von Waterboy
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Freispruch im "Ehrenmord"-Prozess

Im Zweifel für den Angeklagten: Dieser alte Rechtsgrundsatz hat am Freitag im Hagener Ehrenmord-Prozess einen 38-Jährigen vor einer langjährigen Gefängnisstrafe bewahrt. Der Türke war angeklagt gewesen, am Silvesterabend in Iserlohn die ehemalige Lebensgefährtin seines Bruders und deren neuen Freund auf der Straße aus nächster Nähe mit Kopfschüssen getötet zu haben. Tatmotiv soll die Wiederherstellung der Familienehre gewesen sein. Aus Mangel an Beweisen wurde der Mann nun freigesprochen.

"Unerträgliches Kesseltreiben"
Das Opfer hatte über fünf Jahre mit dem Bruder des Angeklagten zusammengelebt. Im August 2005 trennten die beiden sich. Die Frau haben den Ex Freund den Kontakt mit dem gemeinsamen damals 2 Jahre alten Sohn verboten. Nach der Trennung schikanierte ihr ehemaliger Partner die Frau. Dies eskalierte, als sie eine neue Beziehung einging. Der Vorsitzende Richter Horst Werner Herkenberg sprach in der Urteilsbegründung von einem "unerträglichen Kesseltreiben" mit Einschüchterungsversuchen, Beschimpfungen, Auflauern und sogar Todesdrohungen. Dem Mann sei zeitweise gerichtlich verboten worden, sich der Frau zu nähern. Drei Wochen vor der Tat kam es zu einer Schlägerei zwischen den Familien des neuen Partners und des Angeklagten, bei der auch Eisenstangen zum Einsatz kamen.


Mord in der Silvesternacht
Dramatisch dann die Ereignisse in der Silvesternacht. Als sich gegen 23.20 Uhr die 32-Jährige, ihr Freund und ein 19-jähriger Cousin am Rande einer Silvesterfeier auf der Straße aufhalten, kommt aus dem Halbdunkel der Täter, ruft "Du Frau, die ein liederliches Leben führt" zu der Frau und schießt aus höchstens 50 Zentimetern je zweimal in die Köpfe der Opfer. Ein weiterer Schuss trifft den Kopf des Cousins, der jedoch trotzdem fliehen kann und sogar noch selbst die Polizei verständigt. Er überlebt schwer verletzt. Den Täter kann er später nicht identifizieren.

Keine eindeutigen Beweise
Auch wegen der polizeibekannten Vorgeschichte geraten schnell der ehemalige Partner und seine beiden älteren Brüder unter Verdacht. Alle haben jedoch ein Alibi. Erst Anfang April wird dann der 38-Jährige, der mittlere der drei, verhaftet. Schmauchspuren an dessen Kleidung und an den Händen sollen ihn nach Ansicht der Staatsanwaltschaft vor Gericht überführen. Da jedoch Schmauchspuren übertragbar sind und auch bei anderen Familienmitgliedern gefunden wurden, konnte nicht mehr festgestellt werden wer die Schüsse abgefeuert habe. Im Prozess kann ein Sachverständigen-Gutachten letztlich jedoch keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Spuren und einer Täterschaft des Mannes nachweisen. Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft lautet daher wie das der Verteidigung: Freispruch.

Im Zweifel für den Angeklagten
Das Unwohlsein mit dem Urteil war dem Vorsitzenden Richter Horst Werner Herkenberg anzumerken. "Das Verfahren endet in einer Grauzone", sagte er. Es gebe keine ausreichende Gewissheit für eine Verurteilung des 38-Jährigen. Daher gelte der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Andererseits könne die Kammer den Angeklagten als Täter nicht sicher ausschließen. "Wir gehen davon aus, dass der Täter aus dem Kreis der Familie kommt."


Die Angehörigen der Opfer zeigten sich nach dem Urteil geschockt und wütend. Ein weiterer Schock wird ihnen wahrscheinlich noch bald bevorstehen. Denn die Familie des vermeintlichen Täters hat bereits das Sorgerecht für den Sohn beantragt.