Titanen-Dämmerung
RTL-Scharfrichter Dieter Bohlen ist angeschlagen: Während seine Quoten
schwächeln, wächst hinter den Kulissen der Unmut über seine
Manieren und Allüren. Selbst sein Image als treusorgender Vater hat gelitten.
haben die Quoten sich erst einmal wieder erholt.
Zuletzt ist es Dieter Bohlen ergangen wie dem Wolf, der Kreide gefressen hatte, um seine Stimme sanft zu machen – und bei den sieben Geißlein abblitzte, weil sie natürlich durchschauten, dass da nicht ihre Mutter an die Tür klopfte, sondern ein Bösewicht. Bohlen, der große, böse Wolf von RTL, war erschreckend lieb in den zurückliegenden Wochen. In der ersten Kinder-Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ („DSDS Kids“) putzte der 58-Jährige die kleinen Kandidaten nicht herunter, vielmehr fand er so ziemlich alles „super“ oder „Wahnsinn“. Vor einer achtjährigen Sängerin warf er sich auf die Knie. Die Zuschauer waren befremdet – und blieben fern. Nachdem das Frühjahr überschon die nunmehr neunte Staffel von „DSDS“ mit Quotenschwund zu kämpfen gehabt hatte, wurde „DSDS Kids“ zum Desaster: Das Finale am vorvergangenen Freitag wollten nur gut zwei Millionen sehen. Bohlen auf nett getrimmt, das war ungefähr so überzeugend, als ließe RTL die Klitschkos im Ring häkeln statt prügeln. Beim Sender will man sich zwar noch nicht dazu durchringen, „DSDS Kids“ einzustellen. Auf Anfrage teilt RTL mit, die Sendung passe zu Bohlen „sicher auch, weil er selbst mehrfacher Vater ist und sehr gut mit Kindern umgehen kann“. Aber gerade an den Papi-Qualitäten des Pop-Titanen lässt ein bislang kaum bekannter Gerichtsbeschluss leise Zweifel aufkommen: Der Plattenmillionär ist neuerdings dazu verpflichtet, für seinen sechsjährigen Sohn Maurice Cassian monatlich gut 600 Euro mehr Unterhalt zu zahlen als bisher. Mit dem Beschluss des Amtsgerichts Tostedt endet vorerst eine knapp zweijährige Auseinandersetzung zwischen Bohlen und seiner früheren Lebensgefährtin Estefania Küster, 32. Gestritten worden war nicht nur um Krankenversicherungskosten und Schulgeld – eigentlich Nichtigkeiten angesichts von Bohlens Vermögen. Es ging auch um die Kosten für die musikalische Ausbildung des Titanen-Juniors. Nun mag es Kinder geben, denen das Schicksal übler mitspielt als Maurice Cassian; aber dass Bohlen am Klavierunterricht des eigenen Sohns spart, ist nun nicht gerade die allerbeste Referenz für die Präsentation einer Show mit singenden Pimpfen. Der Richterspruch kommt für ihn auch deshalb zur Unzeit, weil bei „DSDS“ die Titanen-Dämmerung begonnen hat. Hinter den Kulissen wird bereits die Frage laut, ob die Show nicht auch ohne Bohlen funktionieren könnte. Es heißt, sein Umgang mit dem Team unterscheide sich nur wenig von der Art, wie er in der Show mit den Kandidaten umspringt. Auch wenn die Scheinwerfer erloschen sind, bespiele der Chefjuror gern die Schimpfwortklaviatur; das Wörtchen „Scheiße“ finde inflationäre Verwendung. Keiner habe nämlich Ahnung. Keiner, außer ihm. Zumindest stelle er das gern so dar: Sound und Sänger seien ihm zu schlecht, er selbst fühle sich chronisch unterbezahlt und von RTL-Chefin Anke Schäferkordt, die nicht zu seinen größten Fans zählt, zu wenig hofiert. Alles Scheiße. Außer Dieter. Auf die Bitte um Stellungnahme ließ Bohlen anwaltlich mitteilen, dass er Fragen nicht beantworten werde. Im Kölner Studiokomplex Coloneum, wo seine Shows „DSDS“ und „Das Supertalent“ produziert werden, spürt man die Furcht vor Bohlens Ausbrüchen. Manche machen sich offenbar auch über ihn lustig, indem sie Bohlen-Sprüche an die Türen kleben: „Wenn jemand ein Problem mit mir hat, kann er es gern behalten. Es ist ja seins.