- Di 28. Aug 2012, 14:49
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„Parade’s End“ ist ein Jahrhundertroman. Doch gilt das Werk von Ford Madox Ford noch immer als Geheimtipp. Dass BBC und HBO daraus nun nach einem Drehbuch von Tom Stoppard eine große Serie machen, könnte daran etwas ändern.FAZ
Es gibt Bücher, die als Meisterwerk gefeiert werden und dennoch ein Geheimtipp bleiben. In diese Kategorie fällt Ford Madox Fords „Parade’s End“. Und aus diesem Vergessen soll die tiefgründige Tetralogie über den Ersten Weltkrieg jetzt durch eine von der BBC und dem amerikanischen Abosender HBO in Auftrag gegebene Miniserie gerissen werden mit einem Drehbuch des Dramatikers Tom Stoppard und dem umschwärmten „Sherlock“-Darsteller Benedict Cumberbatch an der Spitze einer hochkarätigen Besetzung.
“Parade’s End“ schildert anhand der Wechselfälle im Leben des ehrbaren britischen Gentleman Christopher Tietjens den Niedergang der traditionellen britischen Gesellschaft und den Anbruch des modernen Zeitalters. Tietjens, Spross einer alteingesessenen nordenglischen Landbesitzerfamilie holländischer Herkunft, ist in einem Liebesdreieck gefangen zwischen Pflicht und Leidenschaft: zwischen Sylvia, der durchtriebenen Ehefrau, die für Glamour steht, und Valentine Wannop, der frischen, freigeistigen Suffragette, einer „Frau des zwanzigsten Jahrhunderts“, die den Weg in die Zukunft weist, so wie auch Fords Tetralogie mit ihrem verzerrten Zeitgefühl, der wechselnden Erzählperspektive und den Bewusstseinsströmen den Übergang des Realismus zur Moderne markiert.
Ein vernachlässigter Klassiker
Die vier zwischen 1924 und 1928 veröffentlichten Romane, in die Ford Madox Ford seine eigenen Erfahrungen an der Front im Ersten Weltkrieg einbrachte, wurden 1950, mehr als zehn Jahre nach dem Tod des Autors, als einbändige Ausgabe herausgegeben. Der Titel, „Parade’s End“, den sich Ford gewünscht hatte, versteht sich freilich nicht nur im militärischen, sondern im zivilisatorischen Sinne. Christopher Tietjens, den Benedict Cumberbatch mit zitterndem Kinn und steifer Oberlippe als den Inbegriff des zugeschnürten Briten darbietet, stellt das eigene Gefühl zurück. Er duldet die Untreue und die infamen Sticheleien, durch die ihn seine Frau zu provozieren versucht, in ihrem Frust über den scheinbar unerschütterlichen Gleichmut ihres Mannes. Er wehrt sich nicht gegen üble Nachrede, obwohl ihn diese souveräne Haltung die Karriere kostet. Und lange versagt er sich die Liebe zu Valentine Wannop, die schon bei der ersten Begegnung erblüht, daher der Titel des ersten Romans - „Manche tun es nicht“. Diesen rückt Stoppard in den Mittelpunkt seiner Bearbeitung. Die ersten drei Folgen der Miniserie beruhen nahezu ganz darauf.
Vielfach gerühmt als der größte Roman über den Ersten Weltkrieg und über das Wesen der britischen Gesellschaft, gehört „Parade’s End“ dennoch zu den vernachlässigten Klassikern. Die Romane wurden erst vor wenigen Jahren nach und nach ins Deutsche übertragen, als „Manche tun es nicht“, „Keine Paraden mehr“, „Der Mann, der aufrecht blieb“ und „Zapfenstreich“ - obwohl Ford halber Deutscher war und sich zeitweilig sogar um die deutsche Staatsbürgerschaft bemühte, allerdings eher wegen seines vertrackten Privatlebens als aus irgendeinem Nationalgefühl heraus. Sein Vater, der aus Münster stammende Musikkritiker Franz Hüffer, wanderte nach England aus, heiratete die Tochter des präraffaelitischen Künstlers Ford Madox Brown und anglisierte seinen Namen in Hueffer, unter dem der Sohn seine ersten Schriften veröffentlichte. Am Ende des Ersten Weltkrieges wechselte Ford Madox Ford den Nachnamen, um seine deutsche Herkunft herunterzuspielen. Womöglich rührt das Interesse für das Wesen der britischen Gesellschaft und die Benimmregeln der oberen Mittelschicht aus dieser den Blick schärfenden Außenseiterperspektive.
