- Mo 28. Apr 2014, 13:00
#1355764
Der Jenseitsmythos in Platons Politeia
versteckter Inhalt:
Die Seelen hätten nun, nachdem sie angekommen seien, alsbald sich zur Lachesis begeben. Da habe ein Verkünder sie in eine Reihe gestellt, er habe hierauf aus dem Schoße der Lachesis Lose und Lebensmuster genommen, sei damit auf eine hohe Bühne gestiegen und habe da also geredet: „Es spricht die Jungfrau Lachesis, die Tochter der Notwendigkeit. Eintägige Seelen! Es beginnt mit euch eine andere, mit dem Tod endende Periode des sterblichen Geschlechts, nicht euch erlost der Dämon, sondern ihr wählt euch den Dämon. Sobald einer gelost hat, so wähle er sich eine Lebensbahn, womit er nach dem Gesetze der Notwendigkeit verbunden bleiben wird. Die Tugend ist aber ungebunden, von ihr erhält ein jeder mehr oder weniger, je nachdem er sie in Ehren hält oder vernachlässigt. Die Schuld liegt am Wählenden, Gott ist schuldlos.“ Auf diese Worte habe er die Lose auf sie hin geworfen. Ein jeder habe nun das neben ihm liegende Los aufgehoben, nur er selbst nicht, ihm habe er es nicht gestattet. Wer es aber aufgehoben habe, dem sei kund geworden, die wievielte Stelle in der Reihe er bekommen habe. Hierauf habe er sogleich die Muster der Lebensweisen vor sie auf den Boden gestellt in weit größerer Anzahl als die der Anwesenden. Da hätte es denn allerlei gegeben, Lebensweisen von allen Tieren und auch, versteht sich, alle menschlichen. Darunter hätten sich nun unumschränkte Tyrannenherrschaften befunden, zum Teil lebenslängliche, zum Teil auch solche, die mitten im Leben verloren gehen und mit Armut, Verbannung und mit dem Bettelstab endigen. Auch hätten sich darunter befunden Lebensweisen von wohlangesehenen Männern teils durch Gestalt, Schönheit und außerdem durch körperliche Stärke und Kampftüchtigkeit, teils ihrer Geburt und der Vorzüge ihrer Ahnen wegen, ferner ebenfalls Lebensweisen solcher, die in den genannten Rücksichten unansehnlich waren, und ebenso habe es sich mit den Weibern verhalten. Eine Rangordnung der Seelen habe aber nicht dabei stattgefunden, weil es eine unbedingte Notwendigkeit ist, daß eine Seele, welche eine andere Lebensweise wählt, auch eine andere wird. Im übrigen seien die Lebensweisen durcheinander gemischt und teils mit Reichtum oder Armut, teils mit Krankheit, teils mit Gesundheit verbunden, manche lägen auch zwischen den genannten Zuständen in der Mitte.
