- Mo 26. Nov 2007, 13:09
#403069
... meine Lieblings- Tageszeitung "Berliner Zeitung" schreibt heute - 26.11.07 - dazu:
Miss Piggy war der bessere Pirat!
ProSieben erleidet Schiffbruch mit "Die Schatzinsel"
Jens Balzer
Kläglich gekentert ist die alte Privatfernsehfregatte ProSieben bei dem an und für sich begrüßenswerten Versuch, einen berühmten Stoff der Seefahrtsliteratur neu zu verfilmen. Robert Louis Stevensons "Die Schatzinsel" erzählt die Geschichte des jungen Jim Hawkins, der in der Kiste eines toten Seemanns eine Schatzkarte findet und sich mit der Hilfe eines Barons auf gefährliche Schiffsreise von Bristol in die Südsee begibt; als sie die Schatzinsel endlich erreichen, entpuppt sich ihre Besatzung als Piratenbande .
"Die Schatzinsel" ist ein spannendes, komplexes, vor allem aber: beglückend gut gedichtetes Buch, dessen Lektüre immer wieder von neuem lohnt; die schönste deutsche Übersetzung ist jene von Friedhelm Rathjen, die die kunstvoll antiquierte Seefahrersprache ironisch-wortgetreu überträgt. Gegen solchen Lesegenuss - und die psychologische und metaphorische Tiefe, mit der Stevenson seine Figuren versieht - verblasst jede Kino- oder Fernsehbebilderung. Dennoch gibt es unter den über 50 Verfilmungen einige, die lohnen: die quietschbunte Disney-Variante von 1950 oder der 1972er Film mit Orson Welles als Pirat; am schönsten und intelligentesten ist zweifellos "Die Muppets-Schatzinsel" aus dem Jahr 1996 mit Kermit, dem Frosch, als Kapitän.
Das von Ivo Alexander Beck produzierte Zweiteiler-"Event", das heute und morgen auf Pro Sieben zu erleben ist, leidet demgegenüber an drei Problemen: an lausigem Schauspielerdilettantismus, rätselhaftem Herumgepfusche an der literarischen Vorlage sowie einem entweder malariakranken oder irgendwie unter Drogeneinfluss stehenden Kameramann, der sein Gerät keine gottverdammte Sekunde lang geradezuhalten versteht. Tobias Moretti spielt den einbeinigen Piratenführer Long John Silver mit unentwegt starr aufgerissenen Augen und vorgewölbtem Piratenkinn, was so aussieht, als ob er gerade unter LSD-Einfluss Stuhlgang bekommt; Richy Müller gibt den besonders gesetzlosen Black Dog mit starrer Miene und ondulierter Langhaarfrisur wie ein Nasenbär, der Jean Claude van Damme imitiert. Nett anzusehen ist immerhin André Hennicke, der im zweiten Teil der Geschichte den Schatzinsel-Eremiten Ben Gunn spielt; während dieser im Buch ein halbverhungerter Schüchterling ist (in der Muppets-Version von Miss Piggy dargestellt), gibt Hennicke ihn als schlammverschmierten und Unfug sabbelnden Bruder des "Herr der Ringe"-Gnoms Gollum.
Völlig talentfrei präsentieren sich jedoch die beiden Hauptdarsteller: François Goeske als Jim und Diane Willems als Sheila leiern ihre Texte wie Sprachcomputer hinunter, die auf "altkluges Kind" programmiert sind; wobei Sheila deswegen noch mehr nervt als Jim, weil es sie im Original gar nicht gibt. Die Piratentochter, die in Männerkleidern mit auf Reise geht, wurde deswegen ins Drehbuch hineingeschrieben, um die frauenfreie Story um ein paar quälend schlecht gespielte Teenage-Romanzen-Szenen nach Art von "Die blaue Lagune" ergänzen zu können und außerdem um die ausgiebig genutzte Gelegenheit, knospende nackte Mädchenbrüste von vorne, von der Seite, von oben und unten abwechslungsreich ins Bild zu setzen.
Frau an Bord bringt den Klabautermann: Das weiß jeder Seefahrer. Diese konfus schlaff dahingeschluderte "Schatzinsel" ließe sich jedenfalls auch von der straffsten Piratentochter nicht retten.
Die Schatzinsel heute + morgen, 20.15 Uhr, ProSieben Berliner Zeitung, 26.11.2007
Hoffnung ist auch nur eine Ausrede für Resignation...