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von Tanja Timanfaya
#1337921
Ich betone explizit, dass ich hier meine persönliche Meinung zum Film wiedergebe, die sich natürlich an meinem Geschmack und meinen Erwartungen orientiert. Ich erhebe keinen Anspruch darauf, eine objektive Rezension wiederzugeben, weil es die erstens nicht gibt und ich zweitens persönliche Meinungen viel interessanter und hilfreicher finde.

Was mich störte
* Der Film streut oft Bilder ein, die den Sohn zeigen. Das ist an vielen Stellen bewegend und sehr passend, fiel mir aber auch negativ auf, weil es in ein, zwei Momenten eher verwirrt.
* Philomena ist eine gläubige, verzeihende Frau, die sich auch vom Verhalten der Nonnen nicht vom Glauben an Gott und die Kirche und ihre Gutmütigkeit abbringen lässt. Mit einem solchen Charakter muss man klarkommen. Mir fiel das schwer, sie war mir zu heilig.
* Der Film fokussiert sich neben dem Hauptthema stark darauf, wie das gemeinsame Abenteuer die Beziehung von Philomena und Martin, dem Journalisten, verändert. Davon, wie Philomenas Familie auf die Wahrheit reagiert, wird sehr wenig erzählt. Ich finde das schade, weil ich gerade auch die Auseinandersetzung der Familie mit dem verlorenen Sohn interessant fände. Leider lässt sich nicht so leicht feststellen, ob das nur ein Problem am Film ist oder der eigentlich wenig dafür kann, weil auch das Buch auf die Darstellung der Familie verzichtet. Mir fehlt das aber dennoch, wobei das Kritik auf hohem Niveau und eher ein Wunsch ist.

Was mir gut gefiel
* Judi Dench, die Grande Dame des britischen Films, die nunmehr auch 80 Jahre (!) ist, zeigt hier ein Mal mehr, weshalb sie zur oberen Riege der Schauspieltalente gehört. Sie spielt die trauernde Philomena herzzerreißend, die suchende Philomena emotional und bewegend und ihre kleinen Spleens unglaublich liebenswert.
* Aber auch Martin, der fast eher als Hauptdarsteller gelten sollte, weil er (gefühlt) viel mehr Screenstime hat, macht seine Sache gut. Wie Martin mit der alten Dame und ihren Spleens umgeht ist klasse.
* Philomena ist ein ruhiger Film. Der Regisseur wusste wohl, dass sein Film allein durch die Geschichte und hervorragende Schauspieler überzeugen kann. Und das setzt er ein. Er verzichtet auf große Bilder, dramatische Kameraführung und große Umschweife und liefert damit einen fast schon altmodisch anmutenden Film. Genau das macht ihn aber sehr liebenswert und großartig.
* Der OST ist sehr gut gewählt. Die Musik läuft nicht nur nebenbei, sie unterstreicht Stimmungen und baut neue Emotionen auf, kann aber auch sehr gut für sich alleine stehen, weil sie angenehm zu hören ist.
* Die ganze Geschichte ist sehr bewegend, macht aber auch nachdenklich. Wie weit dürfen Menschen im Namen von Gott und der Kirche gehen? Wie viel Verzeihen ist richtig? Wann wird Vergeben zur Selbstbestrafung? Die deutliche Kritik an der katholischen Kirche und Lehre stieß vielen Stimmen sauer auf, aber ich finde sie richtig und wichtig.

Mein Fazit
Philomena ist ein wunderschöner, hoch emotionaler Film, bei dem ich viel weinen musste. Aus diesem Grund eignet er sich aber nicht für jeden Zuschauer. Man muss schon mehr sehen wollen als Action und Spannung und auch mal leise, nachdenkliche Töne in eher langsamen, altmodischen Filmen mit starkem Plot mögen. Ich empfehle ihn allen, die ruhige, langsame Filme, Nachdenklichkeit und Trauer mögen und bitte nichts gegen Kritik an der Kirche haben.

Von mir 9 von 10 Sternen.


Ein wunderschönes Zitat gab's noch obendrauf:
We shall not cease from exploration, and the end of all our exploring will be to arrive where we started and know the place for the first time.
T. S. Eliot
Zuletzt geändert von Tanja Timanfaya am Mo 17. Feb 2014, 00:41, insgesamt 1-mal geändert.
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von blra
#1337924
hoch emotionaler
Mich hat der Film komplett kalt gelassen. Das war ein ganz unterhaltsamer und kurzweiliger Film, aber nichts was mich im Ansatz berührt und bewegt hat.
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von Tanja Timanfaya
#1337925
blra hat geschrieben:
hoch emotionaler
Mich hat der Film komplett kalt gelassen. Das war ein ganz unterhaltsamer und kurzweiliger Film, aber nichts was mich im Ansatz berührt und bewegt hat.
Ich hab die zweite Hälfte nur geheult :oops: 8)

