- Fr 27. Mär 2020, 12:41
#1542847
Auch wenn mich viele Episoden zumindest ganz gut unterhalten haben ist das Gesamtfazit zur Serie doch eher mau. Star Trek Picard macht jede Episode den Eindruck, jetzt erstmal langsam etwas für die jeweils nächste aufbauen zu wollen. Die Show braucht die halbe Staffel, um ihre Charaktere einzuführen, die sie im Endeffekt kaum ausspielt. Und bringt dann ein Finale, das die Seite retrospektiv nicht besser macht, will es relativ vorhersehbar ist und sein Setup nicht ausreizt. Erzählerisch passt das hier einfach hinten und vorne nicht. Handlungsstränge, die ins Leere laufen, Setups, die Ewigkeiten brauchen, um dann binnen einer Minute egalisiert zu werden. Ruhepausen, wenn die Serie gerade Tempo bräuchte. Ein Mysterium, das am Ende so banal ist, weshalb man auch achteinhalb Folgen lang quasi gar nichts darüber erfährt.
Charaktere
Die Crew gefällt mir ganz gut. Rios samt seinen holographischen Helfern ist super, Raffi gefällt mir, Picard und Seven sind beide clever fortgeschrieben worden und nicht bloß äußerlich gealterte Kopien ihrer früheren Ichs. Agnes wurde durch verkorkste Drehbücher leider verpfuscht, da sie ständig die Seiten wechselt, der Mord an Maddox fast ignoriert wird und die Romanze mit Rios völlig sinnfrei ist. Und Elron... sag ich besser nix zu.
Wenn es so ist wie das Ende andeutet und Seven nun fester Teil der Crew ist - umso besser.
Die Borg
Was zur Hölle sollte das bitte werden? Die gesamte Borg Storyline ist von Anfang bis Ende komplett disconnected zum Rest außer dass sich Soji rein zufällig dort befindet. Die Synths haben mit den Borg nichts zu tun und als ein bisschen Action aufkommt und Seven den Würfel unter Kontrolle bringt stürzt das Ding einfach ab und liegt nur noch auf dem Planeten rum.
Dazu fand ich auch das Design des Borgwürfels leider sehr enttäuschend.
Data
Tatsächlich entpuppt sich Star Trek Picard am Ende als eine Staffel über Data. Beginnend mit seiner scheinbaren Wiedergeburt, endend mit seinem endgültigen Vergehen. Für mich der stärkste Teil des Finales. Überhaupt großartige Performance von Brent Spiner. Das hier ist ein schönes Finale für Commander Data, das einen rückblickend auch mit Nemesis besser leben lässt.
Picard
Die schauspielerische Leistung von Patrick Stewart ist über jeden Zweifel erhaben. Die Darstellung Picards in der Serie finde ich sehr zweifelhaft. Picard ist ein Dickkopf, ein Einsiedler, der seine Freunde in Stich gelassen hat und nun überall Gefallen einfordert. Eine gefallene Ikone, die nicht einsehen will, dass ihre Zeit vorüber ist. Picard schwafelt viel und hat viel zu oft Unrecht, auch wenn die Serie dann gerne so tut als wäre es nicht so.
Und das Ende... oh weh. Mal davon abgesehen, dass es so unfassbar vorhersehbar war, weil man nicht müde wurde, zu zeigen, dass seine Zeit vorüber ist, Stewart gleichzeitig schon überall seine Vorfreude auf Staffel zwei verkündete und der Synth-Rohling bereits sehr prominent vorgestellt wurde: Wo ist der Gegenwert dieser kruden Story, einen der strahlenden Helden des Franchises nun als Android fortleben zu lassen, nicht ohne binnen weniger Minuten zu klären, dass dieser so menschlich ist, dass man es nie wieder wird erwähnen müssen? Sein Tod vorher hatte keinen dramatischen Wert, da seine Auferstehung klar war. Und aus der Krankheit selbst hat die Staffel auch nahezu kein dramatisches Potential geschlagen. So bleibt das typischer New-Trek-Bullshit.
