- Di 14. Sep 2010, 01:06
#878041
Dann geb ich doch auch mal meine Season 3 Einschätzung zum Besten, nachdem ich den Thread hier in letzter Zeit eher gemieden habe. Aber das gebitche hier ging mir einfach zu sehr auf die Nüsse. Himmel, immer wenn es mal 5 Minuten ohne fucked-up-shit Szenen gab, ging hier gleich das Genöle los wie langweilig doch alles sei und überhaupt Bill und Sookie bähh und warum gibts nicht nonstop Eric presents Blut und Morde. Hier hat sich eine sehr sonderliche Erwartungshaltung an eine Dramaserie verbreitet.
Dabei hatte Staffel 3 sogar sehr viel zu bieten. In meinen Augen deutlich mehr als die vorigen zwei, wo der Hauptplot sehr linear gebaut war. Da war immer klar wohin die Reise gehen würde und dass es in den letzten zwei Folgen auf einen recht konventionellen Showdown mit bad guy/goddess hinausläuft. Das fand ich diesmal deutlich interessanter und clever verwinkelter.
Wenn S3 ein Problem hatte, dann höchstens, dass es schon überladen war, weil man auch jedem Nebencharakter was zu tun geben wollte. Da kam es dann nur leider, dass nicht jeder dieser Stränge über 12 genug Zeit bekommen konnte, um auch konstant interessant zu bleiben. Die Chrystal Geschichte ist ja im Kern nicht schlecht, sie war nur zu gedehnt. Aber ohne hätte Jason nix zu tun gehabt als comic relief und das wäre auch zu wenig für den Charakter. So hat man ihn halt auf etwas umständlichem Weg in eine recht interessante Verantwortungssituation für die nächste Season gebracht.
Ähnliches mit Sam und seiner Familie. Wer bei ihm aber die kriminelle Vergangenheit künstlich nachgebaut findet oder ihn gar für eine "Art Priester" gehalten hat, hat die letzten zwei Staffeln schlecht aufgepasst. Schon am Ende von Season 1 haben wir erfahren, dass er anderen Leuten Geld abgezockt hat. Auch Maryann hatte er bestohlen. Das wurde nur niemals in ein kritisches Licht gerückt und schien gerechtfertigt, weil sie sich ja als mörderische Halbgöttin entpuppt hat. Was da in den letzten 2-3 Folgen kam, hat sich schon sehr lange aufgebaut. Es wurde nur etwas abrupt enthüllt wie weit das wirklich ging. Aber das trifft ja auch seinen Charakterzug, der jetzt im Gespräch mit Tara genau auf den Punkt gebracht wurde: er hat sich immer vor seiner Vergangenheit und Verantwortung versteckt und war einfach nur schnell genug im davor weglaufen. Tommy ist da ein ganz passender Spiegelcharakter zu ihm.
Arlene und Terry waren da schon etwas zäher. Die Beziehung der beiden birgt zwar ganz witzige Szenen, aber die Schwangerschaft ist ein etwas fleischloses build up für die nächste Season und endet eher ereignislos. Nur Lafayettes neuer Blick für die verborgene Natur der Dinge lässt ahnen, dass da wirklich Renes böses Saat in ihr reift. Das gleiche gilt für seine Beziehung zu Jesus: gute Szenen, aber wenig aktuell relevante Storysubstanz. Immer amüsant, aber völlig belanglos waren Hoyt und Jessica. Der Humor war zwar schön und das Feeling zwischen den beiden stimmt auch, aber die hatten den mit Abstand seichtesten Anteil der Story.
Die Nebenrollen hatten somit zwar alle ihre kleinen, eigenen Stories, die auch durchaus unterhaltsames Füllmaterial boten, aber eben zu losgelöst von der Haupthandlung waren. Die Stränge haben sich zu wenig überschnitten und gekreuzt, um mehr Interaktion zwischen die ganzen Rollen zu kriegen. Jeder kocht sein eigenes Süppchen.
Dafür war die Haupthandlung in meinen Augen bärenstark!
Angefangen bei Bills Entführung durch Werwölfe hat man so einen cleveren Bogen zu Russel und seinen Machtambitionen gespannt. Bill trat mal nicht nur als Sookies Beschützer und Liebhaber auf, sondern war hier undercover in einen Herrschaftskampf zweier Königreiche verwickelt, gewürzt durch die Beteiligung von Eric und Lorena. Eric unter inquisitorischem Druck als devoter Besucher, Bill auf Abwegen in seine abgründigere Vergangenheit und Sookie unter Werwölfen war ein extrem spannender und faszinierender Aufbau. Vertrauen und Verrat zog sich wunderbar durch die ganze Season und genau dieser Kernkonflikt hat sich im Finale hervorragend auf das zentrale Figurendreieck fokussiert. Das find ich viel interessanter als einen ausgedehnten Russel-Action-Showdown. Von Beginn an gehegte Geheimnisse kamen ans Licht, Vertrauen wurde verletzt und das Beziehungsgeflecht kräftig erschüttert. Zwar matt gesetzt, aber nicht gepfählt, konnte Russel noch als Gefangener Salz in die Wunde streuen und wird zum Glück nicht endgültig entfernt. So einen grandiosen Antagonisten muss man einfach konservieren. Lorena und Franklyn waren zwar auch großartige Schurken, aber die hätten dauerhaft einfach keinen Platz mehr in der Story gehabt und hatten ihr Pulver dann auch schnell aber in vollen Salven verschossen. Russel hat aber neben seiner möglichen Rache-Rückkehr (und allein für den Abfallzerkleinerer müsste er noch ein etliche Jahre ziemlich pissed sein) noch die Verbindung zur globalen Ebene: den vampire authorities, von denen wir sicher noch hören werden.
Für mich war Season drei auf jeden Fall ein toller Ritt. Wer einen thrill-ride mit nonstop Loopings und Schrauben erwartet hat, mag vielleicht enttäuscht sein, wenn es zwischendurch mal eine ruhige Panorama-Strecke für den breiten Nebencharakter-Cast gab, aber auch wenn mich davon nur die Hälfte interessierte, fand ich die Balance dennoch gut. Denn dieser Dramapart erdet True Blood erst und sorgt für den Kontrast, der den abgefahren, heftigen Momenten erst den richtigen Kick gibt. Noch dazu war es die unvorhersehbarste Season, die mich einige Male toll überrascht hat - und das mit Episodenkernstücken und nicht nur Cliffhangern. Für Season 4 wünsche ich mir nur, dass die Nebencharaktere wieder mehr an einem Strang ziehen und nicht jeder isoliert sein dünnes Fädchen verfolgt. Ansonsten war das die bislang deutlich beste Staffel und ein starkes, ziemlich vollgepacktes Finale.
"And in that moment, I swear we were infinite."