“ Wehe, das VIP-Catering werde wieder so aufgebaut, dass der Duft in seine Garderobe zieht. Und wehe, Bohlen werde nicht recht ins Bild gerückt. Angeblich will er am liebsten nur von vorn gefilmt werden, mit aufgehelltem Licht, dann sieht man seine Falten nicht so. Seine 30 Jahre jüngere Freundin Carina soll vor der Sendung akribisch prüfen, ob ihr Dieter optimal ausgeleuchtet sei. Unter ihm gelitten hat das Team zwar schon früher. Jetzt aber ist der Titan quotenmäßig auf dem Weg zum Titänchen. „Wenn es weiter bergab geht, muss man sich fragen, wie lange RTL sich das noch gefallen lässt“, sagt einer, der seit Jahren in wichtiger Position bei „DSDS“ arbeitet. „Du kannst den Larry nur raushängen lassen, solange du Tore machst.“ Bislang waltete Bohlen wie ein Gutsherr. Heuerte. Und feuerte. Vor zwei Jahren war zu lesen, die Schauspielerin Sophia Thomalla solle Jurorin bei „DSDS“ werden, Testaufnahmen waren abgedreht. Plötzlich nahm jedoch Popsängerin Fernanda Brandao ihren Platz ein. In der Kölner Medienszene deutete man dies als Racheakt Bohlens an Thomallas Manager Alain Midzic. Der war mal mit Verona Pooth liiert, als sie noch Feldbusch hieß, und in dieser Funktion der direkte Vorgänger Bohlens. Brandao wiederum wurde vom obersten Scharfrichter am Tag des Finales via „Bild“ abserviert, Co-Juror Patrick Nuo gleich mit. „Ich freue mich auf zwei neue Kollegen“, verkündete Bohlen dort fröhlich. RTL-Sprecher Christian Körner sagt: „Diese Aktion war mit uns nicht abgesprochen, und wir fanden sie nicht gut. Das haben wir Dieter Bohlen auch gesagt. Er hat es eingesehen.“ „DSDS“-Moderator Marco Schreyl musste Ende April in „Bild“ lesen, er sei von der kommenden Staffel an nicht mehr dabei. RTL beschwichtigt: Noch sei zu den Veränderungen bei der Show nichts entschieden; woher die Meldung komme, wisse man nicht. Wieder eine Bohlen-Aktion? Auch dazu von ihm kein Kommentar. Besonders harmoniert haben er und Schreyl jedenfalls nie. Mitarbeiter der Castingshow beschreiben Bohlen als kleines Kind, das so lange schreit, bis es seinen Lolli kriegt. Wenn ihm etwas nicht passt, droht er schon mal, nie wieder bei RTL aufzutreten. Ausbaden muss es dann Tom Sänger, Unterhaltungschef des Senders und seit nunmehr zehn Jahren persönlicher Bohlen-Beauftragter. Er federt ab, besänftigt, erduldet. Zur Zusammenarbeit mit Bohlen will er sich lieber nicht äußern. Vor jeder Staffel „DSDS“ wird die Zusammenstellung der Jury überprüft. Es gibt eine Liste mit rund 80 Namen möglicher Juroren. Immer wieder wurde überlegt, ob man nicht einen anderen auf den Chefsessel setzen könnte. Herbert Grönemeyer? Udo Lindenberg? Am Ende griff man stets auf das bewährte Modell zurück: ein meinungsstarker Bohlen plus zwei schmückende Sekundanten. Von „DSDS Kids“ hatte RTL sich in Zeiten sinkender Quoten Aufwind erhofft. „Ich habe selber fünf Kinder“, hatte Bohlen vor dem Start der Sendung erklärt. „Ich werde sehr, sehr nett zu den Kindern in der Show sein. Ich werde sie alle wie meine eigenen behandeln.