von Nr27
#1527838
Der Umgang mit den Filmproduktionen ist (neben einer generell auf mich recht arrogant wirkenden Haltung der hochrangigen Manager) der Hauptgrund, warum mir als Kinofan Netflix sehr unsympathisch ist und ich den Laden (trotz vieler Serien, die ich sehr gerne sehen würde) boykottiere. Dann doch lieber Amazon, die ganz bewußt darauf setzen, ihre Filme auch relativ breit in den Kinos zu zeigen.
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von str1keteam
#1527839
Ein intimes Charakterdrama in schwarz-weiß und spanischem O-Ton mit Untertiteln wäre natürlich auch breitflächig in ganz Deutschland in allen Multiplexen gelaufen und von Zuschauern überrannt worden. :roll:

Mal ganz davon abgesehen, dass Netflix solchen und zahllosen anderen Nischenproduktionen Budgets zur Verfügung stellt, die kein normales Studio verantworten würde und damit natürlich absolut das Recht hat, es in erster Linie exklusiv zu vermarkten, ist es generell verlogen und weltfremd über den limitierten Alibi-Start zu jammern.

Ein Film wie Roma hätte weder in den USA noch in Deutschland oder irgendeinem anderen nicht-spanischsprachigen Land einen breitflächigen Start erhalten, sondern wäre nur kurz in einigen Großstadtkinos und kleinen Arthouse-Kinos mit technischer Ausstattung aus den 90-ern gelaufen. Wenn so eine unspektakuläre OmU Produktion 250.000 Kinozuschauer in Deutschland anlockt, wäre das selbst mit Oscar-Buzz schon verdammt viel gewesen.

Diese Art von Filmen haben auch die meisten Filmfans schon lange vor Netflix erst im Heimkino (über DVD bis zurück zur VHS) oder im TV sehen können. (Für bildgewaltige Klassiker, die vor der eigenen Zeit im Kino liefen, gilt das Gleiche und auch für The Godfather, Apocalypse Now oder 2001 brauchte es keine riesige Leinwand, um sich in diese Filme zu verlieben. Die Filmfans der 80er oder 90-er hatten nicht mal die heutigen 50 Zoll aufwärts 4K Bildschirme sondern 4:3 Bildröhrenungetüme mit SD Auflösung und im Schnitt 70 cm Bilddiagonale und haben diese Meisterwerke nicht weniger geliebt. Kino mag einen Extrakick geben, aber wenn ein Film gut ist, dann ist er auf allen Flächen gut. Das ein Film nur mit Bombastsound und Megaleinwand sehenswert ist, trifft in erster Linie auf leere Popcornspektakel zu. )

Auch der Punkt, dass man im Heimkino schnell mal vorspulen kann, wenn es langweilig wird, ist in diesem Zusammenhang kompletter Humbug. Die Zuschauer, die sich gezielt an so eine Arthouse-Produktion wagen, spulen ganz sicher nicht vor. Filmbanausen, die im Heimkino vorspulen, würden im Kino vielleicht nicht direkt gehen, aber wahrscheinlich mehr aufs Smartphone als auf die Leinwand schauen oder das Umfeld mit ihrem persönlichen Audio-Kommentar nerven. Im Heimkino von solchen Gestalten oder klugscheissernden Quasselstrippen verschont zu bleiben, ist für mich sogar ein weiterer Punkt, froh zu sein, Roma dank Netflix schon jetzt anstatt erst in 3-6 Monaten sehen zu können.


Wenn The Irishman startet, wird es die gleiche Diskussion geben und auch da werden sich wieder Experten finden, die nur über den Alibi-Kinostart vom Leder ziehen und komplett ignorieren, dass es den Film ohne Netflix nicht geben würde, weil sich jahrzehntelang kein Studio gefunden hat, das Scorsese 100 oder gar die letztlichen 150 Mio für ein klassisches Gangsterepos mit Altstars zur Verfügung gestellt hätte.