„,Downton Abbey’ für Erwachsene“?
Auch in Britannien wird „Parade’s End“ wenig gelesen. Tom Stoppard kannte das Buch nur vom Hörensagen, als der Produzent Damien Timmer vor mehreren Jahren mit dem Vorschlag an ihn herantrat, den komplizierten Stoff für den Bildschirm zu bearbeiten. Stoppard geriet schnell in den Sog von Ford Madox Fords geschliffener Prosa. Er musste sich nicht lange überreden lassen, die Herausforderung anzunehmen. Das Epos ist zu fünf einstündigen Episoden verdichtet worden, wobei Stoppard Einzelheiten hinzugesetzt hat, die im Roman allenfalls zwischen den Zeilen vorkommen. Er fasst diese Freiheiten unter den Begriff der „untreuen Treue“ und behauptet, im Sinne des Autors vorgegangen zu sein.
Die britischen Medien stellen das Kostümdrama ironisch als „,Downton Abbey’ für Erwachsene“ dar, als wolle die BBC damit ihren kommerziellen Rivalen ITV herausfordern. Die Handlung spielt zwar in derselben Zeit und in einem ähnlichen Milieu. Auch befriedigt die Verfilmung das Bedürfnis nach Dramen einer Epoche, in der die Gesellschaft vor dem Abgrund stand und es nur leise ahnte. Doch macht sich die BBC keine Illusionen, dass sie die Erfolgsquoten der demnächst in die dritte Staffel gehenden „Downton Abbey“-Serie von Julian Fellowes erreichen könnte, die Benedict Cumberbatch unlängst mit unverfrorenem Hochmut „sentimental, voller Klischees und grauenhaft“ genannt hat.
Eine meisterhafte Verfilmung
Mit ihrer an diesem Freitag beginnenden, an fast hundertfünfzig Schauplätzen in England und in Belgien gedrehten Serie strebt die BBC nach Höherem. Sie legt die Messlatte hoch, ganz so, als besinne sie sich nach Jahren der Verdummung des Bildungsideals ihres Gründers Lord Reith, der Öffentlichkeit zu geben, was sie haben sollte und nicht, wonach sie verlange. Die Regisseurin Susanna White will das Publikum fordern. Bei „Downton Abbey“ könne man es sich auf dem Sofa gemütlich machen. „Parade’s End“ sei „Millionen von Meilen“ davon entfernt, sagt sie. Dem Zuschauer werde absolute Konzentration abverlangt, sonst gehe die sich kumulativ entfaltende Handlung an ihm vorbei.
Die Impressionen, die Ford Madox Ford durch literarische Anspielungen und sprachliche Raffinesse beschwört, vermittelt Susanna White in ebenso nuancierten wie symbolträchtigen Bildern. Schon der Vorspann gibt einen Vorgeschmack des ambitionierten Versuchs, nicht nur den Plot, sondern auch die avantgardistischen Züge des Romans zu erfassen. Die Namen der mehr als hundert Mitwirkenden, darunter glänzende Bühnen- und Filmschauspieler wie Rebecca Hall in der Rolle der feurigen Sylvia Tietjens, Roger Allam, Rupert Everett, Miranda Richardson und Geoffrey Palmer, flimmern in einem die Zeitschleife suggerierenden Spiegelprisma über den Bildschirm. Durch eines der Dreiecke führt uns die Kamera ins Geschehen.
In satten Bildern bringt uns Susanna White die Welt von Gestern nahe, die Welt der unter dem Firnis des gesellschaftlichen Verhaltenskodex schwelenden Gefühle und enttäuschten Erwartungen, die Welt der britischen Herrenclubs, der edlen Landgesellschaften und der Londoner Salons, die Welt, die in den flandrischen Schützengräben zerschmettert wurde. Es ist eine meisterhafte Verfilmung, die viele neue Leser an Ford Madox Ford heranführen dürfte.
Zuletzt geändert von Theologe am Sa 30. Mär 2013, 22:37, insgesamt 1-mal geändert.
Bild? Ich sehe keines.



