Florence hat geschrieben:Für mich war der Film auch ziemlich belanglos. Lässt man mal den Clou der Produktion außen vor, hat man eine Geschichte, die so doch häufiger in irgendeinen Independent-Film zusehen ist. Es sagt auch schon viel aus, wenn bei einem Film hauptsächlich über den "technischen" Aspekt gesprochen wird und der Inhalt kaum auf Resonanz stösst. Ich war sogar überrascht, dass Patricia Arquette für ihre Rolle mit einem Golden Globe ausgezeichnet wurde, da ich in ihrem Schauspiel nicht außergewöhnliches und denkwürdiges ausmachen konnte. Da das aber auch bei vielen ihrer Konkurrentinnen der Fall war, hat hier wohl das kleinere "Übel" gewonnen.
Die Geschichte, die erzählt wird, ist wie gesagt nichts besonderes, jedenfalls wenn man als Geschichte lediglich die Prämisse "Junge wird erwachsen" betrachtet. Glücklicherweise macht diese 'Geschichte' allein aber ja noch keinen Film aus. Die Umsetzung zählt. Eine banale Prämisse kann auf wunderbare Weise umgesetzt werden und durchaus hintergründige Qualitäten entfalten, je nachdem wie man mit ihr umgeht. Das Drehbuch von
Boyhood ist nicht ohne Schwächen (es gab sogar zwei Stellen, bei denen ich mit den Augen rollen musste, und die gar nicht zum Rest des Films passen wollen), aber es gibt durchaus sehr schöne Dialoge über das Leben, über die Vergänglichkeit - zentrale Themen des Films. Mich persönlich haben sie berührt.
Dass die speziellen Produktionsbedingungen immer wieder erwähnt werden, liegt in der Natur der Sache - sowas gab's noch nicht und marketingtechnisch ist es ein selling point. Kritiker haben u.a. aber auch die Regie, den Realismus und die Schauspieler gelobt.
Die Nominierung Patricia Arquettes kann ich nachvollziehen - ob sie gerechtfertigt ist, weiß ich nicht, da ich die anderen Filme in der Kategorie nicht gesehen habe. Ich fand aber, dass sie der Figur eine Tiefe und Emotionalität gegeben hat, die man wegen des Fokus auf Mason vielleicht nicht erwartet hätte. Vor allem ihre letzte Szene finde ich stark - was das Schauspiel von Arquette als auch das Drehbuch angeht.
Tanja Timanfaya hat geschrieben:Nein, wird sie nicht, weil er viel zu schnell damit abschließt. Er fragt, ob er seine Stiefgeschwister je wiedersehen wird und nimmt die absolut unbefriedigende Antwort seiner Mutter einfach so hin. Es belastet ihn nichtmal, dass er seine Familie und sein Zuhause verliert ...
So schnell schließt du in dem Alter nicht damit ab.
Woher willst du wissen, dass er damit schnell abschließt?
Boyhood behandelt einen Zeitraum von zwölf Jahren und der Zuschauer bekommt lediglich Einblicke in Masons Leben. Der Film arbeitet stark mit Auslassungen. Als Zuschauer brauche ich nicht sämtliche Erklärungen und Ausführungen aufgetischt zu bekommen. Eine solche Erzählweise finde ich auch weitaus ehrlicher als den Versuch, das Innenleben einer Figur gesamtheitlich und abschließend erzählen zu wollen. Darüber hinaus ist Mason ein in sich gekehrter Junge und ein Mono- oder Dialog etwa, der seine Gefühle verbalisiert, wäre unrealistisch.
Tanja Timanfaya hat geschrieben:Und da sind wir wieder bei der Tatsache, dass der Film handwerklich sehr gut gemacht ist, aber eben nicht mehr. Und das, ich bin mir nicht mal sicher, ob du das merkst, bestätigst du ja selbst, nimmst es aber als Absicht wahr.
Ob es nun Absicht ist oder schlichtweg Desinteresse bei Linklater, man kann das Fehlen von mehr Handlung als handwerklichen Aspekt des Films gut heißen oder trotz der sehr guten handwerklichen Arbeit kritisieren, ohne damit den Film schlecht zu machen oder über die Maßen zu loben.
Du bist echt manchmal drollig. Sprichst dauernd darüber, dass deine Meinung deine Meinung sei und verkaufst sie dann doch als Tatsache. Du witterst überall Unterstellungen und unterstellst mir, dass ich die "Tatsache", dass der Film bloß handwerkliche Qualitäten aufweist, bestätige und das aber ja nicht bemerke. Das ist anmaßend.
Ja, es ist Absicht, dass Linklater den Film nicht vollstopft mit weiteren Handlungssträngen. Dann hätte er nämlich bald eine Spieldauer von zwölf Jahren.
