little_big_man hat geschrieben:Trötenflöter hat geschrieben:Extrembeispiel: Es gibt 96 Kandidaten und 100 Wähler. Wählen von 100 Leuten 96 jeweils sich selbst und keinen anderen und von den 4 übrigen Wählern wählen jeweils 2 eine Person und bewerten den Rest komplett, dann entscheiden von 100 Wahlberechtigten nur noch 4 Personen wer letztlich gewinnt, weil alle anderen keine Reihenfolge festgelegt haben.
Und inwiefern ist bei diesem Beispiel das aktuelle System mit einer Stimme pro Person besser? Da kommt doch genau das gleiche heraus...nämlich dass die 2 Personen mit je 2 Stimmen gewinnen.
Na der Unterschied liegt doch auf der Hand. Während bei einer Mehrheitswahl jeder das gleiche Stimmgewicht hat, entscheiden hier zwar alle Personen darüber, dass nur 2 Personen überhaupt in die "engere Auswahl" kommen (das wäre bei einer Mehrheitswahl in der Tat genauso), doch wer von den beiden letztlich gewinnt, wird nur von 4 Personen entschieden.
AlphaOrange hat geschrieben:Damit hat jeder zu jeder Zeit exakt eine volle Stimme.
Ändert am Ergebnis gegenüber dem normalen Runoff allerdings genau gar nichts, ergo liegt keine Verringerung der Stimmkraft vor.
Siehe oben. Du implizierst automatisch, dass die 96 Personen ihre Stimmen (gleichmäßig zu 1/3 oder 1/2) auf die Kandidaten verteilen, obwohl sie keine Aussage über ihre Präferenzen getätigt haben. Somit legitimierst du die Stichwahl zwischen diesen beiden Personen, obwohl die Aussage der Stichwahl eigentlich etwa "96% Nichtbeteiligung, 3% für X, 1% für Y" ist. Man findet mit Sicherheit bessere Beispiele, die auch eine nachteilige Ergebnisverschiebung durch Nicht-Ordnen zulassen.
AlphaOrange hat geschrieben:Exakt. Aber das ist eine bewusste Entscheidung dieser 96 Personen. Und wie oben gezeigt keine Verringerung ihrer Stimmkraft.
Der Grund für die Nichtwahl liegt aber anders als z.B. bei einer Mehrheitswahl und das sollte man beachten. Wenn ich mit meiner Erststimme bei einer Landtagswahl die Kandidaten ranken müsste, wäre ich völlig überfordert, weil ich nur sehr wenige Kandidaten kenne. Ergo ordne ich entweder nach Gutdünken (was das Ergebns verzerrt, vielleicht ordne ich dann ja nur nach Namen oder nach Geschlecht) oder ich gebe nur einigen Personen meine Stimme, überlasse damit aber die Entscheidung bei Wegfall meiner favourisierten Kandidaten anderen Leuten (die vielleicht ihrerseits auch nicht mehr wissen und nur nach Namen oder Geschlecht ordnen) und verliere die Möglichkeit zwischen den verbliebenen Kandidaten zu entscheiden. Beides ist zwar eine bewusste Entscheidung, führt aber nicht dazu, dass die Ergebnisse eine faire Repräsentation liefern.
lbm hat geschrieben:Es gewinnt Kandidat B, obwohl über 50% der Wähler ihn nicht mögen, während 75% mit der Wahl von A glücklich oder zumindest zufrieden gewesen wären.
Darauf kommst du aber nur, weil du irgendwelche Prefärenzen annimmst, die im Voting gar nicht abgebildet sind. Ein Kandidat auf Rang 2 ist immer auf Rang 2, ob jetzt jemand auch mit Rang 2 leben kann oder nur Rang 1 akzeptiert ist doch jedem sein eigenes Toleranz-Problem. Nur weil einige überhaupt nicht mit Kompromissen leben können, heisst das ja nicht, dass das Votingsystem sich dem anpassen muss.
Deshalb heißt es auch "Beispiel". Allerdings war dieses Beispiel nicht einmal sonderlich weit hergeholt. Aber genau das ist doch das Problem des Systems. Es wertet eben nicht nach kardinalen Präferenzen, sondern nach ordinalen: Im Beispiel ist die Kompromisslösung nicht nur von Einzelnen ungewollt, sondern von der Mehrheit. Hier kann man also nicht sagen "euer Problem", da die Kompromisslösung nur gewählt werden musste, weil es noch schlechtere Alternativen gab. Das letztliche Ergebnis ist für die Mehrheit der Wähler schlechter als es z.B. durch eine Mehrheitswahl gewesen wäre.
Vielleicht verdeutlicht das auch
das Beispiel hier nochmal. Ich glaube niemand würde behaupten, dass "I" dort der beste Kompromiss für alle ist.
Man kann aber auch genügend Beispiele ohne Präferenzannahmen finden, wie ein Kompromiss schlechter sein kann. Siehe mein korrigiertes zweites Beispiel unten.
