigt haben.
Alles richtig. Aber wie gesagt: Strenggenommen hat das nichts mit Demokratie zu tun, stattdessen erhält in der Praxis eine verschwindend kleine lautstarke Minderheit der Bevölkerung vglw. viel Einfluss. Für mich geht das daher eher in Richtung Oligarchie als Demokratie, oder, wenn ein Lobbyist für 10000 Euro einen Politiker zum Essen einlädt, um ihm die Anliegen der von ihm vertretenen Einflussgruppen nahe zu bringen.
baumarktpflanze hat geschrieben:Verteidigungsfragen? Minderheitenschutz? Wirtschaftsentscheidungen? Haben die Bürger tatsächlich die entsprechende Expertise bei der Abstimmung oder ist es nicht eher so, dass sie sich dem Populismus der Wahl anschließen?
Ich sehe auf Anhieb ehrlich gesagt keinen Grund, warum selbst solche Fragen ganz grundsätzlich nicht durch demokratische Abstimmungen entschieden werden könnten. Solche Wahlen müssten ja nicht wie z.B. Bundestagswahlen ablaufen. Für ein wirklich sinnvolles direktdemokratisches System ist meiner Meinung nach z.B. das Prinzip der Wahlgleichheit stark hinderlich.

Aber soviel erst einmal dazu, ich möchte nochmal auf die Fragen vom Ende des OP hinweisen: Wenn wir Wähler in der Gesamtheit nicht mündig sind, über Fragen wie Verteidigung, Minderheitenschutz, Wirtschaftsentscheidungen etc. richtig zu entscheiden - warum sollten wir dann ausgerechnet mündig sein, uns für die richtigen Repräsentanten zu entscheiden, die solche Fragen stellvertretend für uns richtig entscheiden? Wo ist da die Logik?
#1459117
Herr Vorragend hat geschrieben:Ich gebe Dir Recht, dass es durch Dinge wie die von Dir genannten Beispiele durchaus gewisse Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Politik gibt.
Aber diese Möglichkeiten haben strenggenommen nichts mit Demokratie zu tun, bei der das Volk als Ganzes politischen Macht ausüben kann. Stattdessen laufen solche Sachen, genau wie Bürgerinitiativen etc. in der Praxis normalerweise eben darauf hinaus, dass sich eine verschwindent kleine Minderheit der Bevölkerung lautstarken Einfluss für persönliche Anliegen sichern kann.
Korrekt, wenn man sich Beteiligungen anschaut, sind da immer 10 Prozent, die besonders laut schreien und 90 Prozent, die nichts sagen oder aus verschiedenen Grünen nicht gehört werden / übergangen werden, aber vor allem auch nicht teilnehmen: Migranten, Behinderte, weniger Gebildete, Menschen, die Politik abgeschrieben haben, Menschen, die nicht verstanden haben, warum es (auch sie) betrifft oder schlichtweg auch: Weil sie es nicht wissen.

Man muss zum Engagement und zur Beteiligung und Demokratiepflege erzogen werden. Man muss es aktiv ausprobieren. Das ist Arbeit. Und die Frage ist, ob die Tatsache, dass zu wenige Menschen diese Sache nutzen, gleichzeitg bedeutet, dass es nicht demokratisch ist. Die Menschen müssen es nur nutzen, sind aber in der Mehrheit schlicht: Zu faul oder zu desinteressiert daran.
Herr Vorragend hat geschrieben:Schau Dir nur die Petition zu TTIP an: Drei Millionen Deutsche haben da mittlerweile unterschrieben. Für eine Unterschriftenaktion sind das geradezu unfassbar viele, die allerwenigsten Petitionen schaffen ja auch nur 50k. Aus Umfragen etc. ist völlig klar, dass die Deutschen geschlossen gegen TTIP sind. Und was ist mit der Unterschriftenaktion, mit unglaublichen drei Millionen Unterschriften? Das Bundeskanzleramt hat den Organisatoren gerade vor ein paar Tagen mitgeteilt: joa, ihr könnt das gerne per Post einschicken - aber nicht mal persönlich der Kanzlerin übergeben ist drin.
Warum sollte es schlimm sein, dass die Kanzlerin die Übergabe der Unterschriften eines privaten Petitionsportals nicht mitmacht? Change.org und all die anderen Petitionsportale haben inzwischen ein riesiges Netzwerk, dass sie für Unterschriften aktivieren. Da werden schlichtweg Klicks generiert und es geht um Geld. Sicher waren da auch viele dabei, die tatsächlich dagegen sind, aber die Debatte findet eben nicht auf change.org statt, sondern der Populismus und Lobbyismus. Dazu kommt: Allein das Petitionsportal des Bundestages erreicht die Abgeordneten direkt. Und da kann man erst recht bei drei Millionen Unterzeichnern im Petitionsausschuss vorsprechen. Nur bringen Klicks auf der Seite schlicht: Kein Geld.
Herr Vorragend hat geschrieben:Strenggenommen hat das nichts mit Demokratie zu tun, stattdessen erhält in der Praxis eine verschwindend kleine lautstarke Minderheit der Bevölkerung vglw. viel Einfluss.
Aber dann sollten wir doch darüber reden, warum die scheinbar schweigende Mehrheit nicht mitmacht - und nicht konstatieren, dass wir an der Demokratie zweifeln.
Herr Vorragend hat geschrieben:enn wir Wähler in der Gesamtheit nicht mündig sind, über Fragen wie Verteidigung, Minderheitenschutz, Wirtschaftsentscheidungen etc. richtig zu entscheiden - warum sollten wir dann ausgerechnet mündig sein, uns für die richtigen Repräsentanten zu entscheiden, die solche Fragen stellvertretend für uns richtig entscheiden? Wo ist da die Logik?
Weil uns im Wahlkamof durch die Parteien Ideen, Vorschläge und Strategien unterbreitet und argumentativ untermauert werden sollten, nach denen wir uns dann entscheiden können. Das allein findet in der hysterischen Mediendemokratie kaum noch statt, weil gar kein Platz mehr für die Debatte da ist. Und so stimmen wir immer mehr über Personen und Sympathie ab - und das ist nicht gut. (Übrigens wäre es auch spannend, wer eigentlich überhaupt Wahlprogramme gelesen hat, der dann am Ende auch wählen geht.)
#1459142
baumarktpflanze hat geschrieben:Korrekt, wenn man sich Beteiligungen anschaut, sind da immer 10 Prozent, die besonders laut schreien und 90 Prozent, die nichts sagen oder aus verschiedenen Grünen nicht gehört werden / übergangen werden, aber vor allem auch nicht teilnehmen [...] Man muss zum Engagement und zur Beteiligung und Demokratiepflege erzogen werden. Man muss es aktiv ausprobieren. Das ist Arbeit. Und die Frage ist, ob die Tatsache, dass zu wenige Menschen diese Sache nutzen, gleichzeitg bedeutet, dass es nicht demokratisch ist. Die Menschen müssen es nur nutzen, sind aber in der Mehrheit schlicht: Zu faul oder zu desinteressiert daran.
Ich weiss nicht, das klingt für mich zu sehr nach: 90% der Leute sind halt einfach zu doof. (auch wenn mir schon klar, dass Du das so nicht meinst) Ich glaube aber eher, dass der grössere Teil des Problems systemimmanent ist:
So Dinge wie Abgeordnetensprechstunden, Bürgerversammlungen z.B. können letztlich ja auch nur dann funktionieren, wenn sie nur nur von einer kleinen Minderheit aktiv genutzt werden. Um es mit mit einer Anleihe bei Volker Pispers zu sagen: Zu bspw. einer Abgeordnetensprechstunde kann zwar jeder gehen und gehört werden - aber eben nicht alle. Wenn sich da plötzlich 20000 Menschen persönlich Gehör verschaffen wollten, würde das nicht funktionieren.
baumarktpflanze hat geschrieben:Warum sollte es schlimm sein, dass die Kanzlerin die Übergabe der Unterschriften eines privaten Petitionsportals nicht mitmacht?
Meiner Meinung nach: Schon deshalb, weil bei dieser Petition eine (meines Wissens nach) noch nie dagewesene Anzahl von Bürgern eine der kläglichen Möglichkeiten genutzt haben, ihren politischen Willen zu bekunden. Die Reaktion darauf sendet nicht gerade das Zeichen, das einem der Wille des Volkes sonderlich wichtig ist.
baumarktpflanze hat geschrieben:Allein das Petitionsportal des Bundestages erreicht die Abgeordneten direkt. Und da kann man erst recht bei drei Millionen Unterzeichnern im Petitionsausschuss vorsprechen.
Ich nehme ehrlich gesagt an, dass Dir die jämmerliche Erfolgsbilanz des Petitionsportals halbwegs bekannt ist (das vielleicht traurigste Kapitel der deutschen Demokratie).
Ich glaube nicht, dass die Leute einfach zu blöd sind, Sachen wie das Petitionsportal zu nutzen. Ich glaube eher: Die Leute nutzen es nicht, weil die meisten doch relativ realistisch einschätzen, dass es in der Regel schlicht den Aufwand nicht wert wäre.
Mir will übrigens auch grundsätzlich nicht ganz einleuchten, warum es ein wichtigen Unterschied machen sollte, ob das Volk seinen Willen nun auf einer (zugegebenermassen: Drecks-)Seite wie change.org oder sonstwo kundtut. Mir erscheint das eher wie eine willkommene Ausrede, um den Willen des Volkes ignorieren zu können.
baumarktpflanze hat geschrieben:Aber dann sollten wir doch darüber reden, warum die scheinbar schweigende Mehrheit nicht mitmacht - und nicht konstatieren, dass wir an der Demokratie zweifeln.
Da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt: Was ich meine, ist eher: In meinen Augen sind Sachen wie Bürgerinitiativen, Abgeordnetensprechstunden etc. grundsätzlich keine "echt-demokratischen" Werkzeuge. Dadurch kann sich (einer Audienz beim König oder Mafia-Paten ähnlich) ein Partikularinteresse etwas Gehör verschaffen, aber mehr auch nicht.
baumarktpflanze hat geschrieben:Weil uns im Wahlkamof durch die Parteien Ideen, Vorschläge und Strategien unterbreitet und argumentativ untermauert werden sollten, nach denen wir uns dann entscheiden können.
Überzeugt mich aber auch noch nicht richtig: Durch den Wahlkampf sollen uns Ideen, Vorschläge und Strategien unterbreitet und argumentativ untermauert werden - womit wir dann ja idealerweise in der Lage wären, selbst die "richtigen" Entscheidungen zu treffen. Sind wir aber nicht, dafür sind wir problemlos in der Lage, die "richtigen" Repräsentanten zu wählen?

