- Sa 8. Okt 2011, 17:26
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Eigentlich war Glee für mich nach der katastrophalen zweiten Staffeln erledigt. Ein paar Highlights reichen einfach nicht um den Misthaufen zu retten. Als ich dann von den neuen Autoren las, hab ich aber beschlossen zumindest die ersten drei Folgen zu schauen - allein schon aus sagen wir mal fachlicher Neugier darauf wie sie all die vielen, vielen Baustellen der Show angehen. Und was soll ich sagen? Ich bin froh, dass ich es gemacht habe. Der Qualitätssprung in den Drehbüchern ist gewaltig!
Die dritte Folge ist für mich tatsächlich die beste Glee Folge bisher. Auch wenn es in den letzten zwei Staffeln einzelne Momente gab, die hervorstechender und erinnerungswürdiger waren, war keine Folge so durchweg gut. Ich fand es schon großartig, dass man dieses Mal eher die zweite Reihe in den Vordergrund gestellt hat, die auch gleich Gas geben, um Kurt und Rachel die Show zu stehlen. Die supporting roles Mike, Mercedes und Brittany sind plötzlich die Protagonisten und die leads müssen reagieren, geraten unter Druck und Zugzwang. Allein das bringt schon eine ganz neue Dynamik in die Story und eignete sich ideal um das Ensemble mal richtig auszureizen.
Im Vergleich zu den vorigen zwei Folgen war die Musikauswahl hier auch deutlich abwechslungsreicher. Uptempo Pop, Soul, getragenes und etwas jazziges Musical und zum Abschluss noch etwas baladiges. Gegenüber der zweiten Staffel sind die Songs auch wieder deutlich mehr in die Story integriert und folgen wieder einem inhaltlichen Leitmotiv der Geschichte statt nur den nächsten featured artist of the week abzuspulen. Allein das killt schon einen meiner größten S2 Kritikpunkte und war für mich eine Mindestanforderung um weiterzuschauen.
Womit ich aber gar nicht mehr gerechnet hatte, war, dass Glee plötzlich die Gefühlsseite meistert. Wo man sich früher nie wirklich um Motivationen und nachvollziehbare Handlungen geschert hat, weil das ja eh alles in einer rose Kaugummieblasenwelt stattfand, kamen hier völlig unerwartet anrührend geschriebene Szenen und man kann sich in die Charaktere einfühlen. Und das sogar aus konstanten Figurenentwicklungen heraus. Ich fand Mercedes Story im Gegensatz zu Erzlump gar nicht so sehr auf die Dreamsgirls-Parallele forciert, denn das war alles schon vorher angelegt. Ihre ich singe nur, aber tanze nicht Divahaftigkeit, der Neid, das sich selbst im Weg stehen und anderen die Schuld geben - all das war schon vor dieser Folge angelegt und wurde hier sehr stringent zu einem stark gebauten Konflikt verdichtet. Hölzern kann ich das auch nicht finden. Für Gleeverhältnisse war das sogar recht komplex wie man mit den Zuschauersympathien gespielt hat. Erst hat man uns für ihr neues Selbstbewusstsein begeistert, wofür man ihr den Part und den lieb unterstützenden Freund gegönnt hätte, dann wurde das Szene für Szene wieder gebrochen und demontiert - aber sogar da nicht ganz einseitig durch ihre Fehler. Denn zu einem gewissen Grad (alle betüdeln Rachel, aber nie sie) hat sie auch recht.
Richtig ergreifend fand ich die Mike Chang Story umgesetzt. Okay, die Asian Billy Elliot Kiste ist jetzt nicht superoriginell, aber es war einfach super umgesetzt und bei der wunderschönen Szene mit seiner Mutter hatte ich sogar ein Rührungstränchen im Auge. Das ist mir bei Glee glaub ich auch noch nie passiert. Keine Folge hat mich bisher emotional so involviert und mit den Charakteren fühlen lassen. Toll dass sie Mike mal mehr Spotlight gegeben haben. Der Darsteller hat nicht nur gesanglich zulegt sondern auch schauspielerisch.