“ Na ja, will man das? Während Bohlen zu den drei Kindern aus erster Ehe immer Kontakt gehalten hat und die einjährige Tochter bei ihm und seiner aktuellen Gefährtin Carina aufwächst, soll er Maurice Cassian seit Jahren nicht gesehen haben. Angeblich kennt der Kleine seinen Vater nicht mal. Der Sechsjährige lebt mit seiner Mutter Estefania Küster auf Mallorca. Sie war fünf Jahre lang an Bohlens Seite. Im Mai 2005, als sie hochschwanger war, erschien „Bild am Sonntag“ mit Fotos, die ihn auf Mallorca zeigten, eine andere küssend. Knapp ein Jahr nach Maurice Cassians Geburt verließ Küster den Kindsvater. Das alleinige Sorgerecht liegt bei ihr. Nach der Trennung war vereinbart worden, dass Bohlen monatlich 1000 Euro Unterhalt bezahlt. Plus Krankenkassenbeiträge. Deren Zahlung stellte er Anfang 2009 ein. Bohlen mag das Verfahren nicht kommentieren. Küsters Anwältin teilt ebenfalls mit: „Meine Mandantin möchte sich zu dieser Sache nicht äußern.“ Der Rechtsstreit um das Schulgeld begann, als der Junge in die erste Klasse kam. Seine Mutter hatte eine englischsprachige Privatschule ausgesucht. Bohlen lehnte eine Übernahme der Kosten ab und befand, eine staatliche Einrichtung hätte es womöglich auch getan. Küster argumentierte, dort werde in katalanischer Sprache unterrichtet, was für das spätere Leben ihres Sohnes wenig hilfreich sei. Zudem gebe es auf einer Privatschule weniger deutsche Kinder, die Maurice Cassian Bohlen fragen könnten, ob er mit dem berühmten Dieter verwandt sei. Darauf brachte Bohlen den kostensparenden Gedanken ins Spiel, sie könne ja den Nachnamen des Kindes ändern. Im Februar verurteilte das Amtsgericht Tostedt ihn in einem Beschluss, gegen den grundsätzlich eine Beschwerde möglich ist, zur Zahlung von monatlich 525 Euro Schulgeld und 115 Euro für Musikund Klavierunterricht, beides rückwirkend zum Oktober 2010. Zudem muss er nachträglich mehrere tausend Euro Krankenversicherung begleichen sowie den größten Teil der Gerichtskosten. Das Geld wird Bohlen, der schon mal damit prahlte, mehr zu verdienen als der gerade aus dem Amt geschiedene Deutsche- Bank-Chef Josef Ackermann, aufbringen. Unschön ist der Rechtsspruch für ihn, weil er die etwas andere Seite jenes Dieter Bohlen zeigt, der in Interviews gern erzählt, er könne an keinem Kinderwagen vorbeigehen, ohne hineinzuschauen: „Da fängt mein Herz ganz doll an zu blubbern.“ Vor Maurice Cassians Geburt hatte er von seiner künftigen Patchwork-Familie geschwärmt: „Für mich ist ganz wichtig, dass das hier mein viertes Kind ist. Nicht mein drittes plus eins. Es gibt nicht die eine und die andere Familie. Wir sind ein großes glückliches Ganzes.“ Offenbar währte der Wille zur Harmonie nur kurz. Jetzt muss er ohnehin erst mal „DSDS“ retten. Wollte er dem Format etwas Gutes tun, könnte Bohlen sich an Simon Cowell orientieren. Der britische TV- und Musikproduzent gilt als sein Vorbild, er war der oberste Juror bei „American Idol“, der US-Ausgabe der Superstar-Show, und dort ein mindestens ebenso harter Hund wie Bohlen hierzulande. Die US-Verantwortlichen hatten sich immer vor dem Tag gefürchtet, an dem Cowell aussteigen würde. Vor zwei Jahren, als der Erfolg der Show nachließ, nahm er tatsächlich seinen Abschied und wurde ersetzt durch Steven Tyler, den Sänger von Aerosmith; zur Seite bekam dieser Jennifer Lopez. Danach haben die Quoten sich erst einmal wieder erholt.