Yeah, zweiter Jahrestag meines letzten Beitrags hier. Das muss doch gefeiert werden.
Timur Vermes - Die Hungrigen und die Satten
Scheint bei weitem nicht an den Erfolg von "Er ist wieder da" anknüpfen zu können, was ich bedauere. Denn dieses Buch ist meines Erachtens eine sehr treffende und hochaktuelle Tragikomödie über den Zynismus in der Fernsehwelt auf der einen und in der Migrationspolitik auf der anderen Seite und gewinnt vor allem in zwei Punkten gegenüber Vermes' Erstling:
a) Realismus: Vielleicht bin ich da schon selbst zu sehr Zyniker, aber große Teile der Story halte ich für theoretisch denkbar. Die Inszenierung des Flüchtlingselends in Afrika für die Quote, den Gedanken, in einer großen "Herde" nach Europa marschieren zu wollen, das unsolidarische Wegducken sämtlicher Länder, welche die Menschen nur passieren wollen, die Hysterie der deutschen Bevölkerung in Angesicht weiterer Hunderttausenden von Migranten und die Überlegung, diesmal ernst zu machen mit der Abschottung an der Grenze. Das kann ich mir alles leider sehr gut vorstellen.
b) Dramaturgie: Ich fand, "Er ist wieder da" hatte eine tolle Idee, die sich aber mit der Zeit ein wenig in episodenhaften humorigen Geschichten verloren hat und an Reiz verlor. Hier dagegen wartet man zunächst darauf, wie die egomanische deutsche Reality-Soap-Trulla in Afrika in diverse Fettnäpfchen tritt, dann ist man interessiert daran, wie der Flüchtlingszug organisiert wird, der Weg nach Deutschland mit den diverse Gefahren ist auch recht spannend und schließlich wartet man natürlich darauf, was an der deutschen Grenze passiert. Vermes hat hier einige recht charismatische und interessante Charaktere entwickelt, der Ton des Buches wird mit Fortschreiten der Handlung deutlich ernster und tragischer. In puncto Dramaturgie meines Erachtens also ein deutlich stimmigeres Werk.
Kritisieren lassen sich einige Längen insbesondere im Mittelteil und das große Finale, bei dem Vermes für meinen Geschmack deutlich über das Ziel hinaus schießt - allerdings erst auf den letzten ca. 20 von über 500 Seiten. Ansonsten ein Buch, das mir große Freude gemacht hat, sowohl in Sachen Humor als auch in den ernsteren Momenten aus der Seele sprach und auf drastische (hintenraus überzogene) Weise darstellt, was 2015 hätte passieren können, wenn sich Deutschland und einige wenige andere Länder nicht dazu bereiterklärt hätten, die Flüchtlinge aufzunehmen. Sehr gutes Buch mit kleineren Schönheitsfehlern.
8/10
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Stefan Zweig - Schachnovelle
Um 1940 herum und oftmals als Schullektüre genutzte Novelle, in der ich die eigentlich bedeutsame Handlung ziemlich intelligent in den Rahmen des Schachspiels eingepflegt fand. Ansonsten gut erzählt, flüssig geschrieben und emotional durchaus bewegend. War für mich ein literarischer Quickie und lässt sich in der Tat auch ziemlich gut einfach so "runterlesen", wenn man das Werk nicht auf Einzelheiten sezieren will oder muss. Hübsch.
7/10
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Heinrich Böll - Ansichten eines Clowns
Wir hatten damals in der Schule "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" gelesen, was für mich eine der angenehmsten Schullektüren im Deutschunterricht war. Umso enttäuschter war ich, dass mir dieses Buch so überhaupt keine Freude machte und ziemlich zog. Habe es nach etwa 100 Seiten aufgegeben, weil es zwar gut geschrieben war und einen feinen Humor hatte, inhaltlich aber ziemlich auf der Stelle trat und mir die Hauptfigur auch ziemlich egal blieb.
Bis dahin für mich leider nur 5/10
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Friedrich Dürrenmatt - Der Besuch der alten Dame
Noch so ein Name, der mir aus der Schulzeit positiv in Erinnerung blieb ("Die Physiker" hatten wir gelesen). Und in diesem Fall fühlte ich mich auch nach der Lekütre eines zweiten bekannten Werkes in meiner Einstellung bestätigt: Tolle Tragikomödie über die subtilen Mechanismen der Korruption und der Paranoia, die ich auch als weitaus zeitloser empfinde als das Böll-Werk. Sehr amüsant und grotesk, nicht ganz so kurzweilig wie "Die Physiker", dafür aber auch leichter zu folgen. In jeder Hinsicht überzeugend.
9/10
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Ferdinand von Schirach - Verbrechen
Schöne Sammlung von Kurzgeschichten, in denen verschiedene Kriminalfälle aus der Sicht des Strafverteidigers erzählt werden. Mir hat die trockene, sehr straighte Sprache des Autors gefallen, zumal sich die Geschichten damit sehr gut für zwischendurch eigneten. Allerdings kommt nicht jede Story gleich gut in Fahrt, manche verpuffen ein bisschen oder sind schnell ziemlich vorhersehbar. Dennoch gute Unterhaltung.
7/10
Fohlen