- Mi 30. Dez 2009, 16:16
#760237
Deadwood – Season 1
Spoiler enthalten!
1876: Das reichste Goldvorkommen der amerikanischen Geschichte zieht unzählige Abenteurer an, die hier nach Gold schürfen wollen. Auf den Indianergebieten der Black Hills von South Dakota wird ein Camp errichtet, ein Camp in dem keine Gesetze gelten, da es nicht auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten liegt: Deadwood!
Das was „Deadwood“ so interessant macht ist, dass es eine wahre Geschichte erzählt. Deadwood entstand zu dieser Zeit wie in der Serie gezeigt, und Deadwood gibt es auch heute noch, so tummelt sich hier auch eine beachtliche Anzahl an legendären Westernhelden. Der bekannteste dürfte wohl Wild Bill Hickhock sein, doch auch Seth Bullock, Calamity Jane, Jack McCall und Al Swearengen sind keine unbekannten Namen. Man hält sich hier sehr genau an die tatsächlichen Ereignisse, vor allem was den Mord an Wild Bill Hickhock angeht, das hat man wirklich sehr gelungen und detailgetreu rekonstruiert. Man mischt den historischen Begebenheiten natürlich auch etwas Fiktion unter, Alma Garett und ihr Mann beispielweise sind eine Erfindung der Autoren und basieren nicht auf historischen Figuren. Doch passen sich auch diese Elemente sehr gut in die Serie ein ohne je aufgesetzt oder fehl am Platze zu wirken. Zudem übertreibt man es nie mit den hinzugedichteten Handlungssträngen, sondern hält sich größtenteils an die Vorlage, was auch deutlich wird, wenn man sich die Besetzungsliste mal ansieht, locker 2/3 der Charaktere basieren auf einer historischen Figur.
Ich kann mich wirklich nicht als Westernfan bezeichnen, vielleicht sah ich nur die falschen Filme des Genres, aber mich nerven die ewigen Klischees, die hier über den Westen verbreitet werden, die verlogene Wildwest-Romantik, die lächerlich gemachten Revolver-Duelle und Vieles mehr. „Deadwood“ räumt mit all diesen Klischees rigoros auf und zeigt den Westen wie er wirklich war: Hart, rau und dreckig. Es wird von morgens bis Abends gesoffen und ohne Unterlass geflucht, es wird skrupellos und grausam gemordet, und das einzige Ziel das nahezu alle Charaktere verfolgen ist Überleben. „Deadwood“ wirkt zu jeder Sekunde absolut realistisch und glaubwürdig genau so wie hier dargestellt könnte das Leben im Westen ausgesehen haben. Die Atmosphäre der Serie ist somit auch ungemein authentisch geraten, die Stadt wirkt greifbar und lebendig. Was sehr auffällig ist, wie wenig in der Serie geritten und geschossen wird, über 10 abgegebene Schuss kommt die Season sicher nicht hinaus, wenn ich da an andere Western denke ... Das Tempo der Serie ist sehr gemächlich, hin und wieder drückt man mal auf die Tube, doch insgesamt ist das Tempo nur durchschnittlich, was jedoch gut zu der Serie passt, auch weil sie fast komplett ohne Längen auskommt und die Spannung stets auf einem beeindruckenden Niveau halten kann. Die Serie ist teilweise recht komplex, weshalb der Einstieg auch nicht sehr leicht fällt, da man gerade im Pilotfilm leicht den Überblick etwas verlieren kann und den einzelnen Handlungssträngen nur schwer folgen kann. Doch bald hat man sich in Deadwood eingefunden, lernt die Charaktere kennen und lieben, sodass die Serie einen hohen Suchtfaktor zu bieten hat, hat man erst mal in die Serie eingefunden, so ist es absolut falsch die Serie nach 2 oder 3 Folgen aufzugeben, da die Serie ihre Klasse erst nach und nach entfaltet. „Deadwood“ ist ein reinrassiges Serial, die Handlungsstränge erstrecken sich über die ganze Season und wohl auch darüber hinaus, jedoch verzichtet man komplett auf Cliffhanger, was nur zu begrüßen ist, da diese hier doch sehr künstlich und fehl am Platze gewirkt hätten. Ein bestimmtes Konzept ist nicht zu erkennen, außer vielleicht, dass jede Folge jeweils einen Tag in Deadwood zeigt. Die einzelnen Handlungsstränge sind teils sehr komplex, werden miteinander verwoben und tragen zum großen Ganzen bei: Der Entwicklung des Camps. Hier steckt für mich auch einer der wenigen Kritikpunkte, ich hätte es begrüßt, hätte man die Handlung der Serie 4-5 Monate früher gestartet, mit der wirklichen Gründung von Deadwood, ich hätte gerne gesehen wie das Camp errichtet wurde, wie es zu dem wurde was es zu Beginn der Serie bereits ist, ein doch schon recht gut organisiertes und ausgestattetes Camp, zudem hätte man etwas stärker auf die Goldgräber-Thematik eingehen können, die leider etwas in den Hintergrund gerät. Auch einige Handlungsstränge hätte man ruhig noch etwas besser ausarbeiten bzw. ausbauen können, wie z. B. die Geschichte mit den Pocken, man stellt die Krankheit fest, besorgt Impfstoff und bekämpft sie nach und nach, was man in wenigen Handlungsfetzen zu sehen bekommt, da hätte man locker noch etwas mehr bringen können, vor allem weil man der Story zu Beginn derart viel Beachtung schenkte, doch das ist Meckern auf hohem Niveau, „Deadwood“ ist ein komplexes, episches Meisterwerk, sodass kleinere Schwächen im Gesamtkontext kaum auffallen.
