Jessica Jones Staffel 1
Endlich durch. Die Staffel war keineswegs ein kompletter Reinfall, aber weder kann ich mich mit objektiver Distanz dem sehr positiven Kritikerecho anschließen noch war die Serie unterhaltsam genug, dass ich über alle Makel hinwegsehen könnte.
Die Logiklücken waren dabei noch das geringste Problem. Naja, abgesehen von Folge 10, in der sich zum Ende hin Ereignisse überschlagen, die jeglicher weltlichen oder internen Logik trotzen und den finalen Showdown auf eine dreiste Weise hinauszögern, dass man nicht weiß, ob man lachen oder vor Wut weinen soll.
Die restlichen Probleme in dieser Hinsicht waren überwiegend auf einem Level, das man auch bei einem realistischer gehaltenen Superhelden-Show noch problemlos schlucken kann, denn sonst kommen wir in "warum erkennt niemand Clark Kent" oder "warum erschießen die Verfolger Bruce Banner nicht, bevor er sich in den Hulk verwandelt"-Terrain.
Etwaige Brüche mit dem MCU spielen für mich bei den Netflix- Dramen ohnehin keine Rolle. Diese lose Verknüpfung hat Daredevil schon genau gar nichts gebracht und bei JJ war es nur ein tonales Hindernis. Einmal, in der Hinsicht, dass man in der Gewaltdarstellung und Thematik zwar teils deutlich über das übliche MCU PG-13 Level gehen durfte, aber als offizieller Maushausvertreter in Sachen Sex und Sprache nicht mal die Grenzen von Basic Cable ausgekostet hat. Was dann teils noch unpassender wirkte, als wenn man gleich alles kastriert hätte.
Oder konkret das Problem, dass die Öffentlichkeit der MCU-Welt schon so viele wundersame Ereignisse durchgemacht hat, dass es sich mit der geerdeteren Netflix-Welt beißt, in der außer den Fähigkeiten der Helden und Bösewichte eigentlich möglichst alles wie in ein leicht überhöhten Version unserer Welt sein soll. Da mache ich den Showrunnern keinen Vorwurf, wenn sie sich die Vision ihrer eigenen Show nicht von diesem ungewollten Mühlstein einschränken lassen.
Das Hauptproblem für mich war schlicht, dass es weder genug Plot noch genug interessante Charaktere gab, um 13 Folgen zu füllen und die wenige Action, die es gab, war visuell denkbar unspektakulär in Szene gesetzt und einfallslos choreographiert. Wenn das Tempo dann so weit zurückgefahren wird, wie in der ersten Staffelhälfte können auch die Noir Atmosphäre und das gut vermittelte Gefühl der Kilgrave-Paranoia die Phasen der gepflegten Langweile nicht mehr kaschieren.
In der zweiten Hälfte nahm die Ereignisdichte zu, so dass auch der Unterhaltungswert etwas zulegte, aber leider verlor im Gegenzug Kilgrave an Bedrohlichkeit, je mehr man vom ihm sah.
Ähm Moment, eigentlich wollte ich mich bei diesen Review auf die positiven Seiten konzentrieren, also verzichte ich darauf, näher auf die schwachen Nebenfiguren einzugehen. Nur Luke Cage muss erwähnt werden. Ich kenne den Comic Charakter nur vom Namen, hatte also keine Erwartungen, aber auch so war das eine einzige Enttäuschung. Insbesondere mit diesem uncharismatischen Schauspieler verspüre ich nach diesem Einführungs-Arc herzlich wenig Lust 13 Folgen mit diesem eindimensionalen Charakter im Zentrum zu sehen. Wenn in der Serie der Actionfaktor und Humoranteil nicht drastisch nach oben gefahren wird, weiß ich nicht, wie ich die 13 Folgen überstehen soll. Überspringen geht auch nicht, weil es Vorarbeit für Iron Fist und Defenders (und eine mögliche zweite JJ Staffel) leisten dürfte.
Also gut nochmal die positiven Aspekte zusammengefasst:
Neo Noir-Anleihen. In Zukunft dann aber bitte noch konsequenter eingesetzt. Ich hätte mir in der ersten Staffelhälfte sogar ein paar weitere normale Privatdetektiv-Fälle gewünscht, die ein bisschen Tempo und Humor reinbringen und nebenbei vorführen, inwiefern JJ gut in ihrem Job sein soll. Ein sparsam eingesetzter Voice Over hätte auch ein Gewinn sein können.
Kristen Ritter als JJ. Der Charakter ist das klassische Arschloch, das sich aus Selbsthass hinter Ironie und Zynismus versteckt und wohlmeinende Menschen von sich stößt, aber wegen seiner Fähigkeiten und der unverblümt ehrlichen Art gemocht werden soll. Das Drehbuch hat das nicht ganz aufs Papier gebracht, denn dafür waren allein schon ihre One Liner zu schwach, aber aus dem, was auf dem Papier war, hat Mrs. Ritter das Bestmögliche herausgeholt. Nahezu perfektes Casting.
Kilgrave hatte ich oben schon erwähnt. Creepy Boogeyman so lange er im Hintergrund blieb. Dank Tennant in der Mitte der Staffel sogar sympathisch und selbst als der Charakter verhunzt war, immer noch das pochende Zentrum jeder Szene. Seine Fähigkeiten wurden sehr effektiv umgesetzt. Vor allem die Situationen,
Womit wir bei Trish wären. Für sich gesehen schon ein Charakter mit sehenswertem Arc, aber vor allem ihre Freundschaft zu Jessica, war das Rückgrat für die Staffel und auch für den sonst so abweisenden Titelcharakter. (da die Beziehung zu Luke Cage für mich nie funktionierte.)
Die Hintergründe um den Simpson-Arc. Das ist der einzige Plot der Staffel, der Neugier auf mehr wecken konnte. Gerne aber ohne den Schauspieler, denn der hat mich die ganze Zeit an einen Steve Rogers für Arme erinnert.
Der größte Pluspunkt neben der Besetzung der Hauptrolle ist aber fraglos, dass die Serie mehr an den Auswirkungen von Gewalt als der Gewalt an sich interessiert ist und sich für Mainstream-Unterhaltung viel Zeit nimmt, um dies und auch Themen wie den Umgang mit Missbrauch, aus mehreren Perspektiven zu beleuchten. Meiner Meinung nach zwar nicht so erfolgreich, dass ich die vielen hervorragenden Kritiken nachvollziehen könnte und ganz sicher nicht auf dem Level von den ebenfalls noch fehlerbehafteten ersten Staffeln von Daredevil und Powers, aber auch der Versuch sich von Superhelden-Stangenware abzusetzen, und nicht einfach nur more of the same abzuliefern, ist schon ehrenwert.
5,5/10
Doll & Em Staffel 2 HBO
Wo ich die Freundschaft zwischen JJ und Trish schon als Rückgrat bezeichnet habe, kann ich das bei Doll & Em (die auch im echten Leben besten Freundinnen Emily Mortimer und Dolly Wells als überzeichnete Varianten ihrer selbst) nur doppelt und dreifach betonen. Zu lachen gibt es nicht wahnsinnig viel und die dünne Showbiz-Satire aus Staffel 1 wurde hier gnädigerweise auf ein Minimum heruntergefahren, aber eine glaubwürdiger wirkende Frauenfreundschaft hat man selten im TV gesehen. Trotz aller Streitigkeiten, Neidanfälle und gekränkter Eitelkeiten fragt man sich nie lange, warum die Beiden seit ihrer Kindheit beste Freundinnen sind, weil augenscheinlich wird, dass sie sich gegenseitig etwas geben, was ihnen kein anderer Mensch geben kann. Hätte nichts dagegen, wenn es noch einen Abschlussfilm gäbe, wie bei manchen anderen kurzlebigen Britcoms, aber es lässt sich auch gut mit diesem Ende leben.
6,5/10