Mir will bislang einfach nicht wirklich einleuchten, warum das eine absolut nicht funktionieren soll, das andere aber ganz wunderbar. Historisch und praktisch gesehen macht ein Repräsentanten-System in meinen Augen ja völlig Sinn - jahrhundertelang war es schon aus ganz praktischen Gründen völlig unmöglich, das Volk über jeden Gesetzesentschluss abstimmen zu lassen, das wurde erst durch Internet & Computer überhaupt theoretisch möglich. Jetzt im dritten Jahrtausend ist die Politik meiner Meinung nach aber unter einem steigenden Rechtfertigungsdruck, in Anbetracht der verändertem technischen Möglichkeiten dem politischen Willen des Volkes keinen direkteren Einfluss einzuräumen.

Ich will einfach nicht recht glauben, dass unser derzeitiges politisches System den Höhe- oder Endpunkt der geschichtlichen Entwicklung ausmachen soll. Daher mal so gefragt:
Gibt es nichts, was Du an unserem politischen System für verbesserungswürdig hältst, findest Du, dass das einzige Problem ist, dass das Volk all die tollen Demokratie-Angebote nur nicht nutzt? Hast Du nicht auch irgendwelche Ideen/Wünsche, das politische System an sich zu verbessern?
#1459147
Herr Vorragend hat geschrieben:90% der Leute sind halt einfach zu doof. (auch wenn mir schon klar, dass Du das so nicht meinst)
Nein, das meine ich auch nicht so. Und ich kann auch durchaus verstehen, dass man nach einem 8 Stunden Arbeitstag schlicht auch keinen Bock mehr hat, sich über den Beschluss des Gemeinderates zu informieren oder aber die Bundestagsdebatten nachzurecherchieren. Geschweige denn zu verstehen, was genau da eigentlich bei der Bankenkrise passiert ist.
Herr Vorragend hat geschrieben:Schon deshalb, weil bei dieser Petition eine (meines Wissens nach) noch nie dagewesene Anzahl von Bürgern eine der kläglichen Möglichkeiten genutzt haben, ihren politischen Willen zu bekunden. Die Reaktion darauf sendet nicht gerade das Zeichen, das einem der Wille des Volkes sonderlich wichtig ist.
Sind die drei Millionen Unterschriften tatsächlich der Wille des Volkes? Auf einer Seite - bzw mehreren - auf denen es nur darum geht, Themen zu finden, um Klicks zu machen und dagegen zu sein? Anders gefragt: Warum gibt es nicht die Möglichkeit, dafür zu sein und dadurch einen Vergleich zu haben? Oder noch anders gefragt: Wenn Du einen Willen hast, den Du ausdrückst, hast Du Dir ja vorher eine bestimmte Meinung gebildet. Worauf fußt diese Meinung? Tatsächlich darauf, dass TTIP warum auch immer doof ist oder eher darauf, dass die Art und Weise, wie man gerade TTIP verhandelt, der Mehrheit nicht zu vermitteln ist? Oder zum vierten Mal anders gefragt: Wie kann es sein, dass wir alle gegen TTIP sind, wenn wir doch gar nicht wissen können, was eigentlich genau drinsteht?

Oder nochmal ganz anders gefragt - auch wenn TTIP dafür jetzt sicher das absolut falsche Beispiel ist -: Ist es nicht auch Aufgabe einer Regierung oder eines politischen Systems, in bestimmten Fällen gegen die Mehrheit zu regieren?
Herr Vorragend hat geschrieben:Ich glaube nicht, dass die Leute einfach zu blöd sind, Sachen wie das Petitionsportal zu nutzen. Ich glaube eher: Die Leute nutzen es nicht, weil die meisten doch relativ realistisch einschätzen, dass es in der Regel schlicht den Aufwand nicht wert wäre. Mir will übrigens auch grundsätzlich nicht ganz einleuchten, warum es ein wichtigen Unterschied machen sollte, ob das Volk seinen Willen nun auf einer (zugegebenermassen: Drecks-)Seite wie change.org oder sonstwo kundtut. Mir erscheint das eher wie eine willkommene Ausrede, um den Willen des Volkes ignorieren zu können.
Ich glaube erstens, dass die meisten Leute gar nicht wissen, dass sie sich mit einer Petition an den Bundestag wenden können und was dann eigentlich passiert. Und der wichtige Unterschied liegt in mehrerer Hinsicht: Erstens erreicht man die Politik nur durch das Petitionsportal des Bundestages. Da sitzen die Leute, die am Ende über die Gesetze entscheiden. Zweitens findet die Debatte im Bundestag statt - aber eben nicht auf den privaten Petitionsportalen. Die bieten gar nicht die Möglichkeit, sich eine Meinung zu bilden - und es mag ja sein, dass das auch nicht ihre Aufgabe ist. Drittens entscheiden bei den privaten Portalen nicht die Bürger darüber, was für Petitionen als Kampagne benutzt werden, sondern die Portale selbst, nach Klicks und nach Empörungspotential. Im Grunde machen die Portale genau das, von dem sie eigentlich sagen, dass sie das verhindern wollen: Sie entpolitisieren durch Empörung.

