- Do 22. Dez 2011, 20:22
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Der Gott des Gemetzels
Im Brooklyn Bridge Park in New York prügeln sich elfjährige Schüler auf einem Spielplatz. Als einer der Jungen zu einem Stock greift und damit ins Gesicht seines Kontrahenten schlägt, fallen diesem zwei Zähne aus. Um den Vorfall vernünftig zu klären, laden die Eltern des Verletzten, Penelope (Jodie Foster) und Michael (John C. Reilly), die Eltern des anderen Jungen, Nancy (Kate Winslet) und Alan (Christoph Waltz), in ihre Wohnung ein. Sie können sich schnell darauf verständigen, den Streit beizulegen und künftig wieder getrennte Wege zu gehen. Doch die Eintracht ist nur von kurzer Dauer, denn bereits beim anschließenden Kaffee kommen die beiden Paare wieder auf das Thema zurück und verzetteln sich in ein weiteres Streitgespräch. Und schon bald bröckelt die Fassade der spießbürgerlichen Kultiviertheit, die zahlreichen Vorurteile beider Paare kommen ans Licht und unter fleißiger Mithilfe eines ausgezeichneten Rums entflammt ein verbitterter Streit...
Erst seit wenigen Wochen läuft dieser Film in den deutschen Kinos. Er ist eine Co-Produktion französischer, deutscher und polnischer Filmemacher und hat eine äußerst kurze Laufzeit von nicht einmal 80 Minuten. Das gleichnamige Theaterstück der französischen Dramatikerin Yasmina Reza war einer der größten Erfolge der jüngeren Vergangenheit. Da Regisseur Roman Polanski aufgrund eines Haftbefehls noch immer nicht in die Vereinigten Staaten einreisen darf, wurde in Paris gedreht. Dies macht aber keinen besonders großen Unterschied, da ohnehin fast das komplette Stück in einer Wohnung spielt und der Zuschauer nur durch Fenster im Wohnzimmer überhaupt etwas von der Außenwelt wahrnimmt. Da der Film von Kritikern und "normalen" Kinogängern fast durchweg gute Kritiken bekam, musste ich natürlich auch einmal reinschauen.
Wer bei dem Titel auf einen guten Horror-Schocker hofft, der wird natürlich bitterlich enttäuscht sein. Wobei diese mühsam errichtete spießbürgerliche Heuchel-Fassade zu Beginn natürlich zweifelsfrei schon der reinste Horror ist. Beide Elternpaare bemühen sich zu Beginn krampfhaft um Höflichkeit und Freundlichkeit, Mutter Longstreet tippt sogar ein Schreiben nieder, das den Tathergang schildern soll. Doch schon relativ schnell wird dem Zuschauer klar, was die Protagonisten wirklich voneinander halten. Der eine oder andere kritische Unterton oder argwöhnische Blick ist bei genauem Hinsehen schon nach wenigen Sekunden auszumachen. Doch alle Beteiligten wollen die Sache möglichst schnell hinter sich bringen, vor allem der dauerbeschäftigte Alan kann es gar nicht abwarten, zu verschwinden. Zu Beginn ist die Szenerie relativ eindeutig und auch klar durchschaubar: Beide Paare halten zueinander und versuchen mehr oder minder diplomatisch, ihre Abneigung gegenüber den anderen zu verbergen.
Doch nachdem einige Versuche, sich würdevoll voneinander zu verabschieden, stets an Kleinigkeiten scheitern, kommt allmählich Würze in die Veranstaltung. Der Ton wird schärfer, die Unterstützer für die einzelnen Positionen wechseln stets und es offenbaren sich immer mehr Verschiedenheiten zwischen den vier Personen. Als dann noch der Alkohol ins Spiel kommt, wird es richtig krude. Das alles ist wirklich genüsslich anzuschauen, da die vier Hauptdarsteller erwartungsgemäß großartige Leistungen abliefern und die Situation zwar immer undurchsichtiger, nicht aber unrealistischer wirkt. Zumindest mir kommt sehr viel davon nur allzu bekannt vor und mein kleiner Gott des Gemetzels hat sich auch schon immer mal gefragt, was denn passieren könnte, wenn wirklich mal alle Hüllen fallen gelassen werden. Ich denke, sehr viel davon sieht man in diesem Film.
Auch halte ich es immer wieder für eine ganz besonders starke Leistung, mit ganz wenigen Darstellern und nur einem Ort dennoch für Spannung zu sorgen, gerade in einem Kinofilm. Dass dies so hervorragend klappt, ist sicherlich hautsächlich den vier Hollywoodstars geschuldet, aber auch dem Regisseur. Polanski holt hier sehr viel heraus, wobei auch eine Entwicklung zu sehen ist: Je stärker die Situation eskaliert, desto näher kommt die Kamera auch den Akteuren. Am Ende sieht man jede einzelne Falte in Fosters von hysterischer Wut gezeichnetem Gesicht. Sehr stark.
Abzüge gibt es von meiner Seite dann aber für das etwas enttäuschende Ende, das man konsequent nennen kann, für mich jedoch etwas einfallslos daher kommt. Ich hätte mir schon eine echte Auflösung des Streits gewünscht, in welcher Form auch immer. Auch die sehr knapp bemessene Laufzeit ist für mich ein Grund, hier abzuwerten, eben gerade weil hier gewiss noch Zeit für ein gut geschriebenes Ende gewesen wäre. Ansonsten aber ein sehr gelungener Streifen, den man sich auf jeden Fall einmal ansehen kann. Er ist weder zu anspruchsvoll für etwas bedingter nach Anspruch dürstende Gemüter, noch wird er wirklich platt. Und vielleicht sympathisiert man ja am Ende sogar ein bisschen mit einer der Figuren. Bei mir war es Alan bzw. Christoph Waltz.
7,5/10
Fohlen