- Mi 8. Feb 2012, 18:50
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Ziemlich beste Freunde
Philippe (Francois Cluzet) ist ein reicher, gebildeter Mann mittleren Alters und lebt in seiner eigenen Villa. Doch aufgrund einer Querschnittslähmung kann er sicht vom Halse abwärts nicht mehr bewegen und braucht ständige Pflege. Bei einem Vorstellungstermin langweilen ihn die Heerscharen von Bewerbern, die munter ihre Referenzen aufzählen und Interesse heucheln. Doch der gerade frisch aus dem Gefängnis entlassene Driss (Omar Sy) ist anders: Er kam nur, weil er sich die für das Arbeitsamt nötige Unterschrift möglicher Arbeitgeber abholen wollte, doch Philippe interessiert sich für den Kleinkriminellen und stellt ihn für einen Monat zur Probe ein. Mit seiner unbekümmerten, frechen und durchaus herzlichen Art mischt er den ziemlich angestaubten Laden ordentlich auf und hilft Philippe sogar dabei, mit dessen Briefkontakt persönlichen Kontakt aufzunehmen...
Erst vor gut drei Jahren avancierte "Willkommen bei den Sch'tis" zum erfolgreichsten französischen Film aller Zeiten. Die herausragende französische Komödie lockte über 20 Millionen Franzosen in die Kinos, womit einzig und alleine "Titanic" mithalten konnte. Doch so beeindruckend dieser Rekord auch gewesen sein mag, "Ziemlich beste Freunde" befindet sich derzeit absolut auf der Überholspur (derzeit knapp 19 Millionen), während der Film in Deutschland mit 3,5 Millionen Zuschauern bereits jetzt die höchsten Zahlen seit der Wiedervereinigung erzielt hat. Dies alles schafft eine Komödie, die auf dem Leben des Philippe Pozzo di Borgo beruht. Pozzo di Borgo stürzte 1993 beim Paragliding ab und leidet seither an Tetraplegie, doch weigerte er sich lange Zeit, einer Verfilmung seiner Lebensgeschichte grünes Licht zu geben. Erst 2010 bekamen Olivier Nakache und Eric Toledano die Einwilligung des Mannes und konnten den knapp zehn Millionen Euro teuren Streifen drehen.
Und ich muss sagen, dass ich ausgesprochen froh über diese Verfilmung bin. Denn man merkt ihr absolut an, dass sie mit Bedacht produziert wurde - wobei dies keinesfalls heißen soll, dass man sich hierbei zurückgenommen hat. Aber auf billigste Klischees verzichtete man doch, so weit dies bei einem kriminellen Schwarzen möglich ist, der einen behinderten Mann pflegt. Natürlich steht Driss auf schöne Frauen, schnelle Autos und kann wenig mit klassischer Musik anfangen, aber dabei bleibt die Figur stets sympathisch und unprollig. Es macht riesigen Spaß dabei zuzusehen, wie er Stimmung in die recht verlassen wirkende Villa bringt und er sich mit schwarzem Humor Duelle mit Philippe liefert. Natürlich ist dieser Wandel vom Bad Boy zum hilfsbereiten Krankenpfleger vor allem in der Schnelle nicht immer ganz glaubwürdig, aber damit kann man leben.
Ich hatte ja ohnehin eher Probleme, Omar Sy den Gangster abzunehmen, als die spaßige Stimmungskanone. In dieser Rolle geht er voll und ganz auf und - so banal es klingen mag - macht einen großen Spaß. Noch besser als der Pfleger gefällt mir allerdings sein Patient, Francois Cluzet, der natürlich in seiner Rolle nur über die Mimik kommen kann, dies aber beeindruckend treffsicher und vielschichtig tut. Er erinnerte mich stark an die letzten Rollen von Kevin Spacey, was ja nun ein durchaus schmeichelhafter Vergleich ist. Ansonsten sind da leider nicht allzu viele wirklich prägnante Auftritte, da sich "Ziemlich beste Freunde" natürlich vorrangig auf die Beziehung zwischen den beiden Hauptdarstellern konzentriert. Dennoch bieten die Nebendarsteller immer wieder amüsante Nebengeschichten.
Musikalisch habe ich mich in das Klavierstück verliebt, das bei den etwas melancholischeren Momenten zum Einsatz kam. Diese stillen, zurückhaltenden Momente gibt es nämlich durchaus häufiger in diesem Streifen, als es aufgrund meiner bisherigen Ausführungen erscheinen mag. Auch hier vergebe ich gerne die volle Punktzahl für Stil und Authentizität, man kann wirklich mitfühlen. Und das Klavierstück fügt sich wunderbar ein in diese nachdenkliche Ruhe, die manchmal über den Zuschauer Besitz ergreift. Generell nimmt die Musik hier eine durchaus wichtige Rolle ein, denn auch sie ist ein Ausgangspunkt, durch den zunächst der Konflikt zwischen den beiden Hauptfiguren entsteht - ob Kool and the Gang oder Vivaldi - bevor sie beide beginnen, sich dort anzunähern. Sehr schön sind hier natürlich die zahlreichen Stücke klassischer Musik, aber natürlich auch die Tanzeinlage Driss' bei einem Song von Earth, Wind & Fire. Eine ebenso große Rolle nehmen zahlreiche Gemälde ein. Ich hatte durchaus manchmal das Gefühl, in einem recht tiefgründigen Film zu sitzen, der es hier einem aber nicht groß hat anmerken lassen.
Die 10/10 verhindert die doch recht einfach zu durchschauende Geschichte, einige recht vorhersehbare Gags sowie die nicht immer ganz verständlichen Handlungen von Driss. Natürlich ist dessen schneller Wandel am Anfang nicht sehr realistisch, auch die anschließende Trennung kommt sehr plötzlich, undurchdacht und doch etwas zu sehr inszeniert. Danach kann man sich ausrechnen, wohin die Geschichte noch führt. Das stört alles nicht weiter und macht den Film nicht schlechter, aber es verhindert halt schon so ein wenig das Ansehen als ganz großes Werk der Filmgeschichte. Ansonsten ist "Ziemlich beste Freunde" aber ein herzerwärmendes Stück Celluloid mit größtenteils wunderbaren Gags, irre sympathischen Hauptdarstellern und dem Mut, eine schwierige Thematik adäquat umzusetzten. Der muss sich auch inhaltlich nicht vor den (im Film sogar erwähnten) Sch'tis verstecken.
8,5/10
Fohlen