Und ich muss sagen, dass ich diese Empörung bei TTIP durchaus verstehen, aber in den meisten Fällen nicht nachvollziehen kann. Denn immer dann, wenn ich den Wahlkreisabgeordneten bei mir Fragen per Mail, Ideen, Wünsche oder auch Kritik gesandt habe, habe ich immer eine Antwort bekommen, manchmal auch nachts um drei - in verständlicher Sprache, auf meine Fragen eingehend und manchmal auch erschreckend ehrlich. Dass Abgeordnete dagegen eben nicht auf anonyme Massenmailings mehr reagieren, die man auf diversen Portalen absenden kann, weil sie damit zugespammt werden den ganzen Tag, das verstehe ich übrigens auch.
Herr Vorragend hat geschrieben:In meinen Augen sind Sachen wie Bürgerinitiativen, Abgeordnetensprechstunden etc. grundsätzlich keine "echt-demokratischen" Werkzeuge. Dadurch kann sich (einer Audienz beim König oder Mafia-Paten ähnlich) ein Partikularinteresse etwas Gehör verschaffen, aber mehr auch nicht.
Aber genau das ist doch Teil und vor allem auch Grundlage der Demokratie. Jeder einzelne von uns hat bestimmte Interessen, die gehört werden sollen. Daraus bilden sich dann Schnittmengen, weil es eben meist mehr mindestens einen weiteren gibt, der das gleiche Interesse hat oder ein ähnliches. Aus dem Gesamtbild aller Interessen kann man dann eine politische Richtung ablesen.

Gleichwohl können gerade Bürgerinitiativen auch schwieirig sein: Beteiligung in der Demokratie bedeutet ja eben nicht, dass das, was ich jetzt sage, auch so gemacht wird, sondern es bedeutet, dass ich etwas sagen kann und das Recht habe, mit meinem Argument gehört zu werden, ich aber gleichwohl auch hinnehmen muss, wenn mein Argument am Ende eben von den Anderen als nicht so bedeutend / falsch / nicht sehr stark gewichtend eingestuft wird. Ich muss also bereit sein, Kompromisse einzugehen oder auch mal einen Entschluss akzeptieren, der mir nicht gefällt. Aber gerade da entsteht auch viel Politikverdrossenheit! ("Die machen doch eh, was sie wollen!")
Herr Vorragend hat geschrieben:Durch den Wahlkampf sollen uns Ideen, Vorschläge und Strategien unterbreitet und argumentativ untermauert werden - womit wir dann ja idealerweise in der Lage wären, selbst die "richtigen" Entscheidungen zu treffen. Sind wir aber nicht, dafür sind wir problemlos in der Lage, die "richtigen" Repräsentanten zu wählen?
Naja, es ist ein Unterschied, ob Du alle vier Jahre bei der Bundestagswahl Dein Kreuz machst und eine Richtung wählst, also eine Partei, mit denen Du eine bestimmte Schnittmenge an Interessen teilst oder im Extremfall eben auch nur ein einziges Interesse oder ob Du Dich in einem Volksentscheid für eine bestimmte Sache entscheiden musst. Ich glaube, dass die meisten Menschen in der Lage sind, eine bestimmte Richtung zu wählen, aber es weitaus schwieriger finden, eine konkrete Entscheidung zu treffen. Denn damit muss man sich letztendlich viel länger beschäftigen als mit der Entscheidung für eine Richtung. Gefährlich wird es dann, wenn man nur noch nach Personen wählt, weil die Richtungen nicht mehr klar sind oder Argumente nicht mehr ausgetauscht werden. ("Sie kennen mich!")
Herr Vorragend hat geschrieben:Gibt es nichts, was Du an unserem politischen System für verbesserungswürdig hältst, findest Du, dass das einzige Problem ist, dass das Volk all die tollen Demokratie-Angebote nur nicht nutzt? Hast Du nicht auch irgendwelche Ideen/Wünsche, das politische System an sich zu verbessern?
Ich finde, dass unser System trotz aller Unkenrufe immer noch hervorragend funktioniert. Sicher gibt es schwarze Schafe und Skandale, aber alles in allem läuft es doch ganz gut in unserem Land. Ich verstehe auch nicht, warum unsere Instrumente ach so toll seien oder kläglich. Allein, wenn ich zu unserem Nachbarn Polen schaue oder nach Frankreich, bin ich glücklich über die Situation oder das System in Deutschland.

Es wäre sehr begrüßenswert, wenn mehr Menschen die Möglichkeiten unseres demokratischen Systems nutzen würden. Aber dafür braucht es Menschen, die sie da hinführen und es ihnen erklären. Migranten kriegst Du nur dann, wenn man sie entweder in ihrer Landessprache anspricht oder durch Menschen, denen sie vertrauen. Behinderte kriegst Du dann, wenn Du versuchst, die Sachen in leichter Sprache auszudrücken. Menschen, die nicht verstehen, warum es auch sie betrifft, musst Du klar machen, was genau es eigentlich für Auswirkungen hat. All das passiert viel zu wenig: Städte kommunizieren Beteiligungen kaum, Zielgruppen werden gar nicht erst angesprochen, Informationen für die eigene Meinungsbildung werden nur unvollständig bereitgestellt oder man macht gleich alles falsch, was man falsch machen kann (Stuttgart 21!). Und da haben wir noch gar nicht von den Leuten geredet, die nicht teilnehmen, weil sie es zeitlich wirklich nicht können. Oder die für die Politik an sich verloren sind.