Tanja Timanfaya hat geschrieben:Du widersprichst dir glücklicherweise gerade selbst, sodass ich das nicht mehr tun muss. Ja, du widersprichst dir, wenn du sagst, dass Handlung kein Qualitätskriterium ist, und du im nächsten Atemzug damit kommst, dass zu viel Handlung Filme zerstört.
Ein Film braucht das richtige Maß an Handlung.
Schade, dass du meinen Post anscheinend nur flüchtig gelesen hast. Ich habe nirgendwo behauptet, dass Handlung kein Qualitätskriterium sei. Ich habe geschrieben, Zitat - Ob in einem Film wenig oder viel passiert, ist [...] kein Qualitätskriterium - Zitatende. Anders gesagt: Die Quantität der Handlungsstränge ist irrelevant. Und eigentlich dachte ich, dass das in meinem darauf folgenden Satz deutlich würde. Eine minimal gehaltene Handlung deutet noch nicht auf einen schlechten Film (oder auch auf sonstige narrative Ausdrucksformen) hin und ein vollgestopfter Film garantiert keine hohe Qualität.
Sagst du ja dann selbst. Das richtige Maß an Handlung. Du findest, dass in
Boyhood zu wenig passiert, ich finde dagegen, sie ist dem Film angemessen.
Tanja Timanfaya hat geschrieben:Dieses Maß wird durch das Genre bestimmt, beispielsweise ist zu viel Handlung in einer Tierdoku oder einem Film wie "Deutschland von oben" fehl am Platz, wenn aber in einem knapp dreistündigen Film einfach nur das sehr langweilige Leben eines Teenies plätschert, dann ist es zu wenig Handlung.
Was passiert im Leben eines normalen Teenagers, das man mehr ausbauen könnte und müsste: Sein erster Job, in dem einiges gut, anderes schief geht, die erste Liebe (die nur am Rande erwähnt wurde), der erste Liebeskummer, Experimente mit Alkohol, Tabak und vielleicht anderem und deren Nachwirkungen (diese wurden im Film überhaupt nicht thematisiert), Krach mit Freunden, Führerschein machen und mehr...
Ein gutes Beispiel dafür, dass wenig passiert, ist der 16. Geburtstag, zu dem er eigentlich das Auto seines Vaters hätte bekommen sollen. Der hat es aber verkauft, weil er das nicht mehr wusste. Kein normaler Teenager nimmt das mehr oder weniger schulterzuckend hin, wenn er sich fast ein Jahrzehnt drauf freute. Hier müsste im Film viel mehr passieren. Oder das Geschwisterchen, das plötzlich einfach da ist, da dürfte die Hauptperson durchaus mehr zu fühlen, erleben, mitmachen, anstatt einfach dran vorbei zu plätschern.
Finde ich ein bisschen vereinfachend, das "Maß der Handlung" am Genre festzumachen. Da gibt es Gott sei Dank dann doch mehr Freiraum für die Drehbuchautoren.
Und fändest du den Film wirklich spannender, wenn man Mason noch dabei beobachten könnte, wie er den Führerschein macht? Also, ich nicht. Der Film ist außerdem schon drei Stunden lang. Es ist überhaupt nicht realistisch, all diese Alltäglichkeiten und Erfahrungen noch in den Film einbinden zu wollen. Als Regisseur und Drehbuchautor muss man eine Auswahl treffen.
Du scheinst eine linear-kausale Plotstruktur zu bevorzugen. So funktioniert
Boyhood natürlich nicht. Er zeigt dem Zuschauer mosaikhaft einzelne Szenen aus Masons Leben und dazwischen sind Leerstellen. Das hat nichts mit einem "Desinteresse" Linklaters zu tun (so viel Professionalität dürfte man ihm schon unterstellen), sondern ist zum einen eine natürliche Konsequenz aus dem Vorhaben, einen Zeitraum von zwölf Jahren abdecken zu wollen, zum anderen eine bewusste stilistische Entscheidung, die dem Zuschauer gedanklichen Freiraum lässt und den Rhythmus des Films prägt.
Tanja Timanfaya hat geschrieben:Niemand will dir absprechen, dass du den Film mochtest - aber du solltest auch nicht uns absprechen, dass wir ihn nicht mochten und uns/mir Zickigkeit oder Trotz nterstellen, wenn wir dich darauf hinweisen.
Again: Wo verbiete ich irgendjemandem den Film nicht zu mögen? Der Sinn eines Diskussionsforums ist es soweit ich weiß, miteinander zu diskutieren. Dies wird aber erschwert, wenn du dich immer sofort in Abwehrhaltung positionierst und so tust, als hätte ich irgendwo geschrieben "Tanja! Du darfst nicht sagen, dass dieser Film dir nicht gefällt!" Ich weiß auch nicht, wer "wir" ist, denn bis zu diesem Post habe ich ja nur mit dir über den Film gesprochen. :shock: