US-Fernsehen (inklusive Season- und Pilot-Reviews), britisches Fernsehen etc.
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von Theologe
#1145230
„Parade’s End“ ist ein Jahrhundertroman. Doch gilt das Werk von Ford Madox Ford noch immer als Geheimtipp. Dass BBC und HBO daraus nun nach einem Drehbuch von Tom Stoppard eine große Serie machen, könnte daran etwas ändern.
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Es gibt Bücher, die als Meisterwerk gefeiert werden und dennoch ein Geheimtipp bleiben. In diese Kategorie fällt Ford Madox Fords „Parade’s End“. Und aus diesem Vergessen soll die tiefgründige Tetralogie über den Ersten Weltkrieg jetzt durch eine von der BBC und dem amerikanischen Abosender HBO in Auftrag gegebene Miniserie gerissen werden mit einem Drehbuch des Dramatikers Tom Stoppard und dem umschwärmten „Sherlock“-Darsteller Benedict Cumberbatch an der Spitze einer hochkarätigen Besetzung.

“Parade’s End“ schildert anhand der Wechselfälle im Leben des ehrbaren britischen Gentleman Christopher Tietjens den Niedergang der traditionellen britischen Gesellschaft und den Anbruch des modernen Zeitalters. Tietjens, Spross einer alteingesessenen nordenglischen Landbesitzerfamilie holländischer Herkunft, ist in einem Liebesdreieck gefangen zwischen Pflicht und Leidenschaft: zwischen Sylvia, der durchtriebenen Ehefrau, die für Glamour steht, und Valentine Wannop, der frischen, freigeistigen Suffragette, einer „Frau des zwanzigsten Jahrhunderts“, die den Weg in die Zukunft weist, so wie auch Fords Tetralogie mit ihrem verzerrten Zeitgefühl, der wechselnden Erzählperspektive und den Bewusstseinsströmen den Übergang des Realismus zur Moderne markiert.
Ein vernachlässigter Klassiker

Die vier zwischen 1924 und 1928 veröffentlichten Romane, in die Ford Madox Ford seine eigenen Erfahrungen an der Front im Ersten Weltkrieg einbrachte, wurden 1950, mehr als zehn Jahre nach dem Tod des Autors, als einbändige Ausgabe herausgegeben. Der Titel, „Parade’s End“, den sich Ford gewünscht hatte, versteht sich freilich nicht nur im militärischen, sondern im zivilisatorischen Sinne. Christopher Tietjens, den Benedict Cumberbatch mit zitterndem Kinn und steifer Oberlippe als den Inbegriff des zugeschnürten Briten darbietet, stellt das eigene Gefühl zurück. Er duldet die Untreue und die infamen Sticheleien, durch die ihn seine Frau zu provozieren versucht, in ihrem Frust über den scheinbar unerschütterlichen Gleichmut ihres Mannes. Er wehrt sich nicht gegen üble Nachrede, obwohl ihn diese souveräne Haltung die Karriere kostet. Und lange versagt er sich die Liebe zu Valentine Wannop, die schon bei der ersten Begegnung erblüht, daher der Titel des ersten Romans - „Manche tun es nicht“. Diesen rückt Stoppard in den Mittelpunkt seiner Bearbeitung. Die ersten drei Folgen der Miniserie beruhen nahezu ganz darauf.

