Erst Katastrophen sorgen für SicherheitDer Artikel ist ein bißchen lang, zeigt aber meiner Meinung nach ein paar interessante Aspekte auf.
Ausgerechnet in England, dem Ursprungsland des Hooliganismus, kommen immer mehr Fußballspiele ohne Polizeipräsenz aus.
Bryan Drew ist ein freundlicher Mann, der wie auf Knopfdruck einen strengen Blick aufsetzen kann. Mit fester Stimme sagt er: "Unsere Fans haben die Wahl: Sie können Lärm machen, singen und tanzen. Wir lassen sie in Ruhe. Aber wenn sie Schaden anrichten, dann machen wir ihnen das Leben schwer."
Drew musste sich zuletzt oft traurige Geschichten von seinen europäischen Kollegen anhören: ein toter Hooligan in Paris, ein toter Polizist in Italien, randalierende Fans von Feyenoord Rotterdam, Krawalle in Griechenland, in der Türkei - und immer wieder im Osten Deutschlands.
Englische Tragödien
Er selbst hatte kaum von größeren Sorgen zu berichten. Das ist erstaunlich, denn Bryan Drew bekämpft die Fangewalt in England, dem Ursprungsland des Hooliganismus. "Doch das ist Vergangenheit", sagt er. "Wir haben viel gelernt."
Seit fast 20 Jahren ist Drew Leiter der United Kingdom Football Policing Unit (UKFPU), der Koordinationsstelle der englischen Polizei, vergleichbar mit der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze in Düsseldorf (ZIS), die Informationen über Fans sammelt und auswertet.
Tatsächlich hat die englische Sicherheitspolitik die größten Fortschritte gemacht. Doch die Gegenmaßnahmen wurden nicht aus eigenem Antrieb getroffen, der Druck war zu groß geworden. Drew formuliert es so: "Es klingt paradox, doch ohne die Katastrophen hätte sich wohl wenig verbessert."
Der Wendepunkt
Ein Blick in die Chronik der englischen Tragödien gibt Aufschluss. 11. Mai 1985: 56 Zuschauer verbrennen auf einer Holztribüne in Bradford. 29. Mai 1985: 39 Menschen sterben beim Europapokal-Endspiel der Landesmeister zwischen Liverpool und Juventus Turin in Brüssel; englische Fans hatten die gegnerischen Fans attackiert und eine Mauer im Heysel-Stadion zum Einsturz gebracht.
Liverpool wird sechs Jahre für internationale Wettbewerbe gesperrt. In England setzt Hysterie ein - mit falschen Konsequenzen: Die Stadien verwandeln sich in Käfige, sogar über die Einführung von stromgeladenen Zäunen und Wassergräben wird diskutiert. 15. April 1989: Beim Spiel des FC Liverpool gegen Nottingham Forrest in Sheffield sterben 96 Menschen nach einer Massenpanik.
"Die Ereignisse im Hillsborough-Stadion markieren den Wendepunkt", sagt Polizeidirektor Drew. "Bis 1989 haben wir nur auf die Verfolgung der Hooligans geachtet. Seitdem konzentrieren wir uns auf die öffentliche Sicherheit." Diese Entscheidung war überfällig gewesen. "In England hat man sich das Problem eingestanden", sagt Carlo Balestri, Fan-Aktivist aus Bologna: "In Italien wurde das Problem so lange geleugnet, bis es zu spät war."
Die englischen Ermittler kamen 1990 zu dem Entschluss, dass Stehplätze und Zäune aus den Stadien verschwinden und Notausgänge erweitert werden müssen. 30 neue Arenen und mehr als 200 Haupttribünen wurden seitdem errichtet. Dank Kamerasystemen konnten Krawallmacher überführt und verbannt werden, manche lebenslang.
Holländische Polizisten und englische Polizisten
Vereine veröffentlichten Fahndungsfotos und knüpften den Kauf von Tickets an die Vorlage des Ausweises. Aus Angst vor Sperren investierten die Klubs viel Geld in Kampagnen gegen Rassismus - zu einer Zeit, als sich in Deutschland niemand für Gewalt im Fußball verantwortlich fühlte und die Mäzene in Italien ihr Geld für überteuerte Profis verprassten.