Also: Das ist ne Menge Arbeit, ja, und es gibt da eine Menge zu verbessern. Für beide Seiten und auf beiden Seiten. Aber bevor wir darüber reden, dass wir nicht mehr an die Demokratie glauben, sollten wir erstmal lernen, was Demokratie eigentlich ermöglicht - für jeden von uns. Und bevor wir darüber reden, dass wir mehr Demokratie brauchen, erst einmal die vorhandenen Möglichkeiten nutzen. Wenn das alle oder nur ein gewisser Schwellenanteil nutzen würden, bekommen wir das Mehr an Demokratie eh automatisch. Denn wie Du völlig richtig sagst: Wenn 20.000 Menschen in Berlin das Bezirksbürgermeisterbüro einrennen, geht schlicht gar nichts mehr.
#1459167
Spannendes Thema...
Herr Vorragend hat geschrieben: Wir predigen "Demokratie" als vermeintliches Allheilmittel und beste Regierungsform überhaupt (so sehr, dass jeder öffentliche Zweifel daran in unserer Gesellschaft als nicht hinnehmbarer Tabubruch gelten würde) - dabei glauben wir in Wahrheit gar nicht wirklich daran.
Mir stellt sich da zuerst mal eine banal klingende Frage: Was ist die Alternative? Klar ist "geringstes Übel" immer ein schwaches Argument, aber gerade was die Demokratie angeht - was wäre denn die Alternative? Dass Anarchie nicht funktionieren kann, dürfe Konsens sein. Wenn also weder das Volk, noch gar keiner regiert - regiert einer bzw. eine (ohne Wahlen dann nicht legitimierte) Gruppe. Es liefe also letztendlich auf eine Diktatur raus. Da ist mir eine Demokratie dann trotz mancher Unzulänglichkeiten wesentlich lieber. So gesehen sehe ich zwar auch Verbesserungspotential - glaube aber auf jeden Fall an die Demokratie.
Herr Vorragend hat geschrieben: Es sind weiss Gott nicht nur Politiker & Co., die vehement gegen jedes mehr an Demokratie sind (also z.B. Volksabstimmungen, direktdemokratische Entscheidungen etc.), es scheint mir sogar eher der Durchschnittsbürger zu sein, der sich eigentlich gar nicht mehr direkten politischen Einfluss wünscht, und nur allzu gerne die 1-2 beliebten Totschlagsargumente nachplappert ("da würde schon morgen die Todesstrafe wiedereingeführt werden!"). Im Grunde scheint mir die Argumentation dann normalerweise darauf hinauszulaufen, dass es einfach viel zu viele Dumme da draussen gibt, die dann "falsch" abstimmen und schlimme Fehlentscheidungen treffen würden.
So abwegig finde ich diese Argumente nicht. Klar, das Thema Todesstrafe ist natürlich das extremste Argument, das man anführen kann. Aber ganz allgemein gesprochen: Wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahre anschaue, egal ob aktuell der enorme Rechts-Ruck oder einfach ganz allgemein die immer schneller aufkommende Hysterie in sozialen Netzwerken, aber auch Medien, Nachrichten, öffentlicher Diskussion - da habe ich schon meine Bedenken, was direkte Demokratie angeht. Es gibt immer weniger sachliche, in Ruhe geführte Diskussionen, jede Äußerung wird umgehend in die schwarze oder die weiße Schublade einsortiert, es werden, egal wie komplex ein Thema ist, allumfassende Lösungen und Aufklärungen spätestens in gefühlten 3 Tagen gefordert, ein echtes Interesse an Argumenten und einer echten inhaltlichen Auseinandersetzung besteht oft nicht - ich weiß nicht, ob ich Entscheidungen möchte, die auf so einer Grundlage getroffen werden...
Herr Vorragend hat geschrieben:Nun mag an diesem Argument tatsächlich etwas dran sein, vielleicht sogar weit mehr als nur ein Funke Wahrheit. AAABER, nun die grosse Quizfrage:
Wenn wir den Durschnittsdeutschen für direkte Demokratie nicht für mündig genug halten, selbst politische Entscheidungen zu treffen - warum sollte dann ausgerechnet eine repräsentative Demokratie dieses Problem lösen? Ich meine, wenn wir nicht mündig genug sind, die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen - warum sollten wir dann ausgerechnet mündig sein, die richtigen Repräsentanten zu wählen, die an unserer statt diese richtigen Entscheidungen treffen?
Weil es ja gerade (zumindest in der Theorie) Sinn der Sache ist, die Entscheidungen an Leute zu delegieren, die eben diese Kompetenz haben. Die sich eben hauptberuflich mit den Themen beschäftigen, die wir nur (wenn überhaupt) aus der Tageszeitung und der Tagesschau kennen. Weil jemand mit der entsprechenden Praxiserfahrung in einem bestimmten gebiet sicher besser weiß, was für Änderungen da sinnvoll wären als jemand, der nur mal gehört hat, dass es da ein Problem gibt, von den tatsächlichen Gegebenheiten aber faktisch keine Ahnung hat.
baumarktpflanze hat geschrieben: die Möglichkeiten, in Deutschland politisch mitzumachen, sind riesig, sie werden nur kaum benutzt. Oder hat jemand von uns mal eine Petition beim Bundestag gestellt? In der Sprechstunde beim Wahlkreisabgeordneten gewesen? Die Gemeinderatsversammlung besucht? Lieber empören wir uns dann auf Portalen wie abgeordnetenwatch.de und wollen dort mehr Beteiligung. Das ist ziemlich albern.
Das sehe ich auch so. Wenn ich allein in meiner Umgebung schaue: Es gab vor ewigen Zeiten bei uns eine Abstimmung darüber, ob man die alte, marode Stadthalle durch einen riesigen, potthässlichen und schweineteuren Klotz (merkt man, wohin ich tendiert habe...? :D ) ersetzen soll. Es war absehbar, dass die Kosten explodieren würden und die Vorteile schöngeredet wurden. Es hat auch die Mehrheit dagegen gestimmt - aber es haben nicht genug abgestimmt, so dass der Klotz jetzt trotzdem steht :P
In einer Gemeinde ein paar Kilometer von mir weg haben die Bürger am letzten Wochenende über eine Brücke in die Nachbarstadt in der Schweiz abgestimmt - es gab einige Argumente dagegen, von den Befürwortern hab ich eigentlich nicht viel mehr gehört als "Verbindung ist immer schön <3" - und auch hier: Mehrheit dagegen, aber nicht genug, die sich beteiligt haben.
Da fragt man sich dann schon, wo die Leute das Recht her nehmen, sich über mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten zu beklagen, wenn die Möglichkeiten, die man hat, so völlig ignoriert werden.
Kunstbanause hat geschrieben: Im Grunde sehe ich es ähnlich wie baumarktpflanze. Vielleicht sollten Bürger vorher einen IQ-Test machen, bei dem ein IQ über 110 Mindestvoraussetzung ist, um eine Mitentscheidungsbefugnis erteilt zu bekommen.
Ich glaube, das Problem ist oft weniger der geringe IQ, als viel mehr die mangelnde Information. Natürlich muss man von dem Bürger, der sich für total mündig hält und mitentscheiden will, auch eine gewisse Eigeninitiative erwarten. Aber es ist halt nun mal zum einen so, dass inzwischen auch seriöse Medien immer schneller auf den Hysterie-Zug aufspringen und oft das sachliche schleifen lassen, und zum anderen ist vieles auch wirklich kaum noch zu durchblicken. Also IQ-technisch dürfte ich nach dieser Idee wählen, und politisch interessiert und halbwegs informiert bin ich auch - aber bei Themen wie Bankenrettung, Zusammenhänge in der Griechenlandkrise, weltweite Börsen etc steig ich teilweise auch intellektuell aus. Wie soll da erst jemand, der aus welchen Gründen auch immer noch weniger Einblick hat, fundierte Entscheidungen treffen können? Das ist einer der größten Vorwürfe, die ich "den Politikern" (ist natürlich genauso falsch wie jede andere Pauschalisierung) mache: Sie schwurbeln, sie manipulieren oft auch, sie drücken sich extrem hochgestochen und mit so wenig Inhalt wie möglich aus, statt wirklich mal eine Sprache zu benutzen, die auch Lieschen Müller versteht. Und da sehe ich eine große Chance von mehr direkter Demokratie: Wenn man zu einem bestimmten Ergebnis kommen will, dafür aber nicht nur ein paar Nasen in einem Parlament, sondern eine Mehrheit der Bevölkerung überzeugen muss, ist man gezwungen, auf das, was die Leute beschäftigt und was sie sagen, tatsächlich einzugehen und so mit ihnen zu reden, dass sie auch wirklich verstehen, was man von ihnen will und vor allem was das ihnen bringen soll.
Herr Vorragend hat geschrieben: Aber diese Möglichkeiten haben strenggenommen nichts mit Demokratie zu tun, bei der das Volk als Ganzes politischen Macht ausüben kann. Stattdessen laufen solche Sachen, genau wie Bürgerinitiativen etc. in der Praxis normalerweise eben darauf hinaus, dass sich eine verschwindent kleine Minderheit der Bevölkerung lautstarken Einfluss für persönliche Anliegen sichern kann.
Doch, es sind schon Möglichkeiten, wie das Volk Macht ausüben KANN. Aber das "kann" ist eben genau das Problem, wenn sich kaum jemand beteiligt. Das ist ja aber weniger ein Fehler der Beteiligungsinstrumente, als ein Fehler derer, die sie nicht nutzen. Wenn man aus der Tatsache, dass sich nur wenige beteiligen, schließt, dass diese Instumente "nichts mit Demokratie zu tun" haben, muss man ja konsequenterweise eigentlich eine Wahlpflicht fordern. Das ist doch die einzige Möglichkeit, wie man systemimmanent und nicht von äußeren Umständen abhängig dafür sorgen könnte, dass das Volk diese ihm gegebene Macht auch ausübt.
Die Wahlpflicht ist allerdings ein Konzept, zu dem ich nicht wirklich eine abschließende Meinung habe.
Herr Vorragend hat geschrieben: So Dinge wie Abgeordnetensprechstunden, Bürgerversammlungen z.B. können letztlich ja auch nur dann funktionieren, wenn sie nur nur von einer kleinen Minderheit aktiv genutzt werden. Um es mit mit einer Anleihe bei Volker Pispers zu sagen: Zu bspw. einer Abgeordnetensprechstunde kann zwar jeder gehen und gehört werden - aber eben nicht alle. Wenn sich da plötzlich 20000 Menschen persönlich Gehör verschaffen wollten, würde das nicht funktionieren.
Doch, es können alle hingehen. Theoretisch. Würde das alle tun, hätte man natürlich ein Problem. Dann wäre man aber gezwungen, sich aktiv mit dem Thema zu beschäftigen und zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen. Ein Instrument von vorne rein als quasi untauglich zu sehen, nur weil es bei massiver Beteiligung ein logistisches Problem bekommen würde, wenn genau dieses theoretische Problem praktisch gar nicht vorhanden ist, ist mir irgendwie zu negativ. Es ist eine zusätzliche Möglichkeit, Anliegen anzubringen, und das finde ich gut und wichtig.
Herr Vorragend hat geschrieben:Die Leute nutzen es nicht, weil die meisten doch relativ realistisch einschätzen, dass es in der Regel schlicht den Aufwand nicht wert wäre.
Auch hier: Es ist den Aufwand doch in erster Linie "nicht wert", weil es so wenig genutzt wird. Ich glaube, da werden oft Ursache und Wirkung verwechselt. Würden viele diese Möglichkeiten nutzen, wäre auch der öffentliche Druck auf die Politiker höher, sich mit den Petitionen zu beschäftigen und die Ergebnisse den Bürgern zu vermitteln.
baumarktpflanze hat geschrieben:Beteiligung in der Demokratie bedeutet ja eben nicht, dass das, was ich jetzt sage, auch so gemacht wird, sondern es bedeutet, dass ich etwas sagen kann und das Recht habe, mit meinem Argument gehört zu werden, ich aber gleichwohl auch hinnehmen muss, wenn mein Argument am Ende eben von den Anderen als nicht so bedeutend / falsch / nicht sehr stark gewichtend eingestuft wird. Ich muss also bereit sein, Kompromisse einzugehen oder auch mal einen Entschluss akzeptieren, der mir nicht gefällt. Aber gerade da entsteht auch viel Politikverdrossenheit! ("Die machen doch eh, was sie wollen!")
Und genau diese Kompromisse lassen sich oft besser vermitteln, wenn über genau diesen Punkt konkret abgestimmt wurde. Das sieht man ja eigentlich gerade sehr schön an Stuttgart 21: Auch wenn ich grundsätzlich immernoch der Meinung bin, dass das, was da läuft, grundverkehrt ist - die allgemeinen Proteste haben enorm nachgelassen und es gibt eine gewisse Akzeptenz. Vor der Abstimmung über S21 gab es riesige Demos etc. Hätte die Regierung das Projekt trotzdem durchgezogen, hätte man damit genau dieses "die machen ja eh, was sie wollen" bestärkt. So hat man letztendlich auch, was man will (aus Sicht der Mehrheit der Politiker), kann sich aber auch noch auf eine zusätzliche demokratische Legitimation dafür berufen.

