vorweg meine an anderer Stelle geäußerte Meinung zum Piloten und den ersten Folgen:
The Killing
Ursprünglich wollte ich nach Game of Thrones und angesichts der unerträglichen Hitze eher leichtere Kost wie eine der Showtime Dramedies einschieben, bei denen ich 1 Staffel hinterherhinke (Weeds, Jackie, Tara, Big C und Shameless), aber nachdem ich trotz Vorsicht schon auf einige Überschriften über das wohl kontrovers bis katastrophal aufgenommene Killing Finale gestoßen bin, ziehe ich den jüngsten AMC-Zögling besser vor, bevor ich noch inhaltlich gespoilert werde. Ich hoffe, dass sich die Enttäuschung nur darauf bezieht, dass das Finale keine eindeutige Auflösung liefert(bitte keinen Kommentar dazu!
), denn damit werde ich als Fan von z.B. Dürrenmatts Das Versprechen kein Problem haben und schon gar nicht wird es mir den Weg zum Finale nachträglich vermiesen können. Zumindest nicht, wenn der sich weiterhin so ungeheuer atmosphärisch und drückend düster gestaltet wie in der Auftaktdoppelfolge.
The Killing ist nicht der Beste der vielen großartigen Neustarts dieser Season(Game of Thrones, Boardwalk Empire, Walking Dead und Lights Out würde ich noch darüber einordnen), aber derjenige, der mich am meisten und positivsten überrascht hat. Wegen der skandinavischen Herkunft der Vorlage und den Beschreibungen, die eine selbst für AMC-Verhältnisse langsame Serie erwarten ließen, war ich auf eine sehr trockene und distanzierte Erzählweise gefasst, aber unter The Killing wabert nicht nur ständig das Gefühl von unausweichlichem Unheil und auf Enthüllung wartenden menschlichen Abgründen, es liegt vom Erzählton näher an Breaking Bad und Walking Dead als an ihren kaltblütigen Vettern (nicht negativ gemeint - wertfreie Feststellung) Mad Men und Rubicon. Die Distanz zu den Emotionen der Charaktere ist gerade groß genug, um nicht voyeuristisch zu wirken oder gar in melodramatischen Kitsch auszuarten.
Durch die Figur des ehemaligen Undercover Cops schafft es sogar gelegentlich ein Hauch von Humor ans selten scheinende Tageslicht (wann hat es zuletzt in einer US-Serie so viel geregnet?). Ein seit Angedenk der TV-Zeit so überbevölkertes Genre wie den Krimi kann man nicht neu erfinden, aber zumindest in den letzten 10-15 Jahren gab es in den USA nichts vergleichbares in diesem Bereich(Twin Peaks ohne den Surrealismus oder ein strafferes Murder One mit Cops kämen mir in den Sinn). The Killing vereint die Stärken von ultradüsteren Vertretern aus Großbritannien, Frankreich und Skandinavien mit der kinoreifen Inszenierung(ich habe zugegebenermaßen nicht übermäßig viele Euro-Thrillerserien gesehen, aber die Red Riding Trilogie war da das einzige, was es mit dem The Killing-Piloten aufnehmen konnte. Luther Staffel 1 z.B. konnte mit den beiden Hauptcharakteren und tollen Twists punkten, war aber optisch eher Standartware und zudem in den Einzelfällen durchwachsen geschrieben), der erzählerischen Cleverness und dem Unterhaltungswert moderner US-Cable/Pay Tv Serials. Wenn das Niveau gehalten wird, ist AMC unabhängig vom Ausgang ein weiterer Homerun gelungen und im Gegensatz zu den traurigerweise gescheiterten letzten beiden FX-Kritikerhits, gibt es ja sogar noch die Chance auf weitere Steigerung. 8,5/10
Von The Killing bin ich nach 9 Folgen nicht mehr ganz so begeistert wie nach dem Piloten. Hier habe selbst ich als Freund von langsamer und breit erzählter Erzählweise gelegentlich den Eindruck, dass die Hauptstory zu zögerlich voranschreitet, weil man rote Heringe in einer unangemessenen Ausführlichkeit verfolgt. Hier wären 10 Folgen pro Staffel wohl die klügere Wahl gewesen. Alles in allem trotzdem noch ein herausragendes Krimidrama voller emotional wuchtiger Szenen. Den ein bißchen an Twin Peaks erinnerenden Score kann man dabei gar nicht hoch genug loben, denn dem ist ein nicht geringer Teil der Atmosphäre zu verdanken. Mal schauen wie der Endspurt bei mir abschneidet. Momentan würde ich noch gute 8/10 vergeben.
