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Wie «Marriage Story» das Sympathie-o-meter in Waage hält

Verfasst: So 9. Feb 2020, 15:52
von Quotenmeter.de
Wie «Marriage Story» das Sympathie-o-meter in Waage hält

Eine <i>Spoiler</i>-Analyse: Noah Baumbachs Netflix-Scheidungsdrama «Marriage Story» behält zahlreiche ständig in Bewegung befindliche Teile im Blick, um die Trennung seiner Hauptfiguren ausgewogen zu gestalten.

» http://qmde.de/115721

Verfasst: So 9. Feb 2020, 15:52
von Nr27
Ich stimme zu, daß es insgesamt Baumbach sehr gut gelungen ist, die Balance zu halten. Ja, Charlie trägt wohl mehr Schuld am Scheitern der Ehe und Nicole trägt mehr Schuld am zwischenzeitlichen Scheidungskrieg, aber ich konnte letztlich jederzeit beide sehr gut verstehen - selbst die dummen oder selbstsüchtigen Aktionen.

Widersprechen möchte ich allerdings in der (nebensächlichen) Einschätzung des von Alan Alda verkörperten Anwalts als "Nulpe". Für mich kam der nicht als unfähig rüber, sondern einfach als ein den Kompromiß suchender Anwalt. Klar, daß ein Raubtier wie der Liotta-Anwalt (oder auch Nicoles Anwältin, die IMHO genauso ein Raubtier ist, nur mit netterer Fassade) mehr herausholen kann, aber zu welchem Preis? Ich würde behaupten, für alle Beteiligten wäre es letztlich vorteilhaft oder zumindest nicht nachteilhaft gewesen (und hätte ihnen viel Ärger erspart), hätte sich Charlie auf den bereits ausgehandelten Deal eingelassen ...

Re: Wie «Marriage Story» das Sympathie-o-meter in Waage hält

Verfasst: So 9. Feb 2020, 16:04
von Sid
Nr27 hat geschrieben: Widersprechen möchte ich allerdings in der (nebensächlichen) Einschätzung des von Alan Alda verkörperten Anwalts als "Nulpe". Für mich kam der nicht als unfähig rüber, sondern einfach als ein den Kompromiß suchender Anwalt. Klar, daß ein Raubtier wie der Liotta-Anwalt (oder auch Nicoles Anwältin, die IMHO genauso ein Raubtier ist, nur mit netterer Fassade) mehr herausholen kann, aber zu welchem Preis? Ich würde behaupten, für alle Beteiligten wäre es letztlich vorteilhaft oder zumindest nicht nachteilhaft gewesen (und hätte ihnen viel Ärger erspart), hätte sich Charlie auf den bereits ausgehandelten Deal eingelassen ...
Ich muss zugeben, dass ich den Teil über Alan Alda ziemlich an den Rand gedrängt habe, weil ich mich stärker auf die anderen Aspekte konzentrieren wollte, und da meine Argumentation daher arg verkürzt ist. Aber wenn du eh schon darauf eingehst, führe ich das hier dann gerne was weiter aus:

Aldas Rolle hat definitiv auf menschlicher Ebene den Durchblick. Er liegt vollkommen richtig, dass allen geholfen worden wäre, sich um eine schnelle, friedliche Einigung zu kümmern. Aber gute Intentionen sind nicht gleichzeitig gute Umsetzung. Er ist insofern das Komplementärbild zu Laura Dern, als dass irgendwo tief in dieser ausgebufften und scharf kämpfenden Anwältin tatsächlich dieser wohlmeinende Funke steckt "Der Frau wurde Unrecht angetan, nun gleichen wir das aus". Doch durch ihre Herangehensweise macht sie die Trennung so viel schmerzlicher, als sie bei Charlie und Nicole sonst abgelaufen wäre. Und Alda hat den richtigen Riecher, ist aber sehr luschig in der Umsetzung.

Das sieht man, wenn er zusammen mit Dern eine Sitzung hat und nichts auf die Reihe bekommt und dann beim "Time out" mit Charlie diese ellenlange Anekdote erzählt, die nirgendwo hingeht und Charlie Stundenlohn kostet, ohne dass sie was zur Sache beiträgt oder Charlie beruhigen würde. Ich denke, Aldas Figur wollte das Richtige, kann es aber nicht umsetzen - ein Eindruck, der sich potentiell durch sein Büro schon andeutete. Ich wusste eingangs nicht, ob es ein sympathisches, kleines Büro sein soll als Gegenpol zu den Protzbüros von Liotta und Dern, oder ob es als Loser-Absteige gemeint ist. Aber im Gesamtkontext des Films denke ich rückblickend, dass die Absteige-Lesart beabsichtigt war.

Vielleicht ist meine Einordnung der Figur nun nachvollziehbarer. :relaxed:

Re: Wie «Marriage Story» das Sympathie-o-meter in Waage hält

Verfasst: Mo 10. Feb 2020, 16:20
von Nr27
Durchaus, ist letztlich aber wohl einfach Interpretationssache. Daß der Alda-Anwalt kein Superstar seines Berufsstandes ist, dürfte klar sein. Aber ich finde, letztlich erfahren wir im Film zu wenig über das, was er tatsächlich ausgehandelt hat, um wirklich über die Qualität des Deals urteilen zu können. Als Loser-Anwalt habe ich ihn jedenfalls nicht wahrgenommen, aber ich bin zugegebenermaßen in der Thematik absolut kein Experte und gehe daher in meiner Einschätzung eher nach Gefühl ...