- Di 29. Apr 2014, 09:30
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Ich glaube nicht, dass jemand ignorant ist, weil er einfach bestimmte Fragen nicht stellt. Ich bin nicht ignorant, weil ich nicht verstanden habe, welche Ausiwrkungen der Mindestlohn hat und ich bin auch nicht ognorant, weil ich nicht verstanden habe, was nun eigentlich die Finanzkrise war.
Klar, das ist ein Stück weit auch meine eigene Schuld und Teil meiner Verantwortung: ich könnte es wissen. Jeder hat in Deutschland die Möglichkeit, an eine gewünschte Information zu kommen, solange sie nicht irgendeiner Geheimhaltung unterliegt und kann so dem, was man Holschuld nennt, nachkommen. Es ist nur eine Frage der Anlaufstelle, des Zeitaufwandes und nicht zuletzt auch des eigenen Interesses, des Willens und ganz sicher auch der richtigen Frage.
Wenn ich so eine Frage habe und sie ein politisches Thema betrifft, kann ich mich beispielsweise an einen örtlichen Abgeordneten in seiner Sprechstunde wenden und ihn fragen. Ich kann an den Gemeinderat eine Frage richten. ich kann den Bürgermeister fragen. Ich kann mich auch eine der vielen Start-Ups im Internet wenden: Abgeordnetenwatch, politaktiv, offenekommune und wie sie alle heißen. Kurz: Ich habe durchaus die Möglichkeit.
Aber darum geht es mir gar nicht. Mir geht es darum, dass auch Politiker von sich aus erklären sollten, was sie da eigentlich tun. Zugegeben, das tun sie im Grunde ja auch: In jeder x-beliebigen Talkshow, über Zeitungen, auf ihrer Homepage. Nur es dringt nicht beim Bürger mehr durch in der Flut der Informationen und auch in der Flut der verschiedenen Interessengruppen.
Hier haben die Medien ihre Aufgabe. Das heute journal, die tagesthemen und all die anderen Nachrichtensendungen erklären mir jeden Tag die Welt. Sie sollen einordnen und Zusammenhänge deutlich machen. Die Frage ist aber, inwieweit das im Rahmen der komplexen Zusammenhänge, die sich in Europa abspielen, überhaupt noch möglich ist. Klar kann ich in einem schicken Schaubild erklären, warum eine Bank verstaatlicht wurde und vielleicht auch, wie das genau passiert. Die Frage ist aber, ob man einem Journalisten vorwerfen kann, dass auch er die genauen Zusammenhänge der Finanzkrise dann doch nicht so genau kennt, weil er keine Zeit hat, sie zu recherchieren. Weil er niemanden findet, der sie ihm erklärt. Und schlichtweg: Weil er, bis er schließlich die Information hat, die er gesucht hat, sich schon wieder mit einem neuen Beschluss und einer neuen Lage zurechtfinden muss.
Die Dinge sind nicht nur so komplex geworden, dass man sie mit wenigen und einfachen Worten schlicht nicht mehr erklären kann, ohne das sie falsch oder unvollständig erklärt werden. Die Dinge sind auch so verdammt schnell geworden. Und da ist es am Ende irgendwie kein Wunder, dass beim Bürger hängenbleibt, dass es in Europa um die Krümmung der Gurken geht.
Nun ist es einfach, allein die Schuld beim Bürger zu suchen und ihn dann ignorant zu nennen. Zielführend ist es aber nicht. Nehmen wir nochmal die Finanzkrise: Wenn ich das Wahlprogramm der Parteien nicht einordnen kann, weil ich die Abläufe der Finanzkrise schlicht nicht verstanden habe, dann bin ich nicht ignorant. Vielleicht verstehe ich die Finanzkrise nicht, weil ich die wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht kenne. Vielleicht verstehe ich die Finanzkrise nicht, weil ich schlicht nicht weiß, was jetzt der nächste richtige Schritt ist. ich kann also nicht die richtigen Fragen stellen und wenn ich doch eine stelle, ist die Gefahr groß, sie an die entsprechend falsche Lobby zu stellen. Davon, dass ich studiert habe und nicht "nur" eine Ausbildung gemacht habe, reden wir gar nicht.
Bleiben am Ende also diejenigen, die die Entscheidungen in der Schnelligkeit treffen, dass die Medien mit dem Erklären nicht mehr hinterherkommen oder schlicht der Aufgabe nicht gewachsen sind: Die Politiker und ihre Experten.
Ich als Bürger habe nun meine Bürgersprechstunde oder die entsprechenden Portale im Netz und kann da meine Abgeordneten fragen: Das Problem ist aber, dass selbst die Abgeordneten in meinem Wahlkreis die Abläufe der Finanzkrise nicht erklären können, weil sie sie selbst nicht verstehen. Sie stimmen im Bundestag zwar ab, aber haben gar nicht die Zeit, die entsprechenden Papiere vorher alle zu lesen. Das Problem ist, dass selbst die Abgeordneten in meinem Wahlkreis darauf verweisen, dass es entsprechende Experten gibt, die die entsprechenden Politiker beraten, dass es entsprechende Ausschüsse gibt und dass nicht zuletzt auch sie gar nicht zuständig sind für die entsprechenden Beschlüsse.
Und das ist ein Problem! Da reden wir noch gar nicht über jemanden, der die Zeit gar nicht hat, die entsprechenden Mglichkeiten wahrzunehmen. Dessen Interesse vielleicht nicht unbedingt bei der Finanzkrise liegt. Der froh ist, dass er seinen Bafög-Antrag überhaupt alleine ausfüllen kann.
Ich kann verstehen, dass Bürger in so einer Situation entweder darauf hoffen, dass es Menschen gibt, die wissen, was sie da tun und das niemand ein Interesse daran hat, das Land gegen die Wand zu fahren. Ich kann aber auch verstehen, dass der Bürger aus dieser Art von Komplexität am Ende einfach auch ein Stück weit aussteigt und die da oben einfach machen lässt. Die Folge ist, dass die da oben aus der Sicht des Bürgers einen kleinen Kreis bilden, die machen können, was se wollen. Dass sie das nicht tun, ist eine Sache. Das am Ende dann aber doch nur die Krümmung der Gurken übrig bleibt, eine andere.
Wir haben so viel Glück auf dem Gewissen.