So, jetzt habe ich auch das Finale gesehen, dass viele professionelle Kritiker zu empörten Internet-Rowdies werden ließ (ich wette 100:1, dass Typen wie Sepinwall oder Maureen Ryan Staffel 2 trotz ihrer Ankündigung zumindest antesten werden :lol: ) und bin erstaunt und erfreut, dass das Echo hier realistischer ausfiel. Bis zum Twist habe ich überhaupt nicht verstanden, was an der Folge derartige Reaktionen hervorgerufen haben könnte und auch danach kann ich es nur in die selbe Ecke mit der Wut über den Ausklang von Lost oder Galactica einordnen. Völlig übertrieben, vor allem da in der ersten Enttäuschung dann auch der vorher noch größtenteils hoch gelobte Rest krampfhaft schlecht geredet wird, unwichtige Kleinigkeiten als große Makel hochstilisiert oder andere Deutungsmöglichkeiten schlichtweg ignoriert werden.
Z. B. ist es gar nicht 100 % ersichtlich, ob Mr. Perfect nicht doch der Killer ist und es ist keineswegs so, dass Holder jetzt als Maulwurf geoutet und sein Charakter auf den Kopf gestellt wurde. Ein zwielichtiger Creep mit dunkler Vergangenheit war er schon immer und die wahrscheinlichste Motivation für die Beweisfälschung ist nicht die Teilnahme an einer Verschwörung, sondern nur ein Mittel, um wenigstens die Politik-Karriere des Killers zu zerstören. Das eins der wichtigsten Beweismittel eine Fälschung ist, muss in dieser realistischer als 24 oder Damages gehaltenen Welt in einem Verfahren herauskommen, wenn man nicht gerade den halben Gerichtsapparat kauft.
Mit dem Ende oder auch der kurz vor Schluß eingeschobenen Charakter/Bottle-Episode kann ich also sehr gut leben. Bei dieser Art von Thriller ist es eigentlich erfrischend mutig, dass man nicht wie z.B. bei 24 oder Dexter jede Staffel verlässlich im Staffelfinale eine Auflösung liefert und im nächsten Jahr wieder nahe 0 beginnt. Der Dauerregen war neben dem Score eins der wichtigsten Elemente für die Erzeugung der wunderbar düsteren Atmosphäre. Unglaublich, dass selbst der von einigen Seiten kritisiert wird, weil so ein Wetter in der Gegend unrealistisch sei. Erzählt das David Fincher oder generell dem Noir Genre. Das ist ein Stilmittel wie der Dauersonnenschein in CSI Miami und allen USA-Network Serien.
Trotzdem konnte The Killing aber auch bei mir leider nicht alles einhalten was der tolle Pilot versprach.
Schwachpunkte:
-zu viele rote Heringe, die groß als Cliffhanger aufgeblasen und dann in der nächsten Folge nebenbei aufgelöst wurden. Andererseits bin ich froh, dass sie die meisten falschen Fährten schnell verließen, denn der Tiefpunkt der Staffel war die viel zu lange Phase, in der der Lehrer als Hauptverdächtiger behandelt wurde. Auf diese Weise ein aktuelles Thema wie Terrorismus-Paranoia mit in die Handlung zu schleichen, ist keine schlechte Idee, aber die Verknüpfung mit dem Rest ließ zu wünschen übrig. Wenn ich den Zuschauer so lange in eine Sackgasse locke, dann muss es die Handlung auf eine andere Weise entscheidend voranbringen. Von Autoren, die ihre Serie selbst großspurig als Anti-Procedural (oder sowas in der Richtung) bezeichnen und gezielt Genre-Regeln missachten, muss man auch erwarten können, dass sie sich soweit in den Zuschauer hineinversetzen können, um zu wissen, dass in der Mitte der Staffel niemand ernsthaft an die Schuld des Hauptverdächtigen glaubt. Da die Handlung auch für sich gesehen nicht sonderlich interessant war, hat auch The Killing das bei Network-Serials und AMC-Staffeln übliche Spannungsloch in der Mitte. Außer Breaking Bad in Staffel 1+3 ist es keiner AMC-Serie gelungen innerhalb einer Staffel einen fließenden Übergang zwischen dem ersten Höhepunkt und der Endphase zu gestalten. Wie schon gesagt, wären hier 10 Episoden die bessere Wahl gewesen. Damit hätte man immer noch genug Zeit, um ausgiebig in Atmosphäre und Stille zu baden und die Trauer mit angemessener Ruhe und Ausführlichkeit zu beobachten.