AlphaOrange hat geschrieben:Gleiches Spiel: Bitte korrekte Vergleiche ziehen!
63% der Wähler wollen C vor A sehen.
75% der Wähler wollen B vor C sehen.
63% der Wähler wollen A vor B sehen.
Also scheint auch unter diesem Kriterium die Wahl von A das optimal Mögliche zu sein.
Kann man nicht sagen, da keine eindeutige Dominanz ersichtlich ist. Das Beispiel hat so also tatsächlich keine Aussage. Daher Anpassung des Beispiels:
Gruppe I (4 Stimmen): 1. Kandidat A 2. Kandidat C 3. Kandidat B
Gruppe II (3 Stimmen): 1. Kandidat B 2. Kandidat C 3. Kandidat A
Gruppe III (2 Stimmen): 1. Kandidat C 2. Kandidat A 3. Kandidat B
56% wollen C vor A
66% wollen A vor B
66% wollen C vor B
Hier kann man jetzt sagen C>A>B. Einverstanden? Trotzdem gewinnt A. Ist A hier der optimale Kompromisskandidat?
AlphaOrange hat geschrieben:Beispiel: Völlig hypothetisch und aus der Luft gegriffen, haben wir zwei Lager, die sich nicht mögen und zwei Leute, die nicht lagerabhängig wählen, sowie Kandidaten B , der für sich selbst stimmt (zusammengefasst in Gruppe II).
Gruppe I (3 Stimmen): 1. Kandidat A 2. Kandidat B 3. Kandidat C
Gruppe II (3 Stimmen): 1. Kandidat B 2. Kandidat A 3. Kandidat C
Gruppe III (2 Stimmen): 1. Kandidat C 2. Kandidat B 3. Kandidat A
75% der Wähler wären mit A zumindest zufrieden gewesen.
100% der Wähler wären mit B mindestens zufrieden gewesen.
Das stimmt eben nicht so, da ich hier nicht von ordinalen Präferenzen rede, sondern von kardinalen und man daher nicht anhand des Wahlausgangs die Zufriedenheit der Leute mit der Wahl ablesen kann. Das ist ja genau meine Kritik.
Unter den Annahmen die ich oben aufstellte, waren hier eben nicht 100% mit B zufrieden (Gruppe II und III möchten B nicht, haben aber keine andere Wahl), sondern nur 37%, während 75% mit A zufrieden gewesen wären.
Bei einer solchen Bundestagswahl würde ich die Linke auch vor der MLPD positionieren. Würde die Linke jetzt tatsächlich als Kompromisskandidat gewählt werden, bin ich zwar froh, dass es nicht die MLPD geworden ist, dennoch fände ich den Wahlausgang völlig schrecklich und wäre absolut nicht einverstanden mit dem Kompromisskandidaten. Geht das, wie im Beispiel, der Mehrheit der Wähler so, obwohl es für eine Mehrheit einen besseren Kandidaten gegeben hätte, ist das System nicht gut.
AlphaOrange hat geschrieben:Beiden Systemen ist zumindest gemein, dass es keine Taktik gibt, die die eigene Siegchance erhöht
Stimmt nicht. Es gibt Möglichkeiten allein durch die Wahlreihenfolge den eigenen Siegkandidaten zu stärken, wenn man ungefähr den Wahlausgang abschätzen kann.
Beispiel:
Gruppe I (14 Stimmen): 1. Kandidat A 2. Kandidat B 3. Kandidat C
Gruppe II (7 Stimmen): 1. Kandidat B 2. Kandidat C 3. Kandidat A
Gruppe III (8 Stimmen): 1. Kandidat C 2. Kandidat A 3. Kandidat B
Kandidat C gewinnt knapp.
Wählen aber 3 Leute aus Gruppe I, also Leute die A favourisieren, stattdessen wie Gruppe II, gewinnt plötzlich A mit überwältigender Mehrheit, obwohl weniger Leute als vorher A an erster und mehr Leute an letzter Stelle haben. So kann man auf einem Umweg auch gegen einen Kandidaten stimmen.
AlphaOrange hat geschrieben:b) Jegliche Art gewichteter Stimmabgabe führt zwangsläufig dazu, meinem Favoriten meine komplette Stimmkraft geben zu müssen, um ihm nicht zu schaden - womit wir uns ein kompliziertes normales Mehrheitswahlrecht gebaut hätten.
Nicht, wenn man das Maximalgewicht begrenzt. Man hat z.B. 55 Punkte und darf die auf 10 Kandidaten verteilen, es darf aber nur einer maximal 10 Punkte erhalten, einer maximal 9 usw. und am Ende rechnet man die Summe jedes Kandidaten auf. Aber das wäre ohnehin wieder ein (anderes) Punktesystem mit eigenen Kritikpunkten, die hier ja auch schon vorgebracht wurden.