str1keteam hat geschrieben:Wahrscheinlich schreibe ich später noch eine etwas detaillierte Betrachtung nieder, aber im Moment nur das Fazit: HBO is back.
Auch in der Phase zwischen dem Ende von Deadwood, Rome, Carnivale und Sopranos und dem Start von Boardwalk hatte der Sender fraglos einige herausragende Dramen und viele meiner derzeitigen Lieblingsserien im Programm (von Big Love über Hung bis True Blood), aber die Winter/Scorsese Produktion ist wieder eine Serie, die aus allen Zylindern feuert, eine eigene lebendige Welt erschafft und in dieser opulenten Form nur von HBO zu realisieren ist. Ein Epos, dem es gelingen sollte wieder Kritikerlob, Preisregen und Zuschauerzuspruch zu vereinen. 9/10
bevor ich mir die anderen Piloten anschaue und noch mehr vergesse, schreite ich besser zur Tat.
positiv:
-fast alles
negativ:
praktisch nichts
na ok:
positiv:
-Scorseses Handschrift, die nicht nur diesen Piloten zu einem Fest für die Sinne werden ließ, sondern den Stil der ganze Serie prägen wird. Die langen schnittlosen Sequenzen, die ruhigen Kamerafahrten, oder auch die clever montierten und schnell geschnittenen Szenen, in denen zwischen 2 parallel ablaufenden Handlungen gewechselt wird (wie der Überfall auf den Transporter und die Stürmung der Schnapsbrennerei). Alles wie in einem oscarreifen Kinofilm. Ich kann mich nicht erinnern jemals eine besser inszenierte TV-Folge gesehen zu haben. (Nicht so kinoreif, aber nah dran gekommen, sind sicherlich einige Episoden von Twin Peaks, Breaking Bad, Deadwood oder Carnivale)
-In den knapp 70 Minuten hat man es geschafft zahlreiche wichtige Charaktere einzuführen und ihnen glaubhaft Leben einzuhauchen. In vielen Serien wirken die persönlichen Hintergründe der Charaktere besonders zu Beginn klischeehaft aufgesetzt und auch das Gefühl, dass der jeweilige Mikrokosmos mitsamt Freundschaften und Feindschaften schon lange vor unserem ersten Einblick existiert, stellt sich nur selten so scharf ein wie bei Boardwalk Empire. Deshalb kann man auch auf den obligatorischen Neuankömmling verzichten, durch dessen Augen wir in die meisten TV-Welten eingeführt werden.
-Terrence Winter hat mit dieser Serie offensichtlich große Ambitionen, die über reine Unterhaltung hinausgehen, aber ich finde es immer erfrischend, wenn auch in solchen Produktionen trotz der kaputten Charaktere und aller Düsternis eine gewisse Leichtigkeit und Humor erhalten bleiben. Das hat alle meine Lieblingsserien von Deadwood(das ist auch die Serie mit den größten Parallelen zu Boardwalk) bis The Shield oder aktuell Sons of Anarchy und Breaking Bad ausgezeichnet und das Fehlen dieses Elements sorgt dafür, dass ich Serien wie Mad Men oder Brotherhood mehr respektiere als liebe. Das ist aber auch nicht überraschend, denn Winter hat z.B. die witzigste und meines Erachtens auch beste Sopranos Episode "Pine Barrens" geschrieben (Buscemi hat dort übrigens Regie geführt).
-Von vielen wichtigen Nebencharakteren haben wir noch nicht mehr als einen kurzen Satz gehört, aber das der Cast nicht nur von den Namen bis in die Tiefe herausragend besetzt ist, hat sich schon von Beginn gezeigt. Schwärmereien über Michael Shannon (der Kavanaugh-artige FBI-Agent) oder Michael Stuhlbarg (Arnold Rothstein) spare ich mir für später. Hier will ich mich auf die oft undankbare Heldenrolle konzentrieren. Michael Pitt schätze ich schon seit ich ihn in im unterschätzten Murder by Numbers das erste Mal gesehen habe und spätestens seit The Dreamers warte ich auf seinen Durchbruch. Diese Rolle dürfte es sein, denn jetzt sehen die Produzenten wie sehr er DiCaprio ähnelt. :lol:

Nein, er bringt den inneren Konflikt des Kriegsveteranen überzeugend rüber.
unentschieden
-Steve Buscemi hat den Wechsel von schrägen Nebenrollen zum Zenrum eines Ensemblecasts hervorragend gemeistert, aber während ich ihn in Reden, Verhandlungen und Gesprächen und sogar bei seinen Weibergeschichten absolut glaubwürdig als charismatischen Politiker/Gangsterboss empfunden habe, ist seine Physis in den körperlich bedrohlichen Szenen doch ein kleiner Nachteil. Er ist nicht nur klein, sondern auch schmächtig. Während ich kein Problem habe, abzukaufen, dass Joe Pesci in Goodfellas oder Casino auch größere Gegner mit seiner drahtigen Pitbull-Beharrlichkeit, Unfairnis und Agressivität zu Klump schlägt, kam mir die Szene als Buscemi den Kopf des Frauenschlägers im Casino auf den Tisch donnert, selbst mit Überraschungsmoment etwas merkwürdig vor. Auch bei der kurzen Eskalation beim Schnapsbrenner wäre eine einschüchterndere Präsenz (wie Ian McShane in Deadwood oder Gandolfini in Sopranos)von Vorteil gewesen. naja, oft dürfte diese Seite ja auch nicht gefordert werden. Er ist das Hirn. Nicht der Muskel.
-Die Musik war wechselhaft. Großartig z.B. die Opernnummer in der Sequenz, in der die beiden Morde geschahen. Einige Male aber nicht mein Fall.
negativ:
hmm..fällt mir nix ein. Außer, dass man dem Piloten ruhig 90-120 Minuten hätte spendieren können. Jetzt fällt es mir verdammt schwer zu warten, bis die Staffel komplett vorliegt.