Hier liegt nun offenbar, mein lieber Glaukon, für den Menschen die allergrößte Gefahr. Und deshalb muß man besonders dafür sorgen, daß jeder von uns mit Hintansetzung alles anderen Wissens nach jenem besonders trachte und forsche, wodurch er zu erfahren und zu finden imstande ist, wer ihm die Geschicklichkeit und die Wissenschaft beibringen könnte, eine gute und schlechte Lebensweise zu unterscheiden und aus den jedesmal wählbaren überall die bessere herauszuwählen, dabei auch wohl alle unsere obigen Lehren in Anschlag zu bringen, für gegenseitige Vergleichungen und Bestimmungen in bezug auf die vorzügliche Lebensweise, ferner zu wissen, was Schönheit, mit Armut oder Reichtum gemischt, tut, und bei welcher Beschaffenheit der Seele sie Gutes oder Schlimmes bewirkt, was ingleichen edle Geburt und niedere Abkunft, was stille Zurückgezogenheit und Staatsdienst, was körperliche Kraft und Schwäche, was Gelehrtheit und Ungelehrtheit, was für Wirkungen überhaupt dergleichen Eigentümlichkeiten der Seele und ihre dazu erworbenen Eigenheiten tun, wenn sie mit einander vermischt werden. Und so kann man erst nach Erwägung aller dieser Umstände imstande sein, mit Berücksichtigung des Wesens der Seele bei seiner Wahl die schlechtere und bessere Lebensweise zu unterscheiden und dabei diejenige einerseits die schlechtere zu nennen, welche die Seele dahin bringt, daß sie ungerechter wird, die bessere andererseits diejenige, die sie immer gerechter macht. Um alles übrige wird man sich dabei unbekümmert lassen, denn wir haben gesehen, daß dies sowohl für das Leben als auch nach dem Tode die beste Wahl ist. Darum muß man fest an dieser Meinung hängen und glücklich in die Zukunft gehen, und darf sich von Reichtum und dergleichen Übeln nicht erschüttern lassen, ingleichen muß man auch auf seiner Hut sein, daß man nicht auf Tyrannenherrschaften und sonstige Geschäfte der Art verfällt und dadurch viele unheilbare Übel verübt, sich selbst aber eben dadurch noch weit größere zuzieht. Man verstehe vielmehr in Beziehung auf jene Lebensbeschäftigung die mittlere Laufbahn zu wählen und sowohl in diesem Leben als in dem zukünftigen die Extreme an beiden Seiten nach Kräften zu vermeiden, denn so wird ein Mensch am glücklichsten.
Hier liegt nun offenbar, mein lieber Glaukon, für den Menschen die allergrößte Gefahr. Und deshalb muß man besonders dafür sorgen, daß jeder von uns mit Hintansetzung alles anderen Wissens nach jenem besonders trachte und forsche, wodurch er zu erfahren und zu finden imstande ist, wer ihm die Geschicklichkeit und die Wissenschaft beibringen könnte, eine gute und schlechte Lebensweise zu unterscheiden und aus den jedesmal wählbaren überall die bessere herauszuwählen, dabei auch wohl alle unsere obigen Lehren in Anschlag zu bringen, für gegenseitige Vergleichungen und Bestimmungen in bezug auf die vorzügliche Lebensweise, ferner zu wissen, was Schönheit, mit Armut oder Reichtum gemischt, tut, und bei welcher Beschaffenheit der Seele sie Gutes oder Schlimmes bewirkt, was ingleichen edle Geburt und niedere Abkunft, was stille Zurückgezogenheit und Staatsdienst, was körperliche Kraft und Schwäche, was Gelehrtheit und Ungelehrtheit, was für Wirkungen überhaupt dergleichen Eigentümlichkeiten der Seele und ihre dazu erworbenen Eigenheiten tun, wenn sie mit einander vermischt werden. Und so kann man erst nach Erwägung aller dieser Umstände imstande sein, mit Berücksichtigung des Wesens der Seele bei seiner Wahl die schlechtere und bessere Lebensweise zu unterscheiden und dabei diejenige einerseits die schlechtere zu nennen, welche die Seele dahin bringt, daß sie ungerechter wird, die bessere andererseits diejenige, die sie immer gerechter macht. Um alles übrige wird man sich dabei unbekümmert lassen, denn wir haben gesehen, daß dies sowohl für das Leben als auch nach dem Tode die beste Wahl ist. Darum muß man fest an dieser Meinung hängen und glücklich in die Zukunft gehen, und darf sich von Reichtum und dergleichen Übeln nicht erschüttern lassen, ingleichen muß man auch auf seiner Hut sein, daß man nicht auf Tyrannenherrschaften und sonstige Geschäfte der Art verfällt und dadurch viele unheilbare Übel verübt, sich selbst aber eben dadurch noch weit größere zuzieht. Man verstehe vielmehr in Beziehung auf jene Lebensbeschäftigung die mittlere Laufbahn zu wählen und sowohl in diesem Leben als in dem zukünftigen die Extreme an beiden Seiten nach Kräften zu vermeiden, denn so wird ein Mensch am glücklichsten.
Wir haben so viel Glück auf dem Gewissen.