Vielfach gerühmt als der größte Roman über den Ersten Weltkrieg und über das Wesen der britischen Gesellschaft, gehört „Parade’s End“ dennoch zu den vernachlässigten Klassikern. Die Romane wurden erst vor wenigen Jahren nach und nach ins Deutsche übertragen, als „Manche tun es nicht“, „Keine Paraden mehr“, „Der Mann, der aufrecht blieb“ und „Zapfenstreich“ - obwohl Ford halber Deutscher war und sich zeitweilig sogar um die deutsche Staatsbürgerschaft bemühte, allerdings eher wegen seines vertrackten Privatlebens als aus irgendeinem Nationalgefühl heraus. Sein Vater, der aus Münster stammende Musikkritiker Franz Hüffer, wanderte nach England aus, heiratete die Tochter des präraffaelitischen Künstlers Ford Madox Brown und anglisierte seinen Namen in Hueffer, unter dem der Sohn seine ersten Schriften veröffentlichte. Am Ende des Ersten Weltkrieges wechselte Ford Madox Ford den Nachnamen, um seine deutsche Herkunft herunterzuspielen. Womöglich rührt das Interesse für das Wesen der britischen Gesellschaft und die Benimmregeln der oberen Mittelschicht aus dieser den Blick schärfenden Außenseiterperspektive.
„,Downton Abbey’ für Erwachsene“?

Auch in Britannien wird „Parade’s End“ wenig gelesen. Tom Stoppard kannte das Buch nur vom Hörensagen, als der Produzent Damien Timmer vor mehreren Jahren mit dem Vorschlag an ihn herantrat, den komplizierten Stoff für den Bildschirm zu bearbeiten. Stoppard geriet schnell in den Sog von Ford Madox Fords geschliffener Prosa. Er musste sich nicht lange überreden lassen, die Herausforderung anzunehmen. Das Epos ist zu fünf einstündigen Episoden verdichtet worden, wobei Stoppard Einzelheiten hinzugesetzt hat, die im Roman allenfalls zwischen den Zeilen vorkommen. Er fasst diese Freiheiten unter den Begriff der „untreuen Treue“ und behauptet, im Sinne des Autors vorgegangen zu sein.

Die britischen Medien stellen das Kostümdrama ironisch als „,Downton Abbey’ für Erwachsene“ dar, als wolle die BBC damit ihren kommerziellen Rivalen ITV herausfordern. Die Handlung spielt zwar in derselben Zeit und in einem ähnlichen Milieu. Auch befriedigt die Verfilmung das Bedürfnis nach Dramen einer Epoche, in der die Gesellschaft vor dem Abgrund stand und es nur leise ahnte. Doch macht sich die BBC keine Illusionen, dass sie die Erfolgsquoten der demnächst in die dritte Staffel gehenden „Downton Abbey“-Serie von Julian Fellowes erreichen könnte, die Benedict Cumberbatch unlängst mit unverfrorenem Hochmut „sentimental, voller Klischees und grauenhaft“ genannt hat.
Eine meisterhafte Verfilmung

Mit ihrer an diesem Freitag beginnenden, an fast hundertfünfzig Schauplätzen in England und in Belgien gedrehten Serie strebt die BBC nach Höherem. Sie legt die Messlatte hoch, ganz so, als besinne sie sich nach Jahren der Verdummung des Bildungsideals ihres Gründers Lord Reith, der Öffentlichkeit zu geben, was sie haben sollte und nicht, wonach sie verlange. Die Regisseurin Susanna White will das Publikum fordern. Bei „Downton Abbey“ könne man es sich auf dem Sofa gemütlich machen. „Parade’s End“ sei „Millionen von Meilen“ davon entfernt, sagt sie. Dem Zuschauer werde absolute Konzentration abverlangt, sonst gehe die sich kumulativ entfaltende Handlung an ihm vorbei.

Die Impressionen, die Ford Madox Ford durch literarische Anspielungen und sprachliche Raffinesse beschwört, vermittelt Susanna White in ebenso nuancierten wie symbolträchtigen Bildern. Schon der Vorspann gibt einen Vorgeschmack des ambitionierten Versuchs, nicht nur den Plot, sondern auch die avantgardistischen Züge des Romans zu erfassen. Die Namen der mehr als hundert Mitwirkenden, darunter glänzende Bühnen- und Filmschauspieler wie Rebecca Hall in der Rolle der feurigen Sylvia Tietjens, Roger Allam, Rupert Everett, Miranda Richardson und Geoffrey Palmer, flimmern in einem die Zeitschleife suggerierenden Spiegelprisma über den Bildschirm. Durch eines der Dreiecke führt uns die Kamera ins Geschehen.

