- Sa 23. Okt 2010, 00:35
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Der Schatten des Windes
Der zehnjährige Daniel Sempere wird von seinem Vater auf den "Friedhof der vergessenen Bücher" gebracht, wo er ein Buch adoptieren darf. Er entscheidet sich für das Buch "Schatten des Windes", welches ihn verzaubert. Er möchte mehr über den Autor, Julian Carax, herausfinden, was sich jedoch als äußerst schwierig herausstellt, da eine geheimnisvolle Gestalt dessen Bücher allesamt zu verbrennen sucht. Dennoch begibt sich der junge Spanier auf die Suche...
Dieses Buch ist das bislang bekannteste und erfolgreichste des spanischen Autors Carlos Ruiz Zafon und wird von Presse und Lesern hochgelobt. Die Geschichte wird sehr schön, wenn auch teilweise ein wenig abscheifend, erzählt, die Charaktere erhalten allesamt ein sehr klares Profil, was das Mitfiebern deutlich erleichtert. Ein ganz besonderes Merkmal ist jedoch die wunderbare Atmosphäre, die uns der Autor vom durch die Franco-Diktatur geprägten Barcelona des 20. Jahrhunderts herüberbringt. Man hat oftmals das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein.
Was die Erzählweise angeht, ist "Der Schatten des Windes" vom auktorialen Erzähler geprägt, wobei auch oftmals die Perspektive des jungen Daniels eingenommen wird. Eine Besonderheit stellt diesbezüglich das eigene Kapitel von Nuria Monfort da, welches aus ihrer Sicht die Geschehnisse der Vergangenheit erläutert. Aufgrund Daniels Suche nach der Wahrheit über Carax nimmt diese Vergangenheit ohnehin eine wichtige Rolle in diesem Werk ein, was den Leser manchmal doch arg fordert, wenn es um die richtige Einordnung von Geschehnissen oder Charakteren geht.
Letztgenanntes ist dann auch der für mich ausschlaggebende Punkt gewesen, weshalb ich weit davon entfernt bin, diesen Buch in den Literaturolymp zu erheben. Gerade bei mehr oder minder wichtigen Nebencharakteren, welche immer wieder auftauchen, kam ich doch leicht durcheinander, was den Lesefluss doch etwas störte. Auch die ständige Narration vergangener Ereignisse war dem Lesefluss nicht immer dienlich, ganz selten kam hier sogar ein wenig Langeweile auf.
Dennoch überwiegen die positiven Eindrücke dieses Werkes deutlich. Es macht einfach Spaß, in das Barcelona Zafons einzutreten und sich in dessen Fantasiewelt hineinzubegeben. Einige wirklich starke und mitreißende Passagen möchte ich im Nachhinein nicht missen und etwas Wehmut kam ebenfalls bei mir auf, als sich das Werk dem Ende zuneigte. Ob das Geheimnis des "Lain Coubert" letztlich zufriedenstellend aufgelöst wurde, vermag ich an dieser Stelle nicht zu beurteilen. Für mich war es dies, obwohl ich im Nachhinein doch denke, dass man da gut drauf hätte kommen können.
Insgesamt ein lohnendes Buch mit zumeist eher düsterer Atmosphäre, welches aber keineswegs zu Depressionen führt, sondern eine sanfte Melancholie versprüht. Fein, überaus fein, aber nicht perfekt.
8/10
Fohlen