- Do 23. Jun 2011, 03:13
#996215
Der Fliegenfänger
Raymond Marks lebt in einem Vorort von Manchester und soll mit seinen 19 Jahren nun endlich ein "echter, normaler Mann" werden. Deshalb soll er in Grimsby als Bauarbeiter arbeiten, was dem Jungen gar nicht zusagt. Seinem Idol Morrissey schreibt er Briefe, in denen er seine Lebensgeschichte seit dem zwölften Lebensjahr erzählt, als er das "Fliegenfangen" erfand. Eine Geschichte voller Missverständnisse, Trauer und der Isolation von der Gesellschaft, welcher er sich längst entsagt hat...
Das Buch ist der Erstling des britischen Autos Willy Russell, zuvor vor allem durch Songtexte und Drehbücher bekannt (und sogar zwei Mal für den Oscar nominiert). "Der Fliegenfänger" zeichnet sich durch einen sehr sarkastischen Schreibstil aus, der Protagonist schreibt seine Briefe mit viel Selbstironie. Die Geschichte ist eine klassische Tragikomödie mit vielen Momenten, wo man den Tränen nahe ist und dabei manchmal nicht einmal genau weiß, ob man es gerade traurig oder witzig findet. Der sehr charmante, junge Schreibstil wirkt sehr authentisch, so könnte in der Tat wohl auch ein sehr intelligenter Jugendlicher schreiben.
Und intelligent, das ist die Hauptfigur. Leider tritt sie in jedes erdenkliche Fettnäpfchen, sodass sie sich sogar in der Sonderschule und der Psychiatrie wiederfindet, da sie von den meisten Menschen missverstanden wird. Raymond ist ein sympathischer Sonderling mit viel Herz, der die Sympathie der Leser im Nu erlangt und nicht mehr verliert. Mein persönlicher Lieblinscharakter war jedoch die Oma mit der großen Liebe zum Ernsten, Melancholischen und Subtilen, wogegen sie Oberflächlichkeit und übertriebene Freude hasst. Eine wirklich geniale Figur. Ganz besonders schön ist nach Jahren der Demütigung auch die Freundschaft zu Twinky und Norman, die mit einer üppigen Portion Kitsch untermalt ist, was nach 200 Seiten Depression jedoch auch Not tut.
Was mir nicht so gefällt, ist die insgesamt gerade im letzten Drittel doch arg konstruierte Verkettung von Zufällen, hier nehmen manche Figuren eine sehr unrealistische Entwicklung und es wirkt so, als ob unbedingt jeder nicht ganz unwichtige Charakter im "neuen" Leben von Raymond Marks eine Rolle spielen muss. Es hätte mich nicht einmal mehr gewundert, wenn sogar eine Reinkarnation der Oma stattgefunden hätte, so unglaubwürdig war Manches. Sehr gewöhnungsbedürftig ist auch das Niederschreiben von Songtexten, die sich ohne Melodie in reiner Textform natürlich auch etwas schwer tun. Fand ich jedoch recht interessant. Insgesamt ist "Der Fliegenfänger" ein überaus charmantes Buch, das fesseln und berühren kann. Eine persönliche Unabhängigkeitserklärung, ein Bruch mit vielen gesellschaftlichen Konventionen, das Versagen einer solchen Gesellschaft wird sehr interessant dargestellt. Emotional ein tolles Werk mit viel Liebe verfasst, bei rationalerer Betrachtungsweise muss man jedoch aufgrund des sehr einfachen Schreibstils und der unrealitischen Handlung deutlich abziehen.
7/10
Fohlen
Raymond Marks lebt in einem Vorort von Manchester und soll mit seinen 19 Jahren nun endlich ein "echter, normaler Mann" werden. Deshalb soll er in Grimsby als Bauarbeiter arbeiten, was dem Jungen gar nicht zusagt. Seinem Idol Morrissey schreibt er Briefe, in denen er seine Lebensgeschichte seit dem zwölften Lebensjahr erzählt, als er das "Fliegenfangen" erfand. Eine Geschichte voller Missverständnisse, Trauer und der Isolation von der Gesellschaft, welcher er sich längst entsagt hat...
Das Buch ist der Erstling des britischen Autos Willy Russell, zuvor vor allem durch Songtexte und Drehbücher bekannt (und sogar zwei Mal für den Oscar nominiert). "Der Fliegenfänger" zeichnet sich durch einen sehr sarkastischen Schreibstil aus, der Protagonist schreibt seine Briefe mit viel Selbstironie. Die Geschichte ist eine klassische Tragikomödie mit vielen Momenten, wo man den Tränen nahe ist und dabei manchmal nicht einmal genau weiß, ob man es gerade traurig oder witzig findet. Der sehr charmante, junge Schreibstil wirkt sehr authentisch, so könnte in der Tat wohl auch ein sehr intelligenter Jugendlicher schreiben.
Und intelligent, das ist die Hauptfigur. Leider tritt sie in jedes erdenkliche Fettnäpfchen, sodass sie sich sogar in der Sonderschule und der Psychiatrie wiederfindet, da sie von den meisten Menschen missverstanden wird. Raymond ist ein sympathischer Sonderling mit viel Herz, der die Sympathie der Leser im Nu erlangt und nicht mehr verliert. Mein persönlicher Lieblinscharakter war jedoch die Oma mit der großen Liebe zum Ernsten, Melancholischen und Subtilen, wogegen sie Oberflächlichkeit und übertriebene Freude hasst. Eine wirklich geniale Figur. Ganz besonders schön ist nach Jahren der Demütigung auch die Freundschaft zu Twinky und Norman, die mit einer üppigen Portion Kitsch untermalt ist, was nach 200 Seiten Depression jedoch auch Not tut.
Was mir nicht so gefällt, ist die insgesamt gerade im letzten Drittel doch arg konstruierte Verkettung von Zufällen, hier nehmen manche Figuren eine sehr unrealistische Entwicklung und es wirkt so, als ob unbedingt jeder nicht ganz unwichtige Charakter im "neuen" Leben von Raymond Marks eine Rolle spielen muss. Es hätte mich nicht einmal mehr gewundert, wenn sogar eine Reinkarnation der Oma stattgefunden hätte, so unglaubwürdig war Manches. Sehr gewöhnungsbedürftig ist auch das Niederschreiben von Songtexten, die sich ohne Melodie in reiner Textform natürlich auch etwas schwer tun. Fand ich jedoch recht interessant. Insgesamt ist "Der Fliegenfänger" ein überaus charmantes Buch, das fesseln und berühren kann. Eine persönliche Unabhängigkeitserklärung, ein Bruch mit vielen gesellschaftlichen Konventionen, das Versagen einer solchen Gesellschaft wird sehr interessant dargestellt. Emotional ein tolles Werk mit viel Liebe verfasst, bei rationalerer Betrachtungsweise muss man jedoch aufgrund des sehr einfachen Schreibstils und der unrealitischen Handlung deutlich abziehen.
7/10
Fohlen