Von Julian Miller
Nachdem ich nun schon mehrmals im Forum auf Kritik gegen die Quotenmeter-Kritiken stieß, finde ich, dass die Zeit gekommen ist, um mich dazu zu äußern. In den letzten drei Jahren habe ich für Quotenmeter von allem Mitarbeitern die meisten Kritiken verfasst und sehe es somit als meine Pflicht an, meine Vorgehensweise zu erläutern.
Eine Kritik kann grundsätzlich nie objektiv sein, wie es so manche Laien des Fachs immer wieder fordern. Über jede Kritik und somit über jeden Film, jede Serienepisode und jeden Werbespot lässt sich streiten. Es geht beim Verfassen einer Rezension also nicht um das persönliche Wohlgefallen, was, ganz offen gesagt, unterbewusst sowieso meist miteinfließt, sondern primär um die „handwerkliche“ Qualität und den künstlerischen Wert dessen, worüber man seine Kritik schreibt.
Die wichtigsten Beteiligten an einem Filmprojekt sind der Regisseur, die Schauspieler, Autoren, Produzenten und Filmmusiker. Wenn einer von ihnen Fehler macht, kann man das ganze Projekt vergessen.
Der Forum-User „Familie Tschiep“ beanstandete, dass über Schnitt, Rhythmusgefühl, Musik, Licht und Bildsprache in den Kritiken zu wenig gesprochen würde. Dazu ist zu sagen, dass der Schnitt von uns meist nicht bewertet werden kann, weil wir von den Sendern häufig nur eine „Rohfassung“ erhalten. Das heißt, dass der endgültige Cut noch nicht feststeht und man ihn daher nicht bewerten kann. Wie soll man auch, wenn er noch nicht fertig ist? Interessant ist natürlich, dass das Fehlen einer Darstellung der Filmmusik angeprangert wird, wobei ich sie doch, wenn sie besonders heraussticht, immer erwähnt habe (zum Beispiel in meiner Kritik zu „Das Wunder der Liebe“). Für das Rhythmusgefühl und die Bildsprache sind vor allem Regisseur, Autor und Kameramann verantwortlich, was also in die Kategorie „Story und ihre Umsetzung“ fällt, die meist am ausführlichsten bewertet wird.
Wenn schon im Drehbuch massive Fehler auftauchen und die Figuren dramaturgisch gesehen vollkommen fehlkonstruiert wurden, reist das auch eine gute Lichtsetzung nicht mehr raus, weswegen ich es mir und meinen Lesern dann erspare, darauf einzugehen. Hat man denn schon jemanden sagen hören „Ja gut, die Story war kompletter Schwachsinn, die Dialoge waren mies geschrieben, die Schauspieler untalentiert und die filmische Umsetzung zum Davonlaufen, aber hast du die geniale Lichtsetzung am Ende des ersten Akts gesehen?“ - Na, bitte!
Ich schreibe das hier nicht nur, weil ich selbst ausgebildeter Drehbuchautor bin und mich deshalb in der Dramaturgie, sowie der Figurenkonzeption und dem „mettre en scène“ am besten auskenne, sondern weil das Drehbuch der Grundstein für einen guten Film ist. Der Regisseur hat dann die Aufgabe, aus diesem guten Drehbuch – zusammen mit Cast und Crew – einen guten Film zu machen, wofür ihm die Produzenten einen Batzen Geld geben.
Wenn sich der Zuschauer nicht auf den Inhalt einlassen kann, weil er nicht funktioniert, hat der ganze Film verloren, während man ein leichtes over-lighting in ein oder zwei Szenen noch verzeihen kann. Und sind wir doch ehrlich: Wer schaut „Lost“ wegen der Lichtsetzung, wer „Deadwood“ wegen des Schnitts und wer „Die Sopranos“ wegen des „Rhythmusgefühls“ (was auch immer man sich darunter vorstellen soll)? Wir sind süchtig nach diesen Sendungen, weil sie mit komplexen Plots, vielschichtigen Charakteren und hervorragenden Schauspielern überzeugen. Und wer ist dafür hauptsächlich verantwortlich? Der Cutter? Oder der Tonmann? Oder der Grip, der die Dolly schiebt?
Der Zeitaufwand hinter einer Kritik, lässt es leider nicht zu, den Film mehr als einmal in ganzer Länge anzusehen. Ich sehe mir einen Film immer zuerst in ganzer Länge an, mache ein paar Notizen und lasse das Werk auf mich wirken. Danach sehe ich mir noch einige markante Stellen an und analysiere, wo der Film funktioniert und wo nicht, bzw. warum nicht. Manchmal schreibe ich acht oder neun Kritiken pro Woche und in nächster Zeit werde ich noch die Drehbücher des Quotenmeter-Drehbuch-Wettbewerbs durchlesen. Dazu kommt noch meine Hauptaufgabe als Drehbuchautor außerhalb von Quotenmeter. Da bleibt also nicht viel Zeit, um eine mehrseitige Analyse eines ARD-Mittwochsfilms zu schreiben, sonder man muss sich, auch aus Rücksicht auf die Leser, auf das Wesentliche beschränken.
Für Kritik bin ich grundsätzlich immer offen. Schließlich basiert jeglicher kreativer Prozess aus Kritik und dem Umgang damit. Sie soll aber bitte konstruktiv sein und sich eines einigermaßen höflichen Vokabulars bedienen (Gegenbeispiel: „dahin geschludert“ - „Familie Tschiep“). Eine Filmkritik ist nie objektiv, was man beim Lesen immer im Hinterkopf behalten sollte.