Ich habe in letzter Zeit endlich mal einige Filme sehen können. Vor allem in Vorbereitung auf die Oscars. Dabei stach vor allem ein Film sehr heraus, sodass ich bei den anderen Filmen rückblickend unter Umständen etwas weniger enthusiastisch bin, als ich es ohne den Film gewesen wäre. Aber seis drum. Unten meine Reviews in der zeitlichen Reihenfolge, wie ich die Filme gesehen habe.
Don't Worry, He Won't Get Far on Foot (2018)
Den neuen Film von Gus Van Sant konnte ich auf der diesjährigen Berlinale sehen. Gelockt hat mich hier vor allem die Kombination von Van Sant und Joaquin Phoenix, da ich ein großer Fan von My Own Private Idaho bin, bei dem Van Sant bereits mit den älteren Bruder River Phoenix zusammen gearbeitet hat.
Der Film erzählt die Geschichte von John Callahan, der mit Alkoholproblemen zu kämpfen hat und nach einer folgenschweren Nacht für immer an den Rollstuhl gefesselt ist. Das hört sich im ersten Moment nach harten Toback an, aber Van Sant schafft es, in den Film nicht nur viel Gefühl sondern auch Hoffnung und Komik zu vermitteln. Dabei überzeigt vor allem Joaquin Phoenix in der Rolle des John und ist sicher der Hauptgrund, warum der Film empfehlenswert ist. Auch Jonah Hill als hippiemäßiger AA Gruppenleiter macht einen guten Job. Der Rest des Casts bleibt jedoch bis auf wenige Szenen relativ blass und austauschbar.
Leider merkt man den Film seine knapp 2 Stunden Laufzeit auch etwas an. Hier wäre weniger sicher mehr gewesen. Nichtsdestotrotz würde ich den Film dennoch weiterempfehlen, aufgrund der guten Balance zwischen Tragik und Komik und der hervorragenden Leistung von Joaquin Phoenix.
7/10
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (2017)
Three Billboards erzählt die Geschichte der verzweifelten Mutter Mildred, die mit allen Mitteln versucht, den Mörder Ihrer Tochter zur Rechenschaft zu bringen.
Der Film ist ausgesprochen gut inszeniert, hat einen tollen Score und mit Frances McDormand als Mildred und Sam Rockwell als Dixon zwei herausragende darstellerische Leistungen. Auch der restliche Cast ist gut besetzt und liefert hier in weiten Teilen eine sehr gute Performance ab.
Der Film funktioniert für mich über 2/3 seiner Länge perfekt. Erst dann kommt der komische Auftritt eines Fremden und der gleichzeitige klischeehafte Wandel eines der Hauptdarsteller. Die zwei Punkte passen für mich nicht in das sonst relativ perfekte Konstrukt des Films, was ihm letztlich die Höchstwertung verwehrt. Auch das Ende ist gewöhnungsbedürftig, wobei ich hier weniger Probleme hatte, als mit den zuvor genannten Punkten. Nichtsdestotrotz wirklich ein sehr relevanter und sehenswerter Film mit fantastischen Leistungen von Frances McDormand und Sam Rockwell.
9/10
Lady Bird (2017)
Mit Lady Bird erzählt Greta Gerwig eine relativ klassische Coming of Age Geschichte aus der Sicht der rebellischen Christine „Lady Bird“. Der gesamte Film spielt in der kurzen Phase des letzten High School Jahres bis zum Beginn der College Zeit und behandelt dabei recht klassische Themen wie die erste Liebe, das erste Mal und die sprunghafte Veränderung von wichtigen Freunden in der Phase des Erwachsenwerdens.
Leider muss ich gestehen, dass ich den Charakter Lady Bird sehr anstrengend fand. Ja, Lady Bird ist eine schöne Coming of Age Geschichte, die vor allem einige lustige Momente beinhaltet und gerade in diesen Momenten glänzt. Aber leider spielt Saoirse Ronan hier ein ziemlich verzogenes Gör, das erst zum Ende des Films erträglicher wird. Das ist sicher realitätsnah und spiegelt die Erfahrung wieder, die einige Eltern mit ihren heranwachsenden Töchtern machen oder machen mussten. Aber möchte ich das so überspitzt dargestellt in einem sonst eher ereignisarmen Film präsentiert bekommen? Eher nicht.
6/10
I, Tonya (2017)
I, Tonya erzählt den Aufstieg und Fall der amerikanischen Eiskunstläuferin Tonya Harding mit allen Höhen und (vor allem) Tiefen. Margot Robbie spielt Tonya wirklich ausgezeichnet und gepaart mit Allison Janney als Mutter und Sebastian Stan als Mann/Ex-Mann hat man hier wirklich ein tolles Ensemble zusammengefunden. Der Film bricht häufig mit der vierten Wand und ist deutlich action- und humorvoller, als man bei dem Thema erwarten würde.
Trotz seiner Länge von 2 Stunden habe ich mich nicht ein einziges Mal gelangweilt. Der Film erzählt die Geschichte im hohen Tempo und lässt den Zuschauer kaum zur Ruhe kommen. Letztlich habe ich zwar nicht viel aus dem Film mitgenommen, aber es hat unglaublich Spaß gemacht, die abstruse, tragisch-komische Geschichte von Tonya Harding zusammengefasst über knapp zwei Stunden verfolgen zu dürfen.