Ähm, ja... Viel Durcheinander... :D
Also mein Fazit ist, dass die Demokratie grundsätzlich das beste System ist, aber innerhalb dieses Systems durchaus noch Verbesserungspotential vorhanden ist.
Direkte Demokratie - in gewissen Teilbereichen gerne, aber nicht für das "große Ganze". Allerdings sehe ich, damit das funktioniert, auf beiden Seiten eine Bringschuld: Der Wähler, der ernst genommen werden will und mitbestimmen will, muss auch bereit sein, mehr zu tun als nur über die bösen Politiker zu meckern, muss Informationsmöglichkeiten nutzen, Ideen einbringen - und letztendlich vor allem auch den Hintern hoch kriegen und auch abstimmen, wenn er die Gelegenheit hat. Und die Politik muss für Sachlichkeit in Debatten sorgen, verständlich (!!) informieren, mit den Leuten reden und nicht um Machtpositionen, sondern um Inhalte kämpfen (soviel zum Thema "Idealvorstellung" :P ).
#1459172
baumarktpflanze hat geschrieben:Sind die drei Millionen Unterschriften tatsächlich der Wille des Volkes?
Nun, wir reden hier ja von einem konkreten Fall, und da gilt: Eindeutig ja, und das weisst Du selbst ganz genau. Jedem Politiker sind die Umfragen bestens bekannt, dass TTIP in der geplanten Form vom Volk quasi unisono abgelehnt wird.
baumarktpflanze hat geschrieben:Worauf fußt diese Meinung? Tatsächlich darauf, dass TTIP warum auch immer doof ist oder eher darauf, dass die Art und Weise, wie man gerade TTIP verhandelt, der Mehrheit nicht zu vermitteln ist? Oder zum vierten Mal anders gefragt: Wie kann es sein, dass wir alle gegen TTIP sind, wenn wir doch gar nicht wissen können, was eigentlich genau drinsteht?
Da kann ich Dir sofort mehrere sehr gute Argumente nennen:
1. TTIP ist nicht das erste Freihandelsabkommen, die Welt hat jahrzehntelange Erfahrung mit Freihandelsabkommen. Von den Grundzügen geht es da immer um das Gleiche und es hat immer die gleichen Effekte, und die historischen Erfahrungen mit Abkommen wie NAFTA & Co. sind, dass die grosse Masse davon eben NICHT profitiert, ganz im Gegenteil.
2. Es sind ja nun durchaus bereits geplante Details durchgesickert (Stichwort Schiedsgerichte etc.), und die bestätigen genau die schlimmsten Befürchtungen, die sich aus diesen historischen Erfahrungen ergeben.
3. Und die Tatsache, dass man dem Volk, ja am liebsten nicht einmal Bundestagsabgeordneten irgendeinen Einblick in die Verhandlungstexte gewähren möchte, sondern sie wie ein trojanisches Pferd erst unter Dach und Fach haben möchte, so dass es zu spät für Änderungen ist, erzeugt Misstrauen - und zwar völlig zu Recht.
baumarktpflanze hat geschrieben:Ist es nicht auch Aufgabe einer Regierung oder eines politischen Systems, in bestimmten Fällen gegen die Mehrheit zu regieren?
Da sehe ich keinen grundsätzlich zwingenden Grund dafür, nein. Das Mehrheitsprinzip ist ja sogar gerade eines der typischen Merkmale einer Demokratie.
baumarktpflanze hat geschrieben:Und ich muss sagen, dass ich diese Empörung bei TTIP durchaus verstehen, aber in den meisten Fällen nicht nachvollziehen kann. Denn immer dann, wenn ich den Wahlkreisabgeordneten bei mir Fragen per Mail, Ideen, Wünsche oder auch Kritik gesandt habe, habe ich immer eine Antwort bekommen, manchmal auch nachts um drei - in verständlicher Sprache, auf meine Fragen eingehend und manchmal auch erschreckend ehrlich.
Ich weiss nicht, ob ich Dich da jetzt gerade richtig verstehe: Du hast Deinem Wahlkreisabgeordneten Fragen zu TTIP geschickt? Wenn ja, was genau hast Du Dir davon erwartet - in Anbetracht der Tatsache, dass Dein Wahlkreisabgeordneter genauso wenig die genauen TTIP-Verhandlungstexte kennt wie jeder Andere? Selbst die Möglichkeit, dass einige Bundestagsabgeordnete unter absurden Bedingungen in einem streng überwachten Leseraum kurz Einblick nehmen können, gibt es ja überhaupt erst seit dieser Woche.
baumarktpflanze hat geschrieben:Aber genau das ist doch Teil und vor allem auch Grundlage der Demokratie. Jeder einzelne von uns hat bestimmte Interessen, die gehört werden sollen.
Das sehe ich vollkommen anders. Irgendeine grundsätzliche Möglichkeit, Anliegen Gehör zu verschaffen, gab es schon immer. Beim mittelalterlichen König, beim Mafia-Paten, beim Papst, in Oligarchien, ja selbst in den allerschlimmsten Diktaturen. Das ist alles andere als ein Alleinstellungsmerkmal demokratischer Systeme. Was Demokratien von anderen System in der Praxis wirklich unterscheidet, ist doch im Kern eben gerade, dass in Demokratien das Volk selbst verbindliche politische Entscheidungen treffen kann, wie eben bspw. bei Bundestagswahlen.
baumarktpflanze hat geschrieben:Ich finde, dass unser System trotz aller Unkenrufe immer noch hervorragend funktioniert. Sicher gibt es schwarze Schafe und Skandale, aber alles in allem läuft es doch ganz gut in unserem Land. Ich verstehe auch nicht, warum unsere Instrumente ach so toll seien oder kläglich.
Davon scheinst Du jedenfalls tatsächlich stark überzeugt zu sein. Ein wenig nach dem Motto: "Mir geht's doch gut genug, warum sollte man irgendwas ändern, oder auch nur versuchen, irgendwas am System selbst noch zu verbessern?" Ein wenig überrascht bin ich aber ehrlich gesagt schon, ich hätte Dich jetzt irgendwie gar nicht so konservativ und elitär denkend eingeschätzt.

Ich will ja aber auch gar nicht abstreiten, dass unser System unter'm Strich nicht immer noch vglw. gut funkioniert. Für mich ist das aber kein Argument, nicht nach Verbesserungspotentialen zu schauen, sondern sich bequem auf dem Erreichten auszuruhen. Und um mal auf's eigentliche Thema Demokratie zurückzukommen: Nur weil ein System funktioniert, muss es ja nicht demokratisch sein. Und es gibt ja mittlerweile mehrere Studien seriöser wissenschaftlicher Institutionen wie Princeton, die eindeutig zu dem Ergebnis kommen: Nach allen klassischen Masstäben sind wir keine Demokratie, sondern eine Oligarchie: Wir haben keine Herrschaft des Volkes, sondern eine Herrschaft der Wenigen. Gut, bei diesen Studien ging es zwar meistens speziell um die USA, aber das könnte man 1:1 auf Deutschland übertragen, Deutschland ist da nicht nennenswert anders.

