- Di 29. Jun 2021, 00:41
#1557379
The Collapse klingt wirklich sehr interessant, danke für den Tipp, Neo.
Deadwood (HBO)
Ich habe die letzten paar Wochen Deadwood nochmal komplett durchgeschaut, weil ich endlich den Film von 2019 sehen wollte. Und da ich die Originalserie vor über 10 Jahren zuletzt gesehen hatte, war dies auch dringend nötig.
Grob zusammengefasst erzählt die Serie vom Leben in Deadwood zum Ende der 1800er Jahre, bevor das Western Camp Ende der 70er Jahre das erste Mal fast vollständig abbrannte (soweit kommt die Serie erzählerisch jedoch nicht und der Film ignoriert diesen Umstand vollständig). Die meisten Charaktere sind dabei echten Menschen aus der Zeit nachempfunden, wobei die Serie hier nicht zwingend biografisch die Geschichten abarbeitet.
Das gesprochene Englisch in Deadwood empfand ich jetzt im Rewatch schon als eher schwer verständlich und für mich schwieriger als z.B. ein The Wire, wo ja viel mit Slang gearbeitet wird. Dies liegt sicher auch ein wenig daran, dass David Milch seine Charaktere gerne Shakespeare-artig sprechen lässt und es eben auch kein modernes Englisch wie heute üblich ist.
Vielen dürfte die Serie heute vielleicht noch in Erinnerung sein, da sie 2006 eins der Opfer der damaligen HBO Cancle-Welle war (neben Rome, welches zumindest rechtzeitig vom anstehenden Ende erfuhr und die zweite Staffel inhaltlich mit allen Stories der bevorstehenden Staffeln vollstopfte und Carnivàle welches schon 2005 soweit ich weiß ohne Ende abgesetzt wurde). Danach gab es immer wieder Pläne für eine Wiederbelebung z.B. mit 2 Abschlussfilmen aber aufgrund verschiedener Umstände (u.a. sicher auch dem Erfolg vieler der damaligen Darsteller nach Deadwood in anderen Serien) kam es dann erst 13 Jahre nach Serienende im Jahr 2019 zum Abschluss in Form eines einzelnen Films. Aufgrund des heutigen Gesundheitszustands von David Milch, der an Alzheimer erkrankt ist, wird dies vermutlich auch der Abschlusspunkt für das Deadwood Universum bleiben.
Die erste Staffel von Deadwood ist im erzählerischen Umfang noch eher klein. Es werden viele der bis zum Film wichtigen Figuren und Geschichten eingeführt und man bekommt ein gutes Gefühl für das Camp Deadwood. Schnell wird klar, dass die Serie (HBO typisch) nicht mit Gewalt, Schimpfwörtern und vor allem weiblicher Nacktheit geizt. Ian McShane sticht hier schon in den frühen Folgen definitiv als Lead aus dem Cast hervor, da er den Bar Besitzer Al Swearengen großartig spielt und dies wohl auch bis heute eine seiner absoluten Paraderollen ist. Als Gegenspieler zu Al wird in der ersten Staffel noch Cy Tolliver (Powers Boothe) aufgebaut, der in den späteren Staffeln dann leider etwas in Vergessenheit gerät und böseren Schurken weichen muss. Man merkt der Staffel an, dass die Sets noch eher frisch waren (die Staffel wirkte auf mich optisch deutlich sauberer als dann Staffel 2 und 3) und auch der Cast (inklusive Extras im Hintergrund) ist noch eher klein und weit weniger aufgebläht. Dafür bekommen aber selbst kleinere Nebencharaktere wie Jewel ihre eigenen Geschichten, während das vor allem in Staffel 3 allein aufgrund der Cast-Größe nicht mehr möglich ist. Die Staffel endet relativ in sich geschlossen und steht auch gut für sich allein. Schon die erste Staffel weiß vor allem durch ihre Erzählweise zu begeistern und spätestens am Ende der Staffel sind einem alle zentralen Figuren sehr vertraut und ans Herz gewachsen.