In England beobachteten nun Football Intelligence Officers, uniformierte Polizisten, und Spotters, Zivilfahnder, die Fanszenen. "Die englische Polizei hat sich am schnellsten angepasst, ihr blieb nichts anderes übrig", sagt Martijn Pelle, Fan-Experte aus Rotterdam: "Die Polizei versucht nun, Eskalation um jeden Preis zu vermeiden. In Holland oder Italien ist das nicht immer so." Fast die Hälfte aller Profispiele in England kommt laut einer Studie inzwischen ohne Polizeipräsenz aus.
Auch die steigenden Kartenpreise haben einen Einfluss: So kostet das billigste Ticket bei einem früheren Problemklub wie dem Millwall FC heute selbst in der dritten Liga 32 Euro. Die Wahrscheinlichkeit, dass größere Gruppen von aggressiven Jugendlichen ins Stadion gelangen, sinkt stetig: In der Saison 2005/2006 wurden 3462 Festnahmen in den englischen Wettbewerben gemeldet, im Vergleich zu 2004/05 ein Rückgang von sieben Prozent. In den beiden Spielzeiten zuvor war die Quote bereits um elf beziehungsweise um zehn Prozent gesunken.
Planlose Italiener
Im Großraumbüro der UKFPU sind 20 Mitarbeiter tätig. Die Ausstattung ist beispielhaft. Dem deutschen Pendant, der ZIS in Düsseldorf, steht weniger als die Hälfte zur Verfügung; sie ist unterbesetzt, öffentlich zugeben will das niemand. Doch das ist Kritik auf hohem Niveau: Im Rest Europas befinden sich ähnliche Einrichtungen erst in der Entwicklung.
In Italien wurden planlos Polizisten einer Antiterroreinheit in die Stadien entsandt. "Wir haben die Kommunikationsstörungen vielleicht am schnellsten beseitigt", sagt Drew, "unsere Null-Toleranz-Politik hat sich bewährt." Viele Fans sehen das freilich anders, für sie hat das Spiel auf der Insel seine Seele verloren.
Kevin Miles möchte das nicht so stehen lassen. Er ist einer der Koordinatoren der Football Supporters Federation (FSF), der Vereinigung der organisierten Fans. Jahrzehntelang wurden die Anhänger von den Vereinen und dem Verband FA nicht ernst genommen, sondern nur als Spendengeber wahrgenommen.
Osteuropas Problemligen
Die FSF hat fast 150 000 Mitglieder, sie ist kein Dachverband für sozial-präventive Fanarbeit nach dem deutschen Modell, darum kümmern sich die Vereine individuell. Dennoch ist die FSF hoch angesehen, während der WM 2006 stellte die Regierung 150 000 Euro zur Verfügung, unter anderem für 50 Mitarbeiter. Selbst Spielergewerkschaft und Verband zahlen ihren Beitrag pünktlich.
In Italien ist das undenkbar, auch in Holland wird Jahr für Jahr über die Finanzierung der Projekte gestritten. Ganz zu schweigen von den Problemligen in Osteuropa. "Wir können uns vor Sponsoren kaum retten", sagt dagegen Kevin Miles. Allmählich werden die Fans in England nicht mehr pauschal als Hooligans wahrgenommen.
"Heutzutage ist es wahrscheinlicher, dass die englischen Fans angegriffen werden", sagt Miles. Er übertreibt, aber seine Botschaft ist klar. Gemessen an den Krawallen bei der WM 1998 in Frankreich oder der EM 2000 in Holland und Belgien, als hunderte Hooligans festgenommen wurden, hat sich die Lage beruhigt. Grund dafür ist auch der Football Disorder Act, den die Regierung Blair 2000 verabschiedet hat.
Als Reaktion auf die Ausschreitungen in Belgien wurden Reisepässe von Hooligans eingezogen und Meldeauflagen verhängt. Bei der WM in Deutschland mussten rund 3500 Engländer auf der Insel bleiben. Es blieb weitgehend friedlich. Für viele war das die eigentliche Überraschung des Turniers.
http://www.sueddeutsche.de/,kulm1/sport ... 63/102361/
Gerade wir in Deutschland sollten nicht den Fehler machen und mit dem Finger auf andere Länder zeigen, wenn wir selber in der 2. und 3. Bundesliga nicht Herr der Lage sind.