Bezüglich beider, Picard und Data, wäre es schön gewesen, wenn man sich in der Staffel etwas mehr damit auseinander gesetzt hätte, was biologisches und synthetisches Leben überhaupt noch unterscheidet. Das Potential war da, würde aber nie wirklich ausgeschöpft.
Zeit, Länge, Masse
Wie schon Discovery so schert man sich auch bei Picard nicht mehr sonderlich, dem Universum eine Größe zu geben. Besonders in finalen Zweiteiler fällt auf, wie Charaktere ständig binnen Sekunden zwischen meilenweit entfernten Schauplätzen wechseln. Die Menge an Schiffen, die Starfleet einfach mal so vorbeisendet (wie die Klingonen in Disco kommen natürlich auch alle gleichzeitig an und leider sehen die Schiffe alle relativ langweilig und ähnlich aus) ist geradezu absurd. Die Zeit, in der sich Riker nach einem Jahrzehnt des Pizzabackens wieder zum Dienst meldet und nun offenbar das Flaggschiff (!) der ganzen Flotte kommandiert ist geradezu lächerlich.
Das Gefühl, dass der Weltraum riesig und unerforscht ist, die Reise ein Abenteuer an sich, ist dem Franchise leider komplett abhanden gekommen.
Das Mysterium
Große Frage: hatten die Zhat Vash nun eigentlich Recht? Hätte es nicht den liebenswerten Opa Picard gegeben, der seine Ziehenkelin mit einem typischen Appell an die Moral in letzter Sekunde aufgefallen hätte - ja, dann hätte die Sternenflotte da gerade die Auslöschung allen organischen Lebens verursacht. Die Romulaner hätten es hingegen verhindert. Auf Kosten einiger Androiden (man erinnere sich: die Föderation hat ihre auch schon abgeschaltet, sprich: umgebracht) und eines Dr. Soong, von dem offenbar eh niemand wusste, dass der dort war. Das wäre irgendwie doch ein verdammt guter Plan gewesen, oder? Auch ein bisschen seltsam, wie die nach tausenden Jahren Vorbereitung am Ende tatenlos abziehen, obwohl die Synths ja noch alle da sind, nur weil Starfleet auf ihre Territorialrechte pocht. Dieselben Romulaner, die die Vernichtung der Marsbasis im Herzen des Sonnensystems bewirkt haben.
Look and Feel
Visuell kein solches Bonbongewitter wie Discovery, das tut der Serie allerdings nur gut. Was nach Sternenflotte aussehen soll, sieht nach Sternenflotte aus, die La Sirena deutlich rustikaler ohne düster zu wirken. Die Landschaften sind schön, die Effekte sauber. Das Camp von Dr. Soong hat mich mit seinen hellen Designs und mit all seinen leicht bekleideten Androiden irritierend wohlig an die trashige Frühzeit von TNG erinnert. Die Weltraumorchideen, so albern sie sich waren, sähen schon ziemlich cool aus. Nur wie bereits erwähnt kann ich mich mit dem sterilen Design des Würfels nicht anfreunden.
Musikalisch gut mit zahlreichen Zitaten, teils aus ganz alten Zeiten. Aber Fan Service wird in der Serie ja groß geschrieben.
In der zweiten Staffel bitte keine neue Charakterstudie von Old Man Picard. Von mir aus kann der sich wie zu guten alten Zeiten gerne zurücknehmen und als Captain auf der Brücke verbleiben. Die anderen Charaktere mehr ausspielen. Story! Wenn die nicht für eine Staffel reicht, dann gerne auch zwei, drei abgeschlossene Geschichten. Der Transit ins vollständig horizontale Erzählen gelingt bei Star Trek ja offenbar nicht und ist vielleicht auch gar nicht erstrebenswert. Stange New Worlds! Boldly going ...