In satten Bildern bringt uns Susanna White die Welt von Gestern nahe, die Welt der unter dem Firnis des gesellschaftlichen Verhaltenskodex schwelenden Gefühle und enttäuschten Erwartungen, die Welt der britischen Herrenclubs, der edlen Landgesellschaften und der Londoner Salons, die Welt, die in den flandrischen Schützengräben zerschmettert wurde. Es ist eine meisterhafte Verfilmung, die viele neue Leser an Ford Madox Ford heranführen dürfte.
FAZ
Zuletzt geändert von Theologe am Sa 30. Mär 2013, 22:37, insgesamt 1-mal geändert.
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von little_big_man
#1145240
Bin vor einigen Tagen zufällig beim durhzappen im TV auf diese Serie gestossen bei BBC und wurde dadurch daran erinnert, dass ich die schon vor einigen Monaten mal auf meine Nachholliste gesetzt habe, wohl als ich eine Ankündigung gelesen habe.

Anschauen werde ich sie dann aber irgendwann, wenn sie komplett vorliegt...am liebsten natürlich auf BluRay. Bei der TV-Ausstrahlung, die bereits mittendrin in der ersten Episode war, habe ich nur kurz 1-2 Minuten reingeschaut...
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von Theologe
#1145353
Die erste Folge hat mich zumindest noch nicht überzeugt. Das war kein Downton Abbey für Erwachsene, sondern recht schnarchiges Kostüm-TV.
von Stefan
#1145376
Was heißt da eigentlich Downton Abbey für Erwachsene!? Dafuq - als würd DA auf NickXD laufen :evil:
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von redlock
#1145384
Der ultimative Roman über WWI ist ''Im Westen nichts Neues'' von Erich Maria Remarque. Basta.
Haben die Amis schon 1930 verfilmt und den Oscar für den ''Besten Film'' gegeben. Hätte HBO mal lieber ein Remake davon gemacht.
Das hier hört sich wie die etwas weitscheifrigere Variante aus britischer Sicht an.
Aber gut, suum cuique.
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von Theologe
#1145457
Stefan hat geschrieben:Was heißt da eigentlich Downton Abbey für Erwachsene!? Dafuq - als würd DA auf NickXD laufen :evil:
Heißen soll das wohl, dass es nicht so soapig ist wie Downton Abbey. Das stimmt zwar, aber es ist zumindest in der ersten Episode kaum unterhaltsam. Da gucke ich doch lieber die "Kinderversion".
redlock hat geschrieben:Der ultimative Roman über WWI ist ''Im Westen nichts Neues'' von Erich Maria Remarque. Basta.
Haben die Amis schon 1930 verfilmt und den Oscar für den ''Besten Film'' gegeben. Hätte HBO mal lieber ein Remake davon gemacht.
Hat Hallmark schon 1979 gemacht, mit John Boy Walton und Ernest Borgnine.
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von str1keteam
#1145471
Theologe hat geschrieben: Hat Hallmark schon 1979 gemacht, mit John Boy Walton und Ernest Borgnine.
Trotz John Boy sogar äußerst gelungen.
Ein inoffizielles Remake gabs ja auch in DS9 mit Jake an der Front.
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von redlock
#1145514
Theologe hat geschrieben:
redlock hat geschrieben:Der ultimative Roman über WWI ist ''Im Westen nichts Neues'' von Erich Maria Remarque. Basta.
Haben die Amis schon 1930 verfilmt und den Oscar für den ''Besten Film'' gegeben. Hätte HBO mal lieber ein Remake davon gemacht.
Hat Hallmark schon 1979 gemacht, mit John Boy Walton und Ernest Borgnine.
Das hab ich in grauer Vor(internet)Zeit sogar im O-Ton gesehen. Und tatsächlich sind str1keteam und ich mal einer Meinung: Das war gelungen. :mrgreen:
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von Theologe
#1145518
redlock hat geschrieben: Das hab ich in grauer Vor(internet)Zeit sogar im O-Ton gesehen. Und tatsächlich sind str1keteam und ich mal einer Meinung: Das war gelungen. :mrgreen:
Ich hatte den vor Jahren mal angefangen, als der im TV kam. Aber da wir in der Schule kurz davor die erste Version sahen, hatte ich irgendwie keine große Lust mehr und stellte ab. Auch weil ich John Boy nie mochte, auch 'ES' gucke ich seinetwegen ungern.
von Stefan
#1149139
Schaute eigentlich jemand weiter? Theo.. ?
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von Theologe
#1183948
little_big_man hat geschrieben:3 Monate später immer noch niemand zu Ende geschaut? Oder ist die Serie einfach nicht "der Rede wert"? :?:
Ich werde mich noch dieses Jahr darum kümmern, bisher hatte ich einfach keine Zeit und die erste Episode war so zäh, dass ich auch nicht sofort zum Weitergucken animiert war.
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von little_big_man
#1212492
Da sich niemand dazu geäussert hat, habe ich mir die Serie jetzt einfach mal angesehen. Von der Optik/Ausstattung her ist sie top, auch die Schauspieler sind toll und jede Szene für sich gesehen ist eigentlich auch wirklich gut. Nur leider haben sie Szenen zusammengesetzt für mich nicht wirklich ein Ganzes ergeben. Die Story plätscherte irgendwie so vor sich hin ohne wirkliche Höhepunkte...und war dann einfach irgendwann zu Ende.

