- Di 2. Jan 2018, 13:42
#1515015
Dark
Ich habe mehrfach gelesen, Dark sei endlich mal eine Produktion, die so gar nicht deutsch wirke. Sehe ich ziemlich anders, denn Dark trägt die deutliche Handschrift deutschen Genre-Kinos (Genre-TV ist hierzulande ja quasi nicht existent): Die Story ist unglaublich präzise konstruiert, jedes Detail austariert wie ein Schweizer Uhrwerk .. öhm .. deutsche Ingenieurkunst. Und dazu gleichzeitig total verkopft und symbol-verquast mit länglichen Ausführungen zur Funktionsweise von Schwarzen Löchern und angereichert mit Verweisen auf Zukunft und Vergangenheit, Zitaten und naturwissenschaftlichen Verweisen. Dazu ein Hang zum Abstrusen und ein handfestes Familien-Melodram. Die Erzählung wird von einem Krimi-Plot getrieben und eifert atmosphärisch skandinavisch-depressiven Vorbildern nach. Man spricht wenig und mit langen Pausen. Die Menschen sind schlecht oder zumindest nicht sympathisch. Es ist dunkel und regnet. Dazu des Deutschen liebste Mystery-Kinder: Wald, Atomkraftwerk, Wissenschaftler - dazu deutsche Namen, die selbst dem einheimischen Städter eher unbekannt sind. In der Regel geht das schief. Entweder man hat irgendeine potente Filmförderung im Rücken, verläuft sich in der Überinszenierung von Kleinigkeiten und endet im Chaos. Oder man hat kein Budget, es bleiben nur noch Zitate und Symbole und es mündet in einem unzugänglichen Kunstprojekt.
Dark hingegen gelingt die Kombination all dieser Merkmale bemerkenswert gut. Nicht optimal, aber immerhin bemerkenswert gut. Das dichte Familiendrama gibt Dark genügend Fleisch, um den wackligen Mystery-Teil zu tragen. Die Figuren sind dicht genug verstrickt, um ihnen trotz mangelnder Sympathiewerte Halt zu geben. Die ausufernde Symbolik lenkt den Zuschauer früh genug in Bahnen, um in entscheidenden Momenten nicht komplett erschlagen zu werden.
Dazu kommt natürlich die gute Inszenierung. Die Darsteller sind durch die Bank überzeugend und das Casting hat zum Teil sensationelle Arbeit geleistet, wenn es um die Auswahl der verschiedenen Jahrgänge ein und derselben Figur geht. Ton und Bildsprache ist hochwertig, aber auch auf permanentem Adrenalin-Trip. Wenn der Sound mal nicht Mystery durch die Boxen donnert, dann drückt einem die Kamera einen knallgelben Gefahrenmarker rein. Ein brutaler Kontrast zur sonst tristen Sprache, der für mich durchaus funktioniert, aber eben auch aufdringlich ist. Genauso wie auch erzählerisch oft mit dem Holzhammer gearbeitet wird und leider auch allzu oft - auch angesichts der vielen Kinder im Cast - mit allzu gestelzten Dialogzeilen. Ich habs ja bereits am Piloten deutlich kritisiert und es setzt sich im weiteren Verlauf der Serie fort: sehr viel erzählte Exposition, etwa in Folge 8 oder 9 als wir eine Episode lang dem Disput zwischen Alt-Jonas und dem Uhrmacher über die theoretischen Hintergründe von Zeit, Zeitreisen und Wurmlöchern zuhören dürfen. Dazu immer wieder Bildsequenzen, die einzig dazu dienen, dem Zuschauer die Identität von Charakteren anderer Zeiten einzutrichtern - sei es über die häufig gezeigten Connection Maps, schlichte Bildabfolgen von Portraits oder Schnitt zwischen alten und jungen Versionen von Figuren.