Was die Charaktere betrifft ist diese Serie mit das Beste, was es je zu sehen gab, alle Charaktere sind perfekt ausgearbeitet und geschrieben, obwohl man nicht den üblichen Freiraum hatte sondern sich an die historischen Vorbilder halten musste. Oder vielleicht auch deswegen. Interessant ist hier, dass es keinerlei Grenze zwischen Gut und Böse gibt, keiner der Charaktere ist durch und durch böse und keiner durch und durch auf der guten Seite, jeder hat Dreck am Stecken, aber auch jeder hat gute Seiten zu bieten. Solch eine Vielzahl großartiger Charaktere habe ich in noch keiner Serie erlebt, umso beeindruckender ist es da, dass es ein Charakter dennoch schafft hervorzustechen: Al Swearengen! Ohne Zweifel einer der besten Serien-Charaktere aller Zeiten, der, forscht man etwas nach wohl ziemlich dem echten Al Swearengen, wie er damals lebte ähnelt. Al ist ein Mistkerl, aber er ist kein verdammter Mistkerl, er ist der Chef des ganzen Camps, er zieht alle Fäden im Hintergrund und hat überall seine Hände im Spiel, betreibt einen Saloon und bietet Prostituierte an. Al Swearengen ist enorm vielschichtig gestaltet, er ist furchteinflößend, faszinierend, bewundernswert, sympathisch, gleichzeitig aber das fieseste Subjekt, was jemals die Leinwand betreten durfte. Dennoch aber muss man Al einfach mögen, es ist eigentlich nicht nachvollziehbar, warum man ihn mag, obwohl er reihenweise die schlimmsten Verbrechen die man sich nur vorstellen kann begeht und das an Charakteren die man eigentlich noch lieber mag, obwohl er arrogant, verlogen, falsch und hinterlistig ist, man mag ihn einfach obwohl man es nicht möchte. Vielleicht weil er tief im Inneren nicht so hart ist wie er sich gibt, obwohl er stets nur darauf aus ist sein Konto mit Geld zu füllen und ihm dabei jeder andere Mensch komplett egal zu sein scheint kümmert er sich um Impfstoff gegen die Pocken und scheint auch etwas für seine leibeigene Prostituierte Trixie übrig zu haben, zumindest scheint es zeitweise so. Er scheint die sicherste und vielleicht auch einzige Stütze zu sein, die Deadwood hat. Ein guter Charakter ist wahrlich nichts ohne einen guten Schauspieler hier hat die Serie Ian McShane zu bieten, der hier zweifellos die Rolle seines Lebens spielt. Er verleiht Al unheimlich viel Tiefe, spielt ihn mit viel schwarzem Humor, cool, und charismatisch, besser kann man diesen einzigartigen Charakter nicht rüberbringen. Bevor mir jetzt die Superlative ausgehen, nur noch ein: Perfekt. Al ist wirklich der interessanteste, außergewöhnlichste und beste Serien-Charakter, den ich je erleben konnte, ich freue mich darauf ihn noch 2 Seasons zu erleben, und hoffe dass die Autoren ihn so genial weiterführen.
