Cristóbal hat geschrieben:Ich beziehe kein Harz IV, gehe aber trotzdem in aller Regel zum Discounter und fühle mich dabei nicht gebrandmarkt. Den Punkt verstehe ich nicht.
Ergo, weil du noch nicht betroffen warst. Es ist das Gesamtpaket was rundum automatisch eine Ausgrenzung wachsen lässt. Das ist natürlich auch mit vom Umfeld und den Umständen abhängig. Es ist schon richtig was er da schreibt. Materielle Engpässe machen nicht alles aus.
Ich habe es auch schon durch. Nicht weil ich ewig lang arbeitslos war. Sondern weil du bei wenig Verdienst automatisch direkt zur Arge durch gereicht wirst, sozusagen ALG I aufstocken musst. So bist du schon am ersten Tag nach der Kündigung ein Hartzer, wenn du das Pech hast.
Das fängt schon damit an das dort draußen teilweise so ein übles Bild Zeitung bzw. Stammtischdenken weit verbreitet ist. Solange keinem bekannt ist was du beziehst, so lange ist alles gut, kannst sogar faul sein wie die Nacht. Aber wird es bekannt dann stehst du automatisch unter kritischer Beobachtung. Da ist es völlig unerheblich wie lange du daheim bist oder beispielsweise nur beziehst weil du trotz das du arbeiten gehst einen nicht zum Lebensunterhalt reichenden Verdienst hast. Die üblichen Vorurteile kommen automatisch. Der Weg vom Angesehen zum Assi ist unter Umständen so kurz wie das Wahlversprechengedächntnis eines FDP Funktionärs.
Dann sind es so kleine Dinge. Zum Beispiel mal mit den Freunden weg gehen. In der Anfangszeit kann man sich noch raus reden. Das geht aber nur eine gewisse Zeit gut. Wenn die nicht teilweise selbst betroffen sind oder waren, das Verständnis fehlt, geht auch da die schleichende Ausgrenzung los. Nach einer Weile wirst du schon gar nicht mehr gefragt, weil alles was irgendwie Materielles betrifft ist einfach nicht mehr in dem Maße oder gar nicht drin.
Da gibt es aber auch diese ständige Macht- und Ratlosigkeit. Du kannst dich bewegen, tun und machen, deine Mitwirkungspflichten quasi weit über erfüllen. Es interessiert keinen, es wird nicht einmal registriert. Du wirst nicht mehr gefördert als jemand der nur alle 6 Monate zum üblichen Pflichtgespräch kommt. Ich hatte der Arge damals jedes mal einen richtigen Maßrahmenkatalog auf den Tisch geknallt, betreffend Fort- und Weiterbildung sowie Mobilität. Das waren zig Punkte die mir schnell und direkt aus der Situation geholfen hätten. Und bei den meisten Vorschlägen hätte es nur ein Darlehn gebraucht. Geld was sie im Endeffekt also zurück bekommen hätten. Alles komplett abgebügelt.
Stattdessen gab es zweimal Maßnahme. Einmal Profiling und einmal Ein Euro Job. Letzteres auch nur weil ich die förmlich bekniet habe um nicht zuhause zu sitzen und wenigsten die 130 Euro zusätzlich verdienen zu können. Profiling bestand im wesentlichen daraus das der Maßnamenträger sinnloserweise die 6000 Euro unwiederbringlich einstrich (Darlehn wäre weniger gewesen und zurück geflossen), du aus der Statistik raus warst und dort erstmals lerntest wie abgammeln geht. Nach zwei von Sechs für mich vorgesehen Wochen war das für mich vorgesehene Arbeitsmaterial aufgebraucht. Ich musste mich selber beschäftigen.