Ich würde daher so sagen: Wir leben streng genommen in einer Oligarchie, sind damit im Grunde auch ganz zufrieden, verweigern aber komplett, die Sache beim Namen zu nennen, nennen es lieber "Demokratie" und singen permanent das Hohelied auf ihre durch nichts zu übertreffende Schönheit: Oh, wie schön ist Panama!!!
#1459182
Ich lass Deinen Post jetzt mal so stehen, vielleicht haben ja noch andere User Raum für Anmerkungen.

Außer:
Herr Vorragend hat geschrieben:Davon scheinst Du jedenfalls tatsächlich stark überzeugt zu sein. Ein wenig nach dem Motto: "Mir geht's doch gut genug, warum sollte man irgendwas ändern, oder auch nur versuchen, irgendwas am System selbst noch zu verbessern?"
Nein. Das steht in meinen Postings nicht, das habe ich nicht gedacht und auch nicht gemeint.
#1459187
baumarktpflanze hat geschrieben:Ich lass Deinen Post jetzt mal so stehen, vielleicht haben ja noch andere User Raum für Anmerkungen.

Außer:
Herr Vorragend hat geschrieben:Davon scheinst Du jedenfalls tatsächlich stark überzeugt zu sein. Ein wenig nach dem Motto: "Mir geht's doch gut genug, warum sollte man irgendwas ändern, oder auch nur versuchen, irgendwas am System selbst noch zu verbessern?"
Nein. Das steht in meinen Postings nicht, das habe ich nicht gedacht und auch nicht gemeint.
Naja, damit hast Du es Dir jetzt aber auch irgendwie leicht gemacht. Und die Tatsache, dass ausgerechnet DAS das Einzige ist, gegen das Du noch explizit Widerspruch einlegen möchtest, deute ich momentan ehrlich gesagt so, dass Dir für den ganzen Rest des Postings auf die Schnelle offenbar keine überzeugenden Gegenargumente einfallen.

Aber wenn Du Dich trotzdem haarspalterisch über ein so nebensächliches Detail unterhalten willst: Ich habe auch nicht behauptet, dass Du tatsächlich so denkst, ich sage nur, dass Dein Verhalten (natürlich überzogen ausgedrückt) gerade ein wenig so auf mich wirkt. Weil Du selbst auf die dritte Frage, ob es absolut nichts gibt, wo Du Verbesserungspotential am System selbst siehst, nichts nennen kannst (oder möglicherweise natürlich auch: willst), sondern stattdessen nur betonst, wie gut doch eigentlich Alles funktioniert.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich da irgendwie unsere Angie, wie sie mit ihrer Merkel-Raute dasteht und mit ihrer eintönigen Stimme die ersten fünf Strophen des beliebten Liedes über die Alternativlosigkeit singt. :twisted: :wink:
#1459189
baumarktpflanze hat geschrieben:
Es wäre sehr begrüßenswert, wenn mehr Menschen die Möglichkeiten unseres demokratischen Systems nutzen würden. Aber dafür braucht es Menschen, die sie da hinführen und es ihnen erklären. Migranten kriegst Du nur dann, wenn man sie entweder in ihrer Landessprache anspricht oder durch Menschen, denen sie vertrauen. Behinderte kriegst Du dann, wenn Du versuchst, die Sachen in leichter Sprache auszudrücken. Menschen, die nicht verstehen, warum es auch sie betrifft, musst Du klar machen, was genau es eigentlich für Auswirkungen hat. All das passiert viel zu wenig: Städte kommunizieren Beteiligungen kaum, Zielgruppen werden gar nicht erst angesprochen, Informationen für die eigene Meinungsbildung werden nur unvollständig bereitgestellt oder man macht gleich alles falsch, was man falsch machen kann (Stuttgart 21!). Und da haben wir noch gar nicht von den Leuten geredet, die nicht teilnehmen, weil sie es zeitlich wirklich nicht können. Oder die für die Politik an sich verloren sind.

Also: Das ist ne Menge Arbeit, ja, und es gibt da eine Menge zu verbessern. Für beide Seiten und auf beiden Seiten. Aber bevor wir darüber reden, dass wir nicht mehr an die Demokratie glauben, sollten wir erstmal lernen, was Demokratie eigentlich ermöglicht - für jeden von uns. Und bevor wir darüber reden, dass wir mehr Demokratie brauchen, erst einmal die vorhandenen Möglichkeiten nutzen. Wenn das alle oder nur ein gewisser Schwellenanteil nutzen würden, bekommen wir das Mehr an Demokratie eh automatisch.
Das klingt für dich nach "es gibt absolut nichts zu verbessern"? Interessant...
#1459191
rosebowl hat geschrieben:Das klingt für dich nach "es gibt absolut nichts zu verbessern"? Interessant...
Hach, ich glaube, ich habe es Dir schon mal gesagt, aber bei Dir habe ich irgendwie immer das Gefühl, dass Du gewisse Leute - zu denen leider auch ich gehöre - einfach partout missverstehen willst. Und das ist jetzt die nette Deutung, denn die alternative Erklärung, die mir einfällt, ist, dass Du Schwierigkeiten hast, gewisse Dinge zu verstehen...

Am angesprochenen Beispiel erklärt: Meine Frage war, ob er kein Verbesserungspotential am politischen System selbst sieht. Was Du da zitiert hast, besagt diesbezüglich in etwa:
Nö, eigentlich nicht, das System an sich ist fast perfekt, die Probleme liegen allesamt woanders, die Bürger sind halt doof.
Was offenbar ungefähr auch Deine Einstellung zu sein scheint.

Ich halte diese Einstellung halt für eher demokratiefeindlich, für Beispiele meiner anfangs geäusserten These, dass die Menschen an den Kerngedanken der Demokratie gar nicht so richtig glauben. Was aber selbstverständlich auch nur meine Meinung ist.
Zuletzt geändert von Herr Vorragend am Fr 5. Feb 2016, 16:28, insgesamt 1-mal geändert.
#1459192
Und kaum ist man sich nicht einig, wirst du persönlich, wenn nicht sogar beleidigend. Schade, ich hatte ganz kurz die naive Hoffnung, dass tatsächlich mal im Politik-Bereich eine inhaltliche Diskussion möglich ist.
#1459195
rosebowl hat geschrieben:Und kaum ist man sich nicht einig, wirst du persönlich, wenn nicht sogar beleidigend. Schade, ich hatte ganz kurz die naive Hoffnung, dass tatsächlich mal im Politik-Bereich eine inhaltliche Diskussion möglich ist.
Wo genau siehst Du eine Beleidigung? Dass ich den persönlichen Eindruck habe, dass Du gewisse Personen scheinbar missverstehen willst?
Wenn das schon eine Beleidigung ist, dann ja, dann wurde ich da wohl beleidigend.