Das ist allerdings auch bitter nötig. Mit rund 30 Figuren, dargestellt von über 50 Schauspielern, ist der Cast ausufernd groß und nahezu unüberschaubar. Ohne die steten Info-Einlagen wäre ich hoffnungslos verloren gewesen. Das macht die Erzählung nicht weniger hakelig, erklärt aber, wieso das kaum anders möglich war. Überhaupt gibt sich die Serie größte Mühe, dem Zuschauer dieses gewaltige Geflecht verständlich zu machen. Man wird nicht völlig erschlagen, sondern in kleinen Schritten. Die beiden Vergangenheitsebenen werden erst nach gewissem Vorlauf aufgeklappt, insgesamt finde ich den Plot virtuos orchestriert. Man merkt, dass das alles Hand und Fuß hat (noch jedenfalls - dazu gleich noch). Womit ich schon tief im Thema Zeitreisen bin: Hier schlägt die deutsche Mischung aus Präzision und Absurdität durch. Zwar wird die Wissenschaft und die verschiedenen Zeitreisegeräte im Detail durchexerziert, gleichzeitig sind letztere sämtlichst obskurer Nonsens. Nur um sich das nochmal vor Augen zu führen: Eine unterirdische Kammer, die offenbar noch aus antiken Zeiten stammt. Ein elektrischer Stuhl von 1986. Ein mit Radioaktivität und Handystrahlung betriebenes mechanisches Uhrwerk, gebaut in den 50er Jahren. Das sind die Zeitmaschinen von Dark. Man ist halt doch mehr Schauermär als Sciencefiction-Thriller. Bei der Zeitreise-Story wandelt Dark auf sicheren Pfaden. Vorherbestimmung als Grundkonzept - alles muss so eintreffen wie es historisch verbrieft ist. Allerding wittere ich hier viel Porzellan, das sich in Staffel 2 zerschlagen lässt. Denn wenn man zwei Fraktionen hat, die nach der Technologie greifen, dann vermutlich nicht, um damit nicht in den Lauf der Dinge einzugreifen.
Überhaupt Staffel 2: Ich erinnere mich sowohl in Deutschland als auch in den USA an eine kleine, aber ausgeprägte Miniserien-Kultur. Dann gab es einen Bruch, etwa vor fünf Jahren oder so, als man im US-TV den Trick ersann, mit dem Begriff "Limited Series" zu werben, um von Absetzungen genervte Zuschauer zurückzugewinnen, damit aber eigentlich nichts anderes meinte, als dass man nun einfach weniger Folgen pro Staffel dreht, aber trotzdem Cliffhanger dranschraubt und je nach Erfolg fort oder absetzt. Kann sein, dass es meiner subjektiven Wahrnehmung geschuldet ist, aber seither hab ich von großen Miniserien, gerade im Genre-TV, nicht mehr viel mitbekommen, sondern eher von Serien, die man nicht bei einer Staffel beließ obwohl man es lieber hätte tun sollen. Und ich kenne kaum ein Konzept der jüngeren Vergangenheit, das so sehr Miniserien-Stoff ist wie Dark. Die Serie ist bis dato ein Puzzle, das sich langsam zusammenfügt und nun mehr oder minder komplett ist. Dark konzentriert sich auf die Darstellung bestehender Beziehungen, nicht auf die Entwicklung, und das über einen Zeitraum von 66 Jahren, der, wenn man die Prämisse nicht stark ändert, in Stein gemeißelt ist. Es geht nicht darum, was die Figuren ausmacht, sondern was sie taten und tun. Wie man das auch nur in einer halbwegs zur ersten Staffel kompatiblen Form fortsetzen will ist mir absolut schleierhaft, zumal mir der Ausblick im Cliffhanger nicht sonderlich behagt und das Postapokalypse-Setting in seiner einen Minute gleich einen ganzen Sack voll Klischees abhakt.
Auf einer eher unbedeutenden Note: Warum trägt eine doch so urdeutsche Serie einen englischen Titel und dann noch einen so generischen, der mit der Handlung nichts zu tun hat? Gerade eine Serie, die sich derart mit Symbolik, Zitaten und wissenschaftlichen Referenzen überfrachtet, hätte sich doch eine ganze Welt besserer Möglichkeiten ergeben.
Insgesamt ein erstaunliches deutsches Serienprojekt, das zeigt, wie sich mit der hierzulande gepflegten Präzision, Genre-Kultur und einer gewissen Megalomanie ein durchaus fesselndes und vielmehr faszinierendes Format schaffen lässt, wenn es einen Sender oder eben einen Streaming-Dienst gibt, der sowohl Geld als auch Vertrauen reinschießt und das zugegebenermaßen auch nicht zu knapp. Denn keinem Sender könnte man ernsthaft Vorwürfe machen, von diesem Konzept lieber die Finger gelassen zu haben.
