- Sa 29. Aug 2009, 00:51
#709023
Inglorious Basterds
Sensationell gut!
Nach dem mauen B-Filmchen Death Proof ist Tarantino hier wieder voll auf der Höhe. Hab ihn gestern in der OV gesehen, war aber irgendwann doch etwas im Zweifel ob sich das "gelohnt" hat. Denn Englisch macht in dem Film eigentlich nur ein gutes Drittel aus, die beiden anderen Drittel sind Deutsch und Französisch plus ein klein wenig Italienisch. Also stellt euch trotzdem auf viele Untertitel ein. Zum Film selbst: was für eine abgefahren geniale Fiktion des dritten Reiches. Der Balanceakt zwischen einer weitestgehend akkuraten Ausstattung im Kontrast zur frei fiktionalen Story ist glänzend gelungen. Mit genialem Auge für Details baut Tarantino hier eine faszinierende Filmwelt, die irgendwie glaubhaft ist, aber dann auch wieder völlig übertrieben, die Klischees bedient, aber dann auch selbstironisch reflektiert und grandiose Gags umsetzt.
Wer bisher nur den Trailer gesehen hat, sei aber vor Irreführung gewarnt. Die titelgebenden Basterds spielen gar keine so dominante Rolle. Wer also erwartet, dass hier über weite Strecken eine Ami-Truppe Nazis abschlachtet liegt falsch. Action gibt es ebenfalls nur sehr wenig und wenn dann ist eruptiv, schockierend radikal und Sekunden später auch schon wieder vorbei. IB ist kein Action-Film und kein Kriegsfilm im herkömmlichen Sinne. Wenn man ihn überhaupt mit Genre-Begriffen greifen kann, dann kommt dabei sowas wie Weltkriegs-Dramedy-Thriller raus.
Das Figureninventar ist dabei riesig und verwebt sich mit jedem Kapitel weiter. Auf der Jagd nach Naziskalps kreuzen die Basterds die Wege eines britischen Filmkritikers im Militärdienst, der seinerseit ein Treffen mit einem deutschen Leinwandstar organisiert, während Daniel Brühl als etwas naiver deutscher Kriegsheld einer französischen Kinobetreiberin nachstellt und sie dabei weit hoch in die Führungsschicht des dritten Reiches zieht. Das Bindeglied all dieser Stränge ist Hans Landa, der Judenjäger; eine Art SS Detektiv, der ein besonderes Interesse an den Besterds hat. Landa ist ein brillanter Filmschurke: intelligent, kultiviert, überaus höflich und sehr sprachgewandt, aber auch skrupellos in der Verfolgung seiner Ziele. Bereits die über 10 Minuten lange Eröffnungsszene ist ganz seinem Katz-und-Maus-Spiel gewidmet und zeigt seinen ungeheuren Facettenreichtum. Landa ist der eigentliche Star des Films - und hat auch mehr Screentime als Brad Pitts Aldo. Eine mutige Entscheidung von Tarantino, dass er seinen Weltstar hier ein wenig in den Schatten eines Schauspielers stellt, den außerhalb des deutschsprachigen Raumes wohl kaum jemand kennen dürfte.
Ein bisschen skeptisch war ich ja schon nach Tarantinos überschwänglichem Lob für Christoph Waltz. Wieviel war davon bloße PR? Gar nichts! Die Oscarnominierung ist so sicher wie die von Heath Ledger - und das ganz ohne posthume-bonus. Der gesamte Cast ist fantastisch und als deutscher Zuschauer entdeckt man in jeder Szene aus heimischem Film und Fernsehen talentierte und hoch geschätzte Gesichter - und Till Schwaiger, der aber die meiste Zeit nur mit Psychoblick vor sich hinraunen muss und zum Glück ansonsten überwiegend die Fresse hält. Ich werd jetzt nicht den ganzen grandiosen Cast aufzählen, was ich auch gar nicht kann. Mir wär ja ohne Hinweis eines Kumpels sogar der camoe-Auftritt von Bela B entgangen. Hervorheben möchte ich nur noch August Diehl, der sich ähnlich wie Waltz als Schurke in einer extralangen Szene ausleben darf.
Dabei geht Tarantino locker in die doppelte bis dreifache Länge einer üblichen pointierten Hollywoodszenen, die wiederrum fast ausschließlich die Basterds bekommen. Hier wird anhand der Rollennationalitäten auch über die Szenenlänge eine schöner Kontrast zwischen US-Kino und europäischen, ja fast Theaterszenen aufgebaut. Was aber keinesfalls heißen soll, dass es da langatmig wird. Im Gegenteil: gerade diese Szenen haben schon fast ihren eigenen kleinen Spannungsbogen und pendeln unheilschwanger zwischen entspannter Ausgelassenheit und bedrohlicher Konfrontation.
Diehl liefert eine sehr gute Leistung als eines dieser Pendel, aber Christoph Waltz treibt das zur absoluten Perfektion. Jede Szene sprüht vor seinem jovialen, aber doppelbödigem Charme. Man spürt wie er sich hinter seiner heiteren Ausgelassenheit verbal an sein Opfer heranschleicht und immer tückischere Fallen auslegt. Er spielt hier wirklich den gesamten bereits hervorragenden Cast an die Wand, wechselt scheinbar mühelos zwischen den Sprachen und ist so gruselig freundlich, dass selbst das Bestellen eines Glas Milch bei ihm schon als tödliche Drohung funktioniert.
Trotz der besagten Besonderheiten in den Szenenlängen kam mir der Film nicht wie 2,5 Stunden vor. Das ganze ist so fesselnd spannend und zugleich ungemein witzig unterhaltsam, dass die Zeit wie im Flug vergeht. So gleichermaßen augenzwinkernd intelligent und zugleich unterhaltsam war nichtmal Watchmen und das war bisher mein bester Kinobesuch des Jahres. Folglich neue Nr. 1 für Kino 2009 und dafür kann es nur eine bei mir recht seltene Wertung geben:
10/10
"And in that moment, I swear we were infinite."