EDIT: Obwohl ich es nicht als "beleidigend" empfinde, gebe ich nach nochmaligem Durchlesen aber zu, dass es zumindest etwas provokant, und daher im Sinne einer möglichst sachlichen Debatte nicht unbedingt förderlich war.
#1459303
Ich bin an sich ganz zufrieden, sehe allerdings an einigen Stellen auch Verbesserungsbedarf.
Spontan fällt mir folgendes ein:
- Dem Einfluss von Unternehmen und deren Lobbytruppen sollte knallhart ein Riegel vorgeschoben werden.
- Bundestagsabgeordneten sollten Nebentätigkeiten und ein (lebenslanger) Wechsel in die Wirtschaft untersagt werden.
- Die Ministerien sollten von qualifizierten und erfahrenen Führungskräften geleitet werden. Wenn man sich mal den Lebenslauf von einigen Ministern ansieht, dann ist die jetzige Position schon höchst abenteuerlich.
#1459305
Godfather hat geschrieben:Ich bin an sich ganz zufrieden, sehe allerdings an einigen Stellen auch Verbesserungsbedarf.
Mit dieser Aussage kann ich mich übrigens erst einmal recht gut identifizieren - Ich finde ja nicht, dass das deutsche politische System völliger Schrott ist, aber ich finde halt, es gibt durchaus Sachen, die man noch verbessern könnte.
Godfather hat geschrieben:- Dem Einfluss von Unternehmen und deren Lobbytruppen sollte knallhart ein Riegel vorgeschoben werden.
Den Einfluss von Lobbyismus sehe ich auch als durchaus ernstzunehmendes Problem. Keine Ahnung, mglw. ist Lobbyismus kein grundsätzliches Problem, solange es in Grenzen bleibt. Aber ich denke es gibt durchaus Bereiche, in denen der Einfluss von Lobbygruppen zu gross und somit eher negativ zu beurteilen ist.
Godfather hat geschrieben:- Bundestagsabgeordneten sollten Nebentätigkeiten und ein (lebenslanger) Wechsel in die Wirtschaft untersagt werden.
Das sehe ich ebenfalls ganz ähnlich. Da gibt es einfach zu viele Negativ-Beispiele wie die Fälle von Dirk Niebel etc. Man kann den Leuten im Endeffekt fast nie eindeutig gerichtsfest etwas nachweisen, aber so Fälle wie Dirk Niebel haben einfach mehr als nur ein Geschmäckle.
Godfather hat geschrieben:- Die Ministerien sollten von qualifizierten und erfahrenen Führungskräften geleitet werden. Wenn man sich mal den Lebenslauf von einigen Ministern ansieht, dann ist die jetzige Position schon höchst abenteuerlich.
Ja, das ist häufig schon etwas fragwürdig. Häufig haben die entsprechenden Minister ja echt keinerlei Fachkenntnis in dem entsprechenden Ressort, das ihnen zugewiesen wird.

Andererseits frage ich mich da speziell manchmal aber auch, ob das in der Praxis tatsächlich sooo wichtig ist. Die Minister sind ja in gewisser Weise eher Gesichter für die Kameras, während die eigentlich fachliche Kompetenz, die Leute, die tatsächlich die Gesetze entwerfen etc. eher für die Öffentlichkeit unsichtbar im Hintergrund sitzt - Staatssekretäre etc., der ganze Stab im Hintergrund.
#1459323
Also das lebenslange Verbot zu einer Tätigkeit in der Wirtschaft sehe ich aber schon kritisch. Nehmen wir mal an, ein junger Abgeordneter schafft den Sprung ins Parlament, fällt dann innerparteilich aber in Ungnade (kann ja alleine schon dadurch passieren, dass er einmal zu oft nicht vor dem Partei-Mainstream buckelt) oder seine Partei kommt anschließend nicht mehr in den Bundestag. Dann soll er sein gesamtes Leben lang nicht mehr in der Wirtschaft tätig sein dürfen? Da würde ich es mir als jüngerer Mensch aber dreimal überlegen, ob ich in den Bundestag möchte. Das geht mir deutlich zu weit.

Was die Besetzung der Ministerien angeht, fällt es mir auch sehr schwer, den einen oder anderen Minister ernstzunehmen. Aber ich denke auch, dass in vielen Fällen die Öffentlichkeitswirksamkeit wichtiger ist als die Fachkompetenz und die inhaltliche Arbeit zumeist von weitgehend unsichtbaren Gesichtern im Hintergrund ausgeführt wird. Allerdings sind einige Besetzungen für mich dennoch unverständlich, da man den Leuten schlicht ihre Expertise in ihrem Ressort nicht abnimmt.

Teilweise wird ja auch ein Minister von Ministerium zu Ministerium geschoben.


Fohlen
#1459342
Fernsehfohlen hat geschrieben:Also das lebenslange Verbot zu einer Tätigkeit in der Wirtschaft sehe ich aber schon kritisch. Nehmen wir mal an, ein junger Abgeordneter schafft den Sprung ins Parlament, fällt dann innerparteilich aber in Ungnade (kann ja alleine schon dadurch passieren, dass er einmal zu oft nicht vor dem Partei-Mainstream buckelt) oder seine Partei kommt anschließend nicht mehr in den Bundestag. Dann soll er sein gesamtes Leben lang nicht mehr in der Wirtschaft tätig sein dürfen? Da würde ich es mir als jüngerer Mensch aber dreimal überlegen, ob ich in den Bundestag möchte. Das geht mir deutlich zu weit.
Sehe ich auch so. Über eine Sperrfrist kann man sicher reden, aber eine lebenslange Sperre finde ich auch zu weitgehend.
#1459373
Ein lebenslanges Verbot eines Wechsels in die Wirtschaft erscheint mir jetzt auch überzogen, zumindest so allgemein gesagt. Es kommt ja auch ganz drauf an, wohin in die Wirtschaft die Leute gehen. Wenn bspw. ein studierter Jurist nach ein paar Jahren als Hinterbänkler im Bundestag aufhört und wieder als Jurist arbeitet - da sehe ich jetzt erst einmal keinerlei Problem.
Zumindest misstrauisch werde ich allerdings spätestens bei den typischen "Beratertätigkeiten", die gerade viele einflussreiche Politiker nach dem offiziellen Ausscheiden aus der Politik antreten. Speziell wenn man, wie Dirk Niebel, direkt nach dem Ausscheiden ausgerechnet Lobbyist bzw. "Berater" für ein Rüstungsunternehmen wird, dem man zuvor als Politiker einen grossen Waffendeal genehmigt hat.

Von daher würde ich sagen: Grundsätzliches Verbot eines späteren Wechsels in die Wirtschaft nein, aber gewisse Einschränkungen wären durchaus sinnvoll.

Und ein Verbot von Nebentätigkeiten, zumindest aber eine vollständige, transparente Offenlegung *sämtlicher* Nebeneinkünfte - da wäre ich aber sehr wohl dafür.

EDIT: Übrigens, um nochmal auf direktdemokratische Abstimmungen und das beliebte "Aber dann würde sofort die Todesstrafe wieder eingeführt!"-Argument zurückzukommen:
Nicht nur, dass die Schweizer trotz direktdemokratischer Abstimmungen bis heute nicht die Todesstrafe eingeführt haben - ironischerweise ist sogar genau das Gegenteil der Fall:
Es waren die Schweizer selbst, die 1938 per direktdemokratischer Entscheidung für die Abschaffung der Todesstrafe gestimmt haben. Das zeigt doch wunderbar, wie absurd dieses berühmte Totschlagargument ist. Hätte das einer von euch gewusst? Mir jedenfalls war das unbekannt, bis mich gestern Abend Jemand darauf hingewiesen hat.
#1459381
rosebowl hat geschrieben:
Fernsehfohlen hat geschrieben:Also das lebenslange Verbot zu einer Tätigkeit in der Wirtschaft sehe ich aber schon kritisch. Nehmen wir mal an, ein junger Abgeordneter schafft den Sprung ins Parlament, fällt dann innerparteilich aber in Ungnade (kann ja alleine schon dadurch passieren, dass er einmal zu oft nicht vor dem Partei-Mainstream buckelt) oder seine Partei kommt anschließend nicht mehr in den Bundestag. Dann soll er sein gesamtes Leben lang nicht mehr in der Wirtschaft tätig sein dürfen? Da würde ich es mir als jüngerer Mensch aber dreimal überlegen, ob ich in den Bundestag möchte. Das geht mir deutlich zu weit.
Sehe ich auch so. Über eine Sperrfrist kann man sicher reden, aber eine lebenslange Sperre finde ich auch zu weitgehend.
Ich habe nochmal drüber nachgedacht und meine Meinung geändert.
Gegen einen Wechsel zu einem Unternehmen, mit dem man nicht mal indirekt während der politischen Station zu tun hatte, spricht ja überhaupt nichts. Für alle anderen Fälle wäre allerdings eine Sperrfrist schon angebracht.
#1459420
Schwer.

Einerseits finde ich ein "Modell" in dem Kompetenzen und "Kernelemente" eines Landes einfach so ohne Rücksprache mit dem Volk abgetreten werden können, völlig falsch.
(Das wäre Deutschland, in dem man über so kleine Dinge wie z.B. die "Aufgabe der eigenen Währung" nie direkt befragt wurde. Ist ja auch nichts wichtiges.
Da sind Länder/Verfassungen in denen jede Abgabe von Souveränität vom Volk legitimiert werden müssen (z.B. Dänemark) weiter).