8/10
Call Me by Your Name (2017)
Luca Guadagnino inszeniert in Call Me by Your Name die intensive Liebesgeschichte des jungen Elio und Oliver im italienischen Sommer von 1983.
Der Film schafft es dabei mit Leichtigkeit, durch seine wundervollen Bilder das Gefühl von Sommer in einem zu wecken. Guadagnino lässt sich viel Zeit und zwingt den Zuschauer förmlich, aus den stressigen Alltag auszusteigen und in aller Ruhe die Entwicklung der überwältigenden ersten Liebe von Elio aufzusaugen. Als Zuschauer ist man immer bei Elio und begleitet ihn von der Ankunft von Oliver, über gemeinsame Ausflüge während des Sommers bis hin zum winterlichen Ende vor einem knisternden Kamin. Dabei wird man stets durch einen perfekt abgestimmten Soundtrack durch den Film begleitet. Man lernt die Perlmans und deren Leben im Italien der frühen 80er Jahre kennen und hat nach einiger Zeit das Gefühl, die wundervolle italienische Villa wie sein eigenes zu Hause zu kennen und mit guten Freunden zu frühstücken oder an sommerlichen Abenden im Freien gemeinsam das Leben zu genießen.
Dabei steht hier viel weniger der gleichgeschlechtliche Aspekt der Liebe von Elio und Oliver im Vordergrund, als vielmehr das universale Thema der ersten, überwältigenden Liebe. Und ich denke jeder Zuschauer, der selbst solch eine intensive Liebe erfahren durfte, wird durch diesen Film daran erinnert und in der Zeit zurück versetzt werden (während alle anderen sich wünschen dürften, selbst eine solche Liebe mal erfahren zu dürfen).
Der gesamte Film wird durch ein großartiges Finale mit zwei herausragenden Szenen abgerundet. In der ersten Szene erleben wir, wie Michael Stuhlbarg als Elios Vater eine überwältigende Rede hält, die in einem den Wunsch aufkommen lässt, dass doch alle Eltern auf der Welt nur so sein sollten wie Mr. Perlman. Und kurz darauf kommt der krönende Abschluss in Form der Kaminszene, für die Timothée Chalamet wahrlich den Oscar verdient gehabt hätte.
Bei Call Me by Your Name stimmt wirklich alles – die wundervollen Bilder, das Oscar prämierte Drehbuch, der großartige Soundtrack und die überzeugenden darstellerischen Leistungen des gesamten Casts. Für mich ganz klar einer der besten Filme, die ich in den letzten Jahren sehen durfte. Selten hat ein Film mich auch nach dem Abspann noch so beschäftigt, dass ich selbst einige Wochen nach dem Schauen noch immer an ihn zurückdenke. Und noch viel seltener schafft es ein Film mich so zu begeistern, dass ich ihn binnen weniger Tage gleich ein zweites Mal sehen musste (das hat zuletzt vor einigen Jahren nur „Requiem for a Dream“ geschafft, den ich innerhalb kürzester Zeit dreimal gesehen habe).
10/10
Miss Stevens (2016)
Nach „Call Me by Your Name” wollte ich unbedingt weitere Filme mit Timothée Chalamet sehen und die Wahl ist dabei auf einen kleinen Indie Film aus dem Jahr 2016 gefallen. Miss Stevens erzählt die Geschichte der gleichnamigen Lehrerin, die drei talentierte Schüler zu einem Drama Wettbewerb begleitet. Auch hier handelt es sich um eine Coming of Age Geschichte, wobei der Fokus ganz klar auf der Entwicklung der jungen Lehrerin Rachel Stevens liegt, die innerhalb der drei Tage dauernden Geschichte lernen muss, dass Ihre Zeit als „Kind“ endgültig vorbei ist und sie Verantwortung für ihre Schüler übernehmen und ihr eigenes Leben in den Griff bekommen muss.
Der Film ist relativ kurz - nicht mal 1,5 Stunden - und die weniger relevanten Charaktere der zwei Mitschüler Margot und Sam sind doch sehr schablonenhaft bzw. stereotypisch ausgefallen. Der Fokus liegt hier ganz klar auf Miss Stevens und den Schüler Billy und deren Beziehung zueinander. Der Film verlässt hier ausgetretene Pfade und beleuchtet eher die Emotionalität der Verbindung zwischen Miss Stevens und Billy. Und sowohl Lily Rabe als auch Timothée Chalamet tragen den Film mit ihren zwei Figuren. Chalamet zeigt hier (schon vor Call Me by Your Name), dass er ein unglaubliches Talent besitzt – sein Monolog aus Death of a Salesman ist DER Höhepunkt in einem sonst eher ruhigen Film -
https://www.youtube.com/watch?v=ALzXCZlqodo). Und auch Lily Rabe spielt die junge, teils verzweifelte, teils inspirierende Lehrerin wirklich absolut überzeugend.
Für ein Erstlingswerk liefert Julia Hart hier wirklich einen sehr schönen kleinen, völlig unaufgeregten Indie Film ab, der vor allem mit Lily Rabe und Timothée Chalamet zu überzeugen weiß, auch wenn die eigentliche Geschichte das Rad sicher nicht neu erfindet und vor allem die anderen Charaktere noch etwas mehr Tiefe hätten vertragen können.
7.5/10