Sehr schön fand ich auch die kleine Kurt-Blaine-Szene. Nach der Audition in der letzten Folge hatte ich schon Kurt auf Zickenkrieg befürchtet. Als er dann stattdessen mit den Blumen kam und Blaine genauso erstaunt war wie ich, war ich umso erfreuter, dass sich die Autoren nicht für den billig offensichtlichen Konfliktpfad entschieden haben. Sogar Will und Emma waren süß statt nervig, die Story um ihre Eltern trad das richtige Maß an skurril ohne over the top zu gehen. Ich bin ja persönlich nicht im allergeringsten religiös und empfinde Beten immer als sehr befremdlich, aber sogar das hat mich nicht groß gestört, weil es für die beiden passte. Und sogar seit Ewigkeiten mal wieder ein guter und passender Song für Will.
Die bisherigen drei Folgen haben wirklich ganze Arbeit geleistet, den Cast gezielt umzupositionieren und den Figuren auch mal was zu tun zu geben. Puck und Quinn wollen am Leben ihres Kindes teilhaben und steuern auf sehr unterschiedliche Weisen auf dieses Ziel zu, Kurt und Rachel kriegen auf ihrem ambitionierten Weg mal einen Realitätsschock, das Musical bindet Beiste und Emma näher an die Kids, gibt auch Artie mal eine vernünftige Funktion (die hier auch witzig und augenzwinkernd gespielt war) und bietet eine zweite Bühne neben dem Weg zu den Sectionals, Will und Emma haben sich endlich gekriegt, wodurch überhaupt erst die interessanteren Stories losgehen, weil das eine sehr (heraus)fordernde Beziehung ist, und dann ist da noch die Schulsprecherwahl. Alles gut eingebettete storyarcs, die auch was hergeben können, so dass man sich nicht jede Woche ne neue Kurzstory rausquälen muss. Das ist schon eine gute Voraussetzung, um mal etwas konstanter und weniger hit or miss zu werden.
Die Art wie Will jetzt Dampf macht und die New Directions Gas geben kann man schon fast auf eine Metaebene deuten. Letztes Jahr waren wir abgelenkt, selbstzufrieden, sind Trends hintergelaufen und nachlässig geworden. Dafür gabs am Ende ne Watsche und jetzt will man neu ambitioniert reinklotzen. Das beschreibt eigentlich den Stand der ganzen Show und spürt man nicht nur bei den Drehbüchern. Auch die Kameraarbeit und der Schnitt sind mir diese Folge ausgesprochen positiv aufgefallen, die ganze Inszenierung legt zu.
Kann man also in nur drei Folgen wirklich alles fixen, was in Staffel 2 verbockt wurde? Nein, nicht ganz. Eine richtig große Herausforderung bleibt, die man diese Folge ganz dezent beiseite geschoben hat: Sue Sylvester. Wenn es die Autoren in den nächsten Folgen auch noch schaffen die mit ihrem anti-arts Feldzug wieder auf ein vernünftiges Level zu bringen und sinnvoll in den Staffelbogen zu integrieren, wär ich wirklich restlos begeistert. Das wird aber ein hartes Stück Arbeit und ich bin sehr neugierig wie sie das angehen - und natürlich ob sie das Niveau auch halten. Glee hatte auch in der Vergangenheit immer mal wieder lichte Momente, wo ich dachte, jetzt kriegen sie es wirklich in den Griff und dann war es wieder so unkonstant.
Während ich das hier geschrieben habe, wollte ich nur nochmal eine kleine Szene nachschauen und habe dann irgendwie nochmal die ganze Folge gesehen. Einfach weil auf jede gute Szene noch eine starke folge - ganz ohne Augenroll- und Fremdschämmomente (dafür erneut mit Rührungstränchen, diesmal am Folgenende). Auch das hatte ich noch bei keiner Gleefolge und deshalb zücke ich hier erstmals in diesem Thread die
10/10
"And in that moment, I swear we were infinite."