Staffel 2 startet dann relativ fulminant mit einer Doppelfolge, die auch vom Grundton etwas von Staffel 1 abweicht (teils bewusst komischer, teils dramatisierter als noch in Staffel 1) und ist der Beginn der großen George Hearst Story, die letztlich alles Folgende stark dominiert. Der Cast wächst in Staffel 2 nochmal um einige Figuren an und kreativ erreicht die Serie hier ihren Höhepunkt, da die Staffel konsequent eine Geschichte erzählt, die im Finale exzellent aufgelöst wird und Lust auf Staffel 3 macht.
Staffel 3 ist dann leider ein zweischneidiges Schwert. Zum einen habe ich glaube ich bisher keine andere Serienstaffel gesehen, in der die Spannung sich wie ein fast explodierendes Pulverfass von der ersten bis zur letzten Folge extrem aufbaut, getrieben durch die Konfrontation zwischen den Bewohnern von Deadwood und George Hearst (ekelhaft exzellent gespielt von Gerald McRaney). Zum anderen ist dies aber auch die Staffel, die als Teil einer Geschichte gedacht war, die erst mit Staffel 4 abgeschlossen werden sollte. Sinnbildlich hierfür steht sicher die Geschichte rund um die Theater Truppe, die hoffnungslos unnötig ist und extrem viel Zeit der Staffel auffrisst, ohne irgendeinen Payoff zu liefern. Einzig überzeugend war für mich hier Brian Cox als Jack Langrishe, während ich vom Rest der Truppe nicht mal die Namen behalten habe. Generell muss man Milch hier auch kritisieren, dass er einfach zu viele neue Charaktere (10+) in einen eh schon vollen Cast geschmissen hat. So bekommen in Staffel 3 viele der bekannten und liebgewonnenen Charaktere kaum noch Screentime und versauern etwas als Stichwortgeber, während die Theater Truppe im heutigen Rückblick auf die Staffel unnötig Zeit vergeudet. Das Ende der Staffel ist dann auch eher offen und ließ zumindest mich damals unbefriedigt zurück, da erstmal klar war, dass es vorerst keine Fortsetzung geben würde.
Vermutlich aufgrund der 13 Jahre Zeitabstand konnte oder wollte Milch die Seriengeschichte mit dem Film dann nicht wie ursprünglich geplant abschließen. Der Film verkommt dadurch etwas zu einer Art Reunion Show (immerhin hat man es geschafft, fast alle Darsteller wieder dabei zu haben, natürlich mit Ausnahme der in der Zwischenzeit bereits verstorbenen Schauspieler Powers Boothe und Ralph Richeson sowie Titus Welliver, der durch Bosch verhindert war). Zeitlich spielt der Film im Serienuniversum etwa 10 Jahre nach Serienende. Alles ist etwas moderner, Deadwood ist an das Schienennetz angebunden und es läuft der Ausbau der Telefonmasten. Die Theater Truppe (noch ein anscheinend wichtiger Teil von Staffel 3 in Milchs Vision) kommt im Film überhaupt nicht mehr vor. Man besinnt sich zurück auf die ursprünglichen Charaktere, die die Serie so stark gemacht haben. Durch den Zeitsprung bekommen wir natürlich auch einen gewissen Einblick, wie sich das Leben der Charaktere entwickelt hat. Storytechnisch tappt der Film leider in die Falle, quasi die Geschichte der letzten 2-3 Episoden der Serie nochmal erneut zu erzählen nur eben 10 Jahre später. Viel mehr möchte ich aufgrund von möglichen Spoilern dazu gar nicht schreiben, aber ich hatte eher eine Auflösung wie ursprünglich nach Staffel 3 angedacht erwartet und keine thematische Wiederholung der letzten Folgen der Serie. Dennoch war es schön, wirklich fast den kompletten Cast nochmal glänzen sehen zu dürfen und die meisten Figuren bekommen mehr oder weniger einen etwas runderen Abschluss als noch mit dem Ende von Staffel 3. Da verzeihe ich dann auch die Story (die, wenn man sich die thematische Wiederholung wegdenkt, dennoch wieder sehr spannend und mitreißend erzählt wird).
Ich könnte noch viel mehr zu Deadwood schreiben, zum tollen Vorspann (den ich im Rewatch in jeder Folge voll geschaut habe), oder zu den tollen Charakter Duos- und Trios, die sich im Laufe der Staffeln entwickeln und eins der vielen Highlights dieser tollen Serie darstellen. Aber lange Rede, kurzer Sinn: Deadwood ist für mich auch heute noch, so viele Jahre nach dem Ende der Serie, eine der besten Serien der letzten Jahrzehnte, die man unbedingt gesehen haben sollte.
Wer übrigens Interesse an detaillierten und eloquenteren Analysen auf Episodenebene hat, dem kann ich nur die Artikel von Emily VanDerWerff zu Deadwood dringlich ans Herz legen.
Season 1 – 8.5/10
Season 2 – 9/10
Season 3 – 8/10
Film (2019) – 7.5/10
Élite – Season 4 (Netflix)
Nach der hohen Kunst von Deadwood habe ich die neue Staffel meines Netflix guilty pleasures Élite geschaut. Im Vorfeld zu Staffel 4 gab es vier Kurzgeschichten-Staffel mit je drei Episoden (eine „Staffel“ hat dabei effektiv etwa die Laufzeit einer regulären Folge). Diese Kurzgeschichten schließen einige der aus Staffel 3 noch offen gebliebenen Geschichten ab und stellen gleichzeitig bereits den zentralen Handlungsort von Staffel 4 vor. Man muss sich das ein bisschen wie Anime OVAs vorstellen, die zwischen zwei Staffeln laufen. Muss man nicht gesehen haben, für Fans aber nette kleine, in sich geschlossene Geschichten mit den bekannten Charakteren.
Nachdem mit dem Ende von Staffel 3 ein gewisser Umbruch stattgefunden hat, stoßen in Staffel 4 einige neue Charaktere zu den verbliebenen Alt-Charakteren dazu. Die neuen Darsteller machen ihren Job gut und fügen sich gut in den Cast ein.
Leider sind den Schreibern der Staffel wohl aber etwas die Ideen ausgegangen. So fühlt sich vieles an wie eine Wiederholung der ersten Staffeln. Das geht soweit, dass im Grunde die komplette Charakterentwicklung von Guzmán aus den ersten drei Staffeln weggeschmissen wird und er wieder wie in Staffel 1 agiert. Auch die Geschichte rund um Ander und Omar und deren Auflösung im Finale ist nicht wirklich nachvollziehbar.
Die Macher setzen in Staffel 4 vermehrt auf Sex statt Story. Auch die früheren Staffeln waren hier nicht gerade prüde, in Staffel 4 hatte ich aber teilweise schon das Gefühl gehabt, dass man hier bis knapp vor die 18er Grenze rangehen wollte, um die Mängel bei der Story zu kaschieren. Es gibt also ausgiebige Sex Szenen, im Grunde in jeder Folge, die nett anzuschauen sind (immerhin ist der Cast durchgehend sehr attraktiv), aber der Story hilft das nicht wirklich weiter.
Ansonsten ist Élite ja dafür bekannt, jedes Jahr ein großes Geheimnis aufzuwerfen, welches dann im Finale meist spannend aufgelöst wird. Im Grunde wie eine Mischung aus How to get Away with Murder und Gossip Girl. Leider ist auch das Geheimnis von Staffel 4 deutlich schlechter umgesetzt als in den vorherigen Staffeln. Die Flash Forwards sind durchgehend deutlich schlechter als beispielsweise die Vernehmungsszenen in Staffel 3. Während das Geheimnis sonst immer sehr zentral verwoben mit allen Charakteren war, ist dies diesmal leider nicht wirklich so und die Auflösung hat mich relativ enttäuscht zurückgelassen.
Das hört sich jetzt alles schlimmer an, als es am Ende ist. Immerhin entfacht die Serie dennoch noch ihren Binge-Sog und endet mit einem Mini Cliffhanger für Staffel 5. Die acht Folgen habe ich ruck zuck in zwei Tagen weggeschaut und trotz der eher schwächelnden Story meinen Spaß gehabt. Das liegt vor allem auch an den im Grunde sympathischen Charakteren und der meist lockeren Erzählweise der Serie und den tollen Bildern. Für die bereits abgedrehte Staffel 5 erhoffe ich mir aber, dass man hier mit der Story die Kurve kriegt und die Serie wieder mehr auf eine spannende Geschichte setzt, die auch mit der bisherigen Charakterentwicklung konsistent ist.
6.5/10
Love, Victor – Season 2 (Hulu)
Mir ist heute aufgefallen, dass ich letztes Jahr zur ersten Staffel von Love, Victor gar nichts geschrieben habe. Das liegt vermutlich daran, dass die Staffel doch eher konventionell war und eine typische Coming Out Geschichte mit netten Nebencharakteren erzählt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Im Grunde baut die Serie auf dem Universum aus dem Film Love, Simon (2018) mit Nick Robinson auf. Wirklich gesehen haben muss man den Film aber nicht, um mit der Serie Spaß zu haben (man versteht nur vielleicht eher, wer überhaupt Simon ist und freut sich über einen kurzen Auftritt jeweils gegen Ende der Staffeln).
In den letzten zwei Tagen habe ich jetzt Staffel 2 gesehen und diese ist zumindest für mich nochmal eine deutliche Steigerung zur ersten Staffel.
Dies liegt vor allem an den Themen, die sich die Serie traut zu behandeln, und an der gelungenen Mischung aus Comedy in der einen Szene und Drama in der anderen. Staffel 2 gibt uns z.B. endlich einen besseren Einblick in das Familienleben von Felix und den psychischen Problemen seiner Mutter (von beiden, Anthony Turpel und Betsy Brandt, wirklich super und überzeugend dargestellt). Auch die Geschichte, wie die Eltern von Victor mit dem Coming Out umgehen fand ich sehr gut umgesetzt. Hier ist eben nicht gleich alles wie im Hollywood Klischee (auch wenn sich das, so viel darf man sicher verraten, zum Ende der Staffel natürlich zum Positiven wandelt). Dennoch war ich überrascht, dass man diese Art der Darstellung gewählt hat. Ein weiterer Pluspunkt, vor allem im Vergleich zu vielen anderen Teenie Serien ist, wie gelungen hier doch in allen wichtigen Beziehungen in Staffel 2 eine dritte Person integriert wird. Und das ist nicht wie üblich hinterlistig oder ähnliches, sondern es sind immer nette, sympathische Figuren. So endet die Staffel im Grunde darin, dass man ganze drei Dreiecksbeziehungen erzählt, ohne das dies unangenehm aufgefallen ist. Das können nicht viele Serien.
Abzüge bekommt Staffel 2 für die restlichen ansonsten doch noch immer eher klischeehaften Teen-Stories und die jeweilige Vorhersehbarkeit sowie für den kleinen Bruder von Victor, der einfach nicht gut geschrieben ist (mal agiert er / wird behandelt wie ein sehr junges Kind, in einer anderen Szene fragt er sich dann, ob er auf Cougars steht – leider total unglaubwürdig).
Insgesamt überwiegen hier aber ganz klar die positiven Aspekte und Staffel 2 ist eine deutliche Steigerung gegenüber Staffel 1. Staffel 2 endet übrigens genau wie Staffel 1 wieder mit einem Cliffhanger. Wollen wir mal hoffen, dass Hulu dieser doch sehr sympathischen Serie eine dritte Staffel spendiert.
8/10