Kurze Zeit später kam der Ein Euro Job. Und man denke nicht das der Euro leicht verdient ist und die Leute sich dort die Eier Schaukeln. Das kommt schwer darauf an wo du landest. Das kann da sein wo ich vorher zum Profiling war, wo man wirklich zum schaukeln gezwungen gewesen wäre. Ich bin aber dummerweise in einem Gartenverein gelandet. Teilweise Alters starrsinnige Bild Zeitung Abonnenten. Da wurde genau geschaut wann du kommst und gehst und das du ja nicht mal eine Fünf für eine Zigarette machst. Vorne herum immer freundlich. Hinten herum wurdest du bald täglich kritisiert, zu 99% zu unrecht. Ich musste mein Werkzeug selber mitbringen, Material wurde nur das nötigste und möglichst günstig gestellt. Verbrauchsmaterial wie Schweißelektroden, Trennscheiben usw. habe ich teilweise noch selber aus eigener Tasche mitgebracht. Ich habe für die in 5 Monaten 300 Meter Wege mit 50er Gehwegplatten und am Rand DDR Schlackepflaster der Güteklasse 6 verlegt (Das war sozusagen der Müll der sich besonders prickelnd pflastern lässt), 200 Meter Vereins eigene Außenzäune geflick, Tore rund erneuert und teils neu gebaut und das ganze mit Bitumenanstrich gestrichen, einmal um die ganze Anlage das Buschwerk und Unkraut entfernt sowie Bäume verschnitten. Das waren 12 x W50 mit Anhänger voll. Teilweise habe ich sogar am Wochenende da gestanden, weil es Wetter bedingt nicht anders ging. Den Älteren noch geholfen, was ich eigentlich nicht einmal durfte, da ich nur für reine Vereinsanlagen zuständig war.
Trotz das man wirklich geschafft hat und am Tagesende in die Matte fiel, man aus gutem Willen heraus immer mehr gegeben hat, man war auf krass deutsch der Neger für alles und den man immer noch ein Stück ausquetschen konnte. Bald täglich bekam man zu hören das es zu langsam geht, man angeblich schon früher ging und überhaupt faul sei. Motivation pur sage ich da nur.
Und da machste nix. Einerseits bist du darauf angewiesen weil du das Geld brauchst. Andererseits kannst du dich nirgends beschweren, da dein Wort kein Gewicht hat und du wenn es ganz dumm läuft noch eine Sanktion kassierst, weil man dich schön an den Eiern hat.
"Lebensmodell" Hartz IV ist demütigender Kuhdung. Wenn man nicht zu denen gehört denen eh schon alles egal sein kann, die damit klar kommen und obendrein immer irgendwie durch kommen. Ansonsten ist das Ausgrenzung, Demütigung und Frustration pur.
Godfather hat geschrieben:Ich hatte in meiner Studentenzeit ungefähr dasselbe an Geld zur Verfügung und das hat völlig ausgereicht.
Das ist kein Leben im Luxus, aber gefehlt hat es mir dennoch an nichts.
Ich hatte Strom, DSL/Internet, Bücher, ordentliches Essen und trotzdem noch Geld für Kino, Feiern und Kleidung zur Verfügung.
Wofür brauchts also mehr?
Wieder dieser tolle Vergleich... Studienzeit ist eine begrenzte Zeit in der du auf eine Perspektive hin arbeitest und wo du, wenn du dich nicht allzu dämlich anstellst, auf einen Job freuen kannst, der diese Durststrecke vom Ertrag her mehr als Wett macht. Das Glück überhaupt dahin zu kommen hat nicht jeder und rein von den Kosten her gesehen, bekommt auch trotz Studiengebühren eine Top Ausbildung quasi geschenkt. Hat am Ende sogar freie Ortswahl und kann dem Steuerzahler die zig tausenden Euro Ausbildungskosten schuldig bleiben, ohne das es einer krumm nimmt. Etwas was auch nicht selbstverständlich ist.
Auf der anderen Seite einer Anfang 50. Immer hart geschuftet, eingezahlt und nach seinen Möglichkeiten Leistungstrüäger durch und durch gewesen. Von heute auf morgen schickt man ihn aufs Altenteil. Den will keiner mehr und seine Perspektive lautet Grundsicherung bis zum Alter. Ist das Vergleichbar? Schlimmer ist da noch unsere jetzige Generation dran die teilweise lange im Niedriglohnsektor arbeiten muss und kaum oder gar keine private Alterssicherung nebenher erwirtschaften kann. Wenn du da abgelegt wirst dann lautet die Perspektive schlicht und ergreifend Grundsicherung bis das Licht ausgeht. Unabhängig davon ob du dir den Arsch krum gearbeitet hast oder nicht. Das ist nicht nur die Materielle Lücke, da ist auch die psychologische. Der Verkauf von Strick am laufenden Meter dürfte wohl noch Konjunktur bekommen.
Das Wetter...