Aber das ist wohl eine Frage der Persönlichkeit, also wie sehr man bei Filmen mitgeht :shock:
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von Neo
#1338144
blra hat geschrieben:
hoch emotionaler
Mich hat der Film komplett kalt gelassen. Das war ein ganz unterhaltsamer und kurzweiliger Film, aber nichts was mich im Ansatz berührt und bewegt hat.
Ach, ging mir fast genauso. So ein paar Momente fand ich dann schon traurig (keine Ahnung, ob man spoilerfrei schreiben kann, also mal lieber Spoiler):
versteckter Inhalt:
- die Videoaufnahmen: So klischeemäßig sie auch sein mochten, aber ich fands toll und da hats mich dann doch kurz gepackt, als man sah, dass er das Kloster besuchte - höchst ärgerlich sowas :/

-> wahrscheinlich hats auch ein wenig was genommen, weil man sich schon denken konnte, dass der Sohn verstorben ist (war bei mir zumindest der Fall)
Nettes Filmchen, mit einer reizenden Judi Dench. Muss ich aber nicht mehr haben.
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von Tanja Timanfaya
#1338147
Hmm, @Neo: Ich konnte mir das nicht denken und mich würde interessieren, wie du drauf kamst?
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von Neo
#1338151
Davinia-EP hat geschrieben:Hmm, @Neo: Ich konnte mir das nicht denken und mich würde interessieren, wie du drauf kamst?
Keine Ahnung. War irgendwie so ein Gefühlsding und passte gut zum Stoff. Wir saßen da in der Reihe und waren uns eigentlich relativ schnell einig. Offensichtlich war das jetzt nicht, stimmt schon. :?
von Stefan
#1340083
Enthält Spoiler ;)

Bei uns lief Philomena heute in der Sneak und darüber bin ich richtig froh - ich glaube, ich hätte mir den Film sonst überhaupt nicht angesehen, weil die Trailer und die Plakate alle so unglaublich langweilig waren. Aber die Story hat mich total gepackt und ich kann überhaupt nicht glauben, was sich die Nonnen in dem Kloster geleistet haben. Aber alles mal der Reihe nach:

Judi Dench ist auf natürlich gewohnt stark - ihr problem bei den Oscars wird wohl sein, dass man dieses Level von ihr einfach schon gewohnt ist und Philomena jetzt auch kein Charakter mit großen Emotionalen Schwankungen ist - die Frau wurde von ihrem Leben gezeichnet und bekam schon in jungen Jahren von Nonnen eingedrillt, wie sehr sie sich für ihre Handlungen schämen muss und hat sich dadurch Emotional wohl auch sehr stark zurück gezogen - wenn sie dann einmal los lässt und weint, dann macht Dench das natürlich klasse und es ging mir auch an die Nieren - aber es bleibt trotzdem eine eher "zurückhaltende Performance" und dafür bekommt man wohl selten die ganz großen Preise.

Die Story rund um die Suche nach ihrem Sohn hat bei mir total gut funktioniert und mich hat es auch überrascht, wie früh man im Film erfährt, dass er bereits gestorben ist - aber das ganze gibt dem Film dann wohl auch erst den emotionalen Tritt in die Magengrube - und ja, es hat mich auch nicht sonderlich überrascht.

Martin und Philomena harmonieren im Film dann recht gut und die eingespielten Filmaufnahmen ihres Sohnes haben mich überhaupt nicht gestört - so hat man ihn dann wenigstens auch etwas kennen gelernt. Die Zurückhaltende Art von Michaels Schwester hat mich dann schon etwas verwirrt - aber wir haben alle verschiedene Arten, mit Situationen umzugehen und die wollte wohl schlichtweg nichts über ihre Mutter wissen.

Dass Michael dann als Krebskranker Mann noch zurück nach Irland gereist ist, um dort seine Mutter zu finden, und dann von den Nonnen nur wieder mit Lügen zurück geschickt wurde, obwohl sie genau wussten, dass Philomena ihn verzweifelt seit 40 Jahren suchte war für mich dann aber wirklich die absolute Höhe der Unverständlichkeit. Was für Biester ... typisch Kirche. Ich fand es dann aber auch stark von ihr, wie sie der alten Ordensschwester verziehen hät - mir wär es da wie Martin gegangen - ich hätte das nicht gekonnt und ja, es ist für mich auch leicht unverständlich, wie man das überhaupt vergeben kann. Aber es passt schon zu ihrem Charakter - den ich übrigens über den ganzen Film hinweg total toll fand - obwohl total christlich, war sie trotzdem absolut aufgeschlossen und hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als sie heraus fand, dass Michael einen Freund und eben keine Freundin hatte. Hut ab.

Insgesamt hat mich der Film wirklich sehr positiv überrascht, denn langweilig war der überhaupt nicht. Judi Dench ist sowieso eine klasse für sich und ja, danke Sneak Preview, dass du mir den Film praktisch aufgezwungen hast :mrgreen:

8 von 10