Vittel hat geschrieben: ↑Fr 26. Feb 2021, 15:46
AlphaOrange hat geschrieben:Das ist aber nicht der Auftrag des ÖR, der lautet Grundversorgung und das inkludiert auch Sport und Unterhaltung.
Wann wurde dieser Auftrag formuliert und was hat sich seither geändert? Das hat sich doch seither alles komplett verändert und Fernsehen ist auch nicht mehr so wichtig, wie es früher ein Mal war. Es gibt so viele andere Möglichkeiten, sich zu unterhalten, zu informieren, zu bilden, die Zeit totzuschlagen, als nur TV zu schauen.
Formuliert: in der Form gar nicht. Festgestellt im 4. Rundfunkurteil anno 1986.
Möglichkeiten, sich zu bilden und sich zu unterhalten gabs auch damals schon. Dass die Palette breiter geworden ist, ändert an der Sache selbst wenig.
AlphaOrange hat geschrieben:Warum wird nur privates TV als Alternative zum ÖR gesehen? In der heutigen Zeit konkurrieren doch sehr viele Angebote vor allem um die privat verfügbare Zeit. Wenn auf ARD und ZDF nichts kommt, dann habe ich so viele andere Möglichkeiten, mich zu beschäftigen. In Zeiten des Lockdowns spiele ich z.B. häufiger mit mir fremden Menschen, damit ich mal wieder etwas mehr Kontakt mit anderen habe.
Schön, dass du mit anderen Leuten spielst, aber was hat das nun mit dem Thema zu tun?
Es geht spezifisch um den Rundfunk als bedeutendes Massenmedium, nicht um eine allgemeine Beschäftigungstherapie. Sonst würde der Staat einfach jedem Haushalt ein Paket Monopoly zusenden und hätte seinen Unterhaltungsauftrag erfüllt.
AlphaOrange hat geschrieben:Was ist so schlimm daran, dass lineares und erst recht werbefinanziertes TV erodiert? Der Trend geht halt ganz klar zu VOD und die Zahlungsbereitschaft für Inhalte wächst auch immer weiter.
Ich sage nicht, dass das schlimm ist. Die Zeiten ändern sich halt.
Aber dadurch entfällt halt der freie private Rundfunk als Alternativangebot, was ja gerne als Argument verwendet wird, entsprechende Angebote bei den ÖR zu streichen. "Die Privaten zeigen doch das Gleiche" zieht aber halt nicht mehr, wenn sie mangels Wirtschaftlichkeit eben nicht mehr das gleiche Angebot mehr bieten können, technisch rückständig sind oder sich bezahlen lassen.
"Zahlungsbereitschaft wächst" gilt fast ausschließlich für Sport und Fiction und ist grundsätzlich ein schlechtes Argument, da es ja um die Gewährleistung eines guten Angebots im "freien Rundfunk" geht. Versteckst du alle Angebote hinter Bezahlschranken, dann werden weiterhin bei einem bedeutenden Teil der Bevölkerung die Informations- und Unterhaltungsmöglichkeitene massiv eingeschränkt.
Nun kann man natürlich fragen "Brauchen wir freien Rundfunk?", aber das führt uns weit von der Frage weg, wie stark der Staat ihn fördern sollte, wenn er denn da ist.
AlphaOrange hat geschrieben:Ich sehe da auch frei empfangbares Unterhaltungsfernsehen nicht als einzige Lösung, um den Bedarf ausreichend gerecht zu decken. Es gibt ja auch keine öffentliche Versorgung mit kostenlosen Lebensmitteln, nur weil wir alle einen Bedarf daran haben (Die Suppenküchen und Tafeln sind privat organisiert)
Das kann man jetzt aber genauso als Contra- wie als Pro-Argument sehen

Eine öffentliche Grundversorgung mit einer ausgewogenen und reichhaltigen Palette an Lebensmitteln würde Teilen der Bevölkerung vermutlich sehr gut tun. Auch denen, die eigentlich das Geld dazu hätten.
AlphaOrange hat geschrieben:Dann kann sich jeder seinen VOD Dienst dazubuchen, so wie jeder sich mit den Sozialleistungen auch das Essen kauft, das ihm schmeckt und nicht eine staatlich organisierte Zuteilung, die auswählt, was zu schmecken hat.
Und genau deshalb wird im gleichen Urteil wie oben erwähnt Meinungspluralität als Baustein der Grundversorgung festgestellt, damit der Staat eben nicht festlegt, was dir zu schmecken hat. Ob das immer gelingt, ist eine andere Frage, aber es ist de facto ein Teil des Auftrags.
AlphaOrange hat geschrieben:Ja, das ist heute noch nicht ganz passend, aber wir reden hier von der Zukunft, von den nächsten 10-25 Jahren, wenn weitere 10-25 Millionen des alten Stammpublikums nicht mehr zuschauen bzw. nur noch von oben. Hört sich makaber an, aber es ist nun mal so, dass die jungen Leute übernehmen und die haben ganz andere Vorstellungen von Unterhaltung.
Ein Problem, mit dem man sich definitiv wird auseinandersetzen müssen. Modernes Programm muss aber auch finanziert werden und dazu sind Gebühren notwendig.
AlphaOrange hat geschrieben:Ich kann den Wunsch zur Stärkung der klassischen TV Landschaft ja grundsätzlich nachvollziehen. Ja, das war eine schöne Zeit mit Thommy auf der Couch, mit der Lagerfeuerromatik des TVs, mit den vielen schönen Augenblicken und tollen Unterhaltungsshows. Aber die kommt nicht mehr zurück, das ist vorbei. Das kann man auch mit viel Geld nicht mehr erzwingen.
Darum geht es ja auch gar nicht primär. Jeden ist klar, dass das nicht zurückkehrt.
Und da wird sich auch der ÖR so oder so reformieren müssen. Das man die nächsten hundert Jahre seinen Auftrag in den Kabelnetzen erfüllt mit linearen Sendern, ist nicht vorstellbar. Zumal der Rundfunkauftrag der ÖR sich aus der Position des Rundfunks als "wichtigstes Massenmedium" begründet. Wenn das nicht mehr der Fall ist, wird auch rechtlich der Grundversorgungsauftrag nicht mehr haltbar sein. Es ist dann aber zu überlegen, ob es Alternativen in neuen Medien geben muss. Es ist jetzt schon dringend nötig, sich in diese Richtung zu bewegen, scheitert aber zu häufig entweder am Konservatismus in den ÖR oder wird durch eine zu enge Definition des Rundfunkbegriffs torpediert.