Am ehesten vergleichen würde ich die Serie mit Mildred Pierce, welche ich etwa gleich beschrieben würde. Alle einzelnen Elemente sind top, aber am Ende bleibt trotzdem das Gefühl von "naja, das war jetzt also alles?" übrig...
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von Theologe
#1227828
Und nochmal 3 Monate Später habe ich es dann doch geschafft. Die erste Episode habe ich dann sicherheitshalber wiederholt, sonst wäre ich wohl nicht reingekommen.
Das Ergebnis nach 5 Episoden ist aber nicht groß anders. Die Erzählung ist unglaublich zäh und häufig hat man keinen genauen Überblick, wohin sich die Handlung jetzt entwickeln und was die bisherige Handlung eigentlich erzählen wollte.
Von mir gibt es definitiv keine Empfehlung.
redlock würde sich vermutlich noch vor Ende der ersten Folge einen Strick holen.
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von redlock
#1316739
Oops, das Ding hat einen eigenen tread. Also von Miniserien nach hier...

Parade's End oder ''Wie ich mir als Brite das Leben selbst zur Hölle mache'' – auf Arte als 6 Teiler gesendet.
Das ich bis zum Ende drangeblieben bin verwundert mich selbst leicht. Obwohl es hinreichend erklärt wurde konnte ich die Handlungsweise der männlichen Hauptfigur einfach nicht nachvollziehen. Da liegt wohl einfach ein zu großer Unterschied in Zeit und Nationalität vor.
Das zweite Problem, ich hab nicht verstanden, was die männliche Hauptfigur (gespielt vom aktuellen BBC Sherlock Holmes) an der Blondine (später in Recitify gecastet) fand. Die war einfach so...weißbrotmäßig. Die Rothaarige war doch die eindeutig interessantere Frau.
Diese Miniserie hatte was von ''Upstairs/Downstairs'' allerdings ging's nur um die Upstairs.
Was mir in Erinnerung bleiben wird war eine kleine Nebengeschichte: Die Versuche unseres Helden die kanadischen Truppen mit Feuerlöchern zu versorgen.
Unterm Strich war's mittelprächtige britische Historienkost, die leicht zäh und angestaubt wirkte. Dennoch reicht es für recht hohe: 6/10