-Der Politikplot hätte etwas tiefblickender sein können. Spannung bezog er fast nur daraus, dass man sich jeden der Nebencharaktere als Täter vorstellen konnte. Mein erster großer Tipp war z.B., dass der blonde Kampagnenchef Rosie auf eigene Faust gekillt hat, um seinen Chef zu schützen und einen Skandal zu vermeiden.
-Der Blick in menschliche Abgründe wurde zwischen den ersten Folgen und dem Finale zu lange in den Hintergrund gerückt. Einen hervorragenden Noir-Krimi erkennt man u.a. daran, dass selbst die Guten schmutziger sind als die Bad Guys in normalen Krimis und das man sich nach dem Sehen fast schon schämt, zur selben Rasse wie die Charaktere dieser Welt zu gehören. Verglichen mit dem Dorf in Red Riding wirkte diese Stadt wie das Tal der Glücksbärchis.
-Der Boss des Ermittlungsduos war kaum mehr als eine Karikatur, die man sonst nur in Buddy-Movies auf dem Chefstuhl findet. Das er bei hohen Tieren wie dem Politiker oder dem Milliardär Vorsicht anmahnt und stichhaltige Beweise für die Aufnahme offener Ermittlungen fordert, ist realistisch, aber dieser werte Herr war seinen Ermittlern zu keiner Zeit eine Hilfe und selbst bei scheinbar guten Spuren durchgängig nur am nörgeln.
-das ständige Nikotingummi-kauen ging mir anfangs fürchterlich auf die Nerven. :lol:
Gelobt habe ich beim Piloten ja schon genug, aber um die größten Stärken nochmals zusammenzufassen:
-düstere, dank des Scores stellenweise gar etwas surreale Atmosphäre. Trotz der langsamen Erzählweise (ein weiterer großer Pluspunkt, der durch die intensive Vorbereitung selbst genreüblichen Ereignissen wie dem Fund der Leiche eine emotionale Wirkung verlieh.) war so immer eine gewisse Grundspannung vorhanden.
-Die bewegend nahe, aber nicht voyeuristische Trauerbeobachtung. Man darf hierbei nicht vergessen, dass die Handlung nur 13 Tage umfasst. Natürlich definieren sich die Eltern dabei in erster Linie durch den Umgang damit.
-der hervorragende Cast. Wenn der Buzz nicht gerade zum Ende der Stimmabgabe so empfindlich geschrumpft wäre, könnte man sich jeden Darsteller als ernsthaften Emmy-Kandidaten vorstellen. Die Entdeckung war natürlich das ungewöhnliche Hauptdarstellerduo. Angesichts der zahllosen Vorgänger bei der TV-Mördersuche, ist es wahnsinnig schwer in diesem Genre noch glaubwürdige, aber doch prägnante Ermittler auf den Bildschirm zu bringen, aber Linden und Holder waren von Beginn an echte Originale.
Auch die abschließende Staffelwertung bleibt bei
8/10.
Ich bin sehr gespannt wie man in Staffel 2 die Auflösung des alten Falles mit dem neuen Fall verknüpft, fürchte aber, dass diese Staffel der Abschluß wird. Veena Sud hat es sich durch ihre selbstbewußten Rechtfertigungen komplett mit vielen Kritikern verdorben. Deshalb ist von Anfang an mit großer Skepsis bis zu offener Feindseligkeit zu rechnen. Einige Zuschauer wird man nach dem Finale auch nie wiedersehen. Falls es keine Aufmerksamkeit bei den Preisverleihungen gibt, bliebe da also nicht viel, um AMC zu einer weiteren Verlängerung zu bringen. Hoffentlich ist der Programmchef realistisch genug und drängt darauf, dass Staffel 2 einen echten Abschluß liefert. Ohne spätere Auflösung fände ich so einen Cliffhanger wahrscheinlich nicht mehr mutig, sondern arrogant.
