Wenn man möchte kann man selbst die komplexesten Serienfiguren auf einige wenige Charaktereigenschaften herunterbrechen: Tony Soprano ist der mit den Mommy Issues, Don Draper ist der Narzist, Walter White ist der Egomane. Amy ist meiner Meinung nach eine der originellsten Serienfiguren der letzten Jahre und lässt sich vor allem sowohl von den oben genannten Anti-Heroes als auch von den women in trouble ala Nurse Jackie und Nancy Botwin klar abgrenzen (interessanter Artikel von Emily Nussbaum hierzu:
klick mich ). Die Serie spielt ja offensichtlich bewusst mit der Diskrepanz zwischen Amys Voice-over/ihrem Selbstbild und wie der Zuschauer und die anderen Charaktere sie tatsächlich wahrnimmt. Natürlich ist sie absolut nervig und hat ein völlig verschrobenes Weltbild, aber gerade das macht die Figur und die Serie für mich so faszinierend.
Die Kritik, dass die anderen Charaktere flach sind, kann ich auch nicht nachvollziehen. Vor allem wenn man überlegt, dass die Serie bisher (!) nur 18 halbstündige Folgen hatte und Amy mit großem Abstand die meiste Sceentime einnimmt. Die Folgen, die den Fokus auf Helen, Levi und Tyler verlagert haben, zeigten, dass Mike White auch sie mit genau so viel Feingefühl behandelt wie Amy. Natürlich lassen sich die Figuren auch gewisse Grundeigenschaften reduzieren, aber der Ton macht eben die Musik. Selbst Dougie, der meist als Comic Relief dient, wurde in der zweiten Staffel auch von einer ernsteren Seite gezeigt. Die Serie sagt mit einer bloßen Einstellung ohne Dialoge teilweise mehr über eine Figur, ihr Leben und ihren Gefühlszustand aus als andere in einer ganzen Folge (beispielsweise die kurzen Einstellungen von Amys Mitarbeitern in ihrer privaten Umgebung am Ende einer Folge).
Die Kritik, dass die Serie vor sich hindümpelt, hat sich für mich mit der zweiten Staffel auch erledigt. Während die erste sehr medidativ war und sich vieles in Amys Welt abgespielt hat, war die zweite sehr viel "action"-reicher und hat eine klar strukturierte Handlung, die für eine Serie dieser Art durchaus spannend war.
Auf der anderen Seite kann ich absolut verstehen, dass die Serie nicht den Geschmack jedes Zuschauers trifft, auf der anderen sollte man dennoch erkennen können, wie originell und hochwertig Enlightened in sämtlichen Bereichen - seien es die Schauspielleistungen, die Inszenierung oder die Drehbücher, die alle von Mike White verfasst wurde - ist. Die Serie ist noch mehr "auteur TV" als Girls und ich hoffe inständig, dass das nicht das Ende von ihr ist.