Die "Theorie" hinter der "Stellvertreterdemokratie" verstehe ich. In sich ist sie sogar schlüssig, wenn da lauter gewählter Experten sind, die sich hauptberuflich mit Themen intensiv beschäftigen und dann klug und in voller Kenntnis aller Argumente, nach intensiver Beschäftigung, Thema für Thema abstimmen würden (!), würde das vielleicht sogar funktionieren. De Facto resultiert aber ja immer mehr ein "ich muss auf meinen kuscheligen Posten achten", "ich muss tun was die Parteiführung will sonst blöder Listenplatz", "ich muss mich an den nicht existenten Fraktionszwang halten"... da wäre ein Korrektiv, in Form von bindenden Volksentscheiden, schon angemessen.
Gegner sagen da gerne: Hey, es gibt doch ein Korrektiv! Tritt in Parteien ein oder wende dich an DEINEN Abgeordneten! Überzeugt mich, in der Praxis, nicht.

Daher: Team "direkte Demokratie".
Und wer jetzt mit "aber da können dumme Entscheidungen entstehen!" kommt:
Klar. Und? Passiert aktuell auch. Und hey, wenn dann mal was so entschieden wird, dass es mir nicht gefällt oder es am Ende "dumm" ist: Kann ich wenn "das Volk" es so will eher mit leben als wenn z.B. 3 Jahre nach der Wahl Abgeordnete in irgendeinen bekloppten Kompromiss was dummes im Hinterzimmer auswürfeln.
Der Wähler, der ernst genommen werden will und mitbestimmen will, muss auch bereit sein, mehr zu tun als nur über die bösen Politiker zu meckern, muss Informationsmöglichkeiten nutzen, Ideen einbringen - und letztendlich vor allem auch den Hintern hoch kriegen und auch abstimmen, wenn er die Gelegenheit hat. Und die Politik muss für Sachlichkeit in Debatten sorgen, verständlich (!!) informieren, mit den Leuten reden und nicht um Machtpositionen, sondern um Inhalte kämpfen (soviel zum Thema "Idealvorstellung" :P ).
- Falls das eine Anspielung auf "Politikverdrossenheit" und geringe Wahlbeteiligung ist:
S.o.
Klar, ist der "falsche Weg", aber was, wenn ich Position A von Partei X und Position B von Partei Y will? Tja, dann muss ich abwiegen, welches Thema mir wichtiger ist, und danach dann wählen. Geht bei zwei Themen sicher, aber bei 10? Blöd.
Wenn ich dann auch noch aus Gründen z.B. mal den aktuellen Kanzler loswerden will, muss ich auch noch taktisch wählen. Und dies das tralala. Und wenn ich dann z.B. eine Partei wähle, die A verspricht, die dann mit einer koaliert, die B will, und man sich auf B+ einigt, gucke ich am Ende doch resigniert aus der Hose.

- Falls es eine Anspielung auf wenig Beteiligung bei bereits möglichen "Abstimmungen" sein soll:
Naja, sind jetzt auch nicht wirklich "Knallerthemen" über die man da abstimmen durfte. Und wenn ich z.B. persönlich nicht weiß, ob ich für oder gegen Olympia bin, ist es doch gut, wenn ich gar nicht erst zur Wahl gehe nur "weil man ja gefälligst was anzukreuzen hat", oder?
#1459476
Wow, sehr schönes Posting, Adrianm, genau solche Beiträge hatte ich mir ursprünglich erhofft. Du sprichst da viele Sachen an, die ich ebenfalls bislang eher suboptimal finde.
Adrianm hat geschrieben:Die "Theorie" hinter der "Stellvertreterdemokratie" verstehe ich. In sich ist sie sogar schlüssig, wenn da lauter gewählter Experten sind, die sich hauptberuflich mit Themen intensiv beschäftigen und dann klug und in voller Kenntnis aller Argumente, nach intensiver Beschäftigung, Thema für Thema abstimmen würden (!), würde das vielleicht sogar funktionieren. De Facto resultiert aber ja immer mehr ein "ich muss auf meinen kuscheligen Posten achten", "ich muss tun was die Parteiführung will sonst blöder Listenplatz", "ich muss mich an den nicht existenten Fraktionszwang halten"...
Diese Aspekte stören mich auch immer wieder. Gerade auch dieser ständige Fraktionszwang, die ständige "Die Partei muss in dieser Frage Geschlossenheit demonstrieren"-Mentalität etc. Tatsächlich ist es wohl sogar weniger "repräsentative Demokratie" im Allgemeinen, als vielmehr speziell "Parteiendemokratie", an der ich massive Nachteile sehe. Repräsentative Demokratie muss ja keineswegs zwangsläufig Parteien bedeuten - genauso gut könnte man sich ja z.B. ein System vorstellen, in dem es gar keine Parteien gibt, sondern das politische System ähnlich wie der heutige Arbeitsmarkt funktioniert:
Das Volk vergibt von Zeit zu Zeit gewisse politische Posten - z.B. den Posten des Wirtschaftsministers, des Umweltministers etc. - und auf diese konkreten Posten können sich die Menschen/Politiker dann öffentlich bewerben. Die Kandidaten müssen also versuchen, das Volk davon zu überzeugen, dass gerade sie für einen konkreten Posten die beste Besetzung sind (also hohe Fachkompetenz etc. besitzen) - und dann entscheidet das Volk per Wahl, wen es für diesen Posten einstellt.
Adrianm hat geschrieben:Gegner sagen da gerne: Hey, es gibt doch ein Korrektiv! Tritt in Parteien ein oder wende dich an DEINEN Abgeordneten! Überzeugt mich, in der Praxis, nicht.
Mich auch nicht, mir erscheinen solche Aussagen ehrlich gesagt sogar nur als vermeintlich höfliche Art zu sagen: "Ach, hau mir bloss ab mit irgendwelchen politischen Veränderungsvorschlägen!"

Alternativ könnte man die Leute auch auf den "Passagierschein A38" bei Asterix und Obelix verweisen. :wink:
Adrianm hat geschrieben:- Falls es eine Anspielung auf wenig Beteiligung bei bereits möglichen "Abstimmungen" sein soll:
Naja, sind jetzt auch nicht wirklich "Knallerthemen" über die man da abstimmen durfte. Und wenn ich z.B. persönlich nicht weiß, ob ich für oder gegen Olympia bin, ist es doch gut, wenn ich gar nicht erst zur Wahl gehe nur "weil man ja gefälligst was anzukreuzen hat", oder?
Ich denke zwar, dass baumarktpflanze das nicht gemeint hat - aber da sprichst Du mir echt aus der Seele, ich finde eine Denkweise auch immer völlig unlogisch: Dass es bitteschön unbedingt eine hohe Wahlbeteiligung geben soll. Ich hatte die Tage auch an anderer Stelle eine Diskussion um direkte Demokratie, und da wurde ebenfalls genau dieses Argument vorgebracht, dass auch bei Volksabstimmungen in der Schweiz die Wahlbeteiligung üblicherweise ja eher gering ist. Ja und, wo liegt das Problem? Wenn ich mir zu einer bestimmten, zur Abstimmung stehenden Entscheidung keine wirklich klare Meinung habe, mir in der entsprechenden Thematik keine grosse Fachkompetenz zutraue o.Ä. - warum sollte ich dann auf Teufel komm raus abstimmen? Diesem Denken liegt doch ein Denkfehler zugrunde:

Man muss derartige Abstimmungen doch eher wie den Publikumsjoker bei "Wer wird Millionär?" betrachten: Da wird das Publikum bei schwierigen Fragen auch nicht aufgefordert, auf Teufel komm raus irgendwas zu drücken, auch wenn man keine Ahnung hat - im Gegenteil, die Leute werden explizit aufgefordert, bitte nur dann zu drücken, wenn man wirklich glaubt, die sinnvollste/richtige Antwort zu kennen. Und das System hat sich bewährt: Auch der Publikumsjoker irrt hin- und wieder - aber er gilt trotzdem zurecht als der wertvollste Joker.