Rund um Al versammeln sich – wie schon erwähnt – nicht minder interessante Figuren, geschichtlich gesehen wäre da vor allem der legendäre Revolverheld Wild Bill Hickhock, der anfangs die einzige komplett sympathische Figur zu sein scheint, dass er die erste Season nicht überleben würde war natürlich leider klar, schließlich wurde er 1876, in diesem Jahr spielt Season 1 in Deadwood erschossen, so ist es nicht der Charakter an sich, sondern seine Geschichte nach dem Tod die so interessant sind. Die Vorgeschichte zu dem Mord an Hickhock wurde gut erzählt, der Mord detailgetreu nachgestellt (Vielleicht sagt jemanden „Dead Men’s Hand“ etwas, beim Poker besteht diese aus zwei Achten, zwei Assen aus Pik und Kreuz, es waren die Karten, die Hickhock als er ermordet wurde in den Händen hielt) ebenso der Prozess, um Jack McCall, Hickhocks Märder, der zuerst in Deadwood vor einem ausgelosten Gericht – Gesetzte gibt es ja keine – für unschuldig befunden wurde Wochen später jedoch gehängt wurde. Brillant erzählt und unheimlich interessant anzusehen, wahre Geschichten sind einfach am spannendsten. Lediglich wie mit McCall verfahren wurde hätte man noch etwas genauer zeigen können – dass er gehängt wurde ist zwar offensichtlich wird aber in der Serie nie eindeutig erwähnt. Eine weitere Hauptfigur wäre Seth Bullock, der während der Season die wohl interessanteste Entwicklung durchmacht und auch sehr gut geschrieben ist, jedoch etwas unter Timothy Olyphant leidet. Olyphant enttäuschte bereits als Bad Boy in „Live Free or Die Hard“ sehr, sowohl auch als „Hitman“ im gleichnamigen Film, auch hier finded er nie wirklich in seine Rolle und bleibt erschreckend blass, er wird von jedem noch so unwichtigen Nebendarsteller gnadenlos an die Wand gespielt. Olyphant ist auf alle Fälle eines der größeren Mankos von „Deadwood“, wenn ein derart wichtiger Charakter derart farblos und langweilig gespielt wird und das umgeben von einem ansonsten grandiosen Cast ist das eigentlich tödlich, hier wird das jedoch halbwegs gerettet, da Bullock nur einer von vielen wichtigen Figuren ist. Doch wird man mit Bullock, einem Charakter, der verhältnismäßig wenig Dreck am Stecken hat und deswegen eigentlich sympathisch sein sollte nie richtig warm, sondern sympathisiert eher mit Al Swearengen. Eine weitere Hauptfigur ist Cy Tolliver der auf der historischen Figur des Tom Miller beruht, er taucht jedoch erst in der 3. Folge auf und eröffnet gegenüber von Al’s Saloon einen Weiteren (woraufhin Al um die Gäste in seinen Saloon zu locken gleich mal ein Klavier bestellt was in der 9. Folge in einer grandios witzigen Szene gipfelt :lol: ). Man könnte meinen Al und Cy seien die schärfsten Konkurrenten, doch ihr Verhältnis wird nie klar, und ist ungemein interessant zu beobachten, da man einmal das Gefühl hat die Beiden würden sich Gegenseitig akzeptieren, das andere Mal aber könnte man vermuten, dass die Beiden nur auf gut Wetter machen, insgeheim jedoch Pläne schmieden um den anderen fertig zu machen, es ist wohl eine Mischung aus Beidem. So wartet man immer auf den großen Knall, der aber einfach nicht kommen will. Noch nicht. Cy Tolliver ist im Gegensatz zu Al nur unsympathisch, spätestens nach der Aktion mit den Kindern die ich sehr heftig fand doch auch vorher ist Cy schleimig, arrogant und unsympathisch. Gut, dass ist Al auch, aber eben anders, aber das erwähnte ich ja bereits, (im Grunde ist Cy, rechnet man seine Schandtaten zusammen und vergleicht man sie mit denen von Al ein Gutmensch. :lol: ) Cy ist jedoch ein ebenso interessant geschriebener Charakter, da er komplett undurchsichtig ist, seine Absichten werden nie klar, doch ist er ähnlich veranlagt wie Al Swearengen. Er wird auch ausgezeichnet gespielt von Poowers Boothe, kommt gegen seinen direkten Gegenspieler jedoch nie an. Mit Calamity Jane findet man sogar noch eine berühmte Western-Heldin in der Serie wieder. Jane ist der Knaller schlechthin, sie säuft den ganzen Tag, flucht ohne Unterlass und ist einfach richtig cool. Ihre Sprüche rocken teils richtig, etwa wenn sie Al Swearengen einen „Nut.ten-Dompteur nennt. Sie ist übrigens neben der fiktiven Figur Alma Garett die einzige Frau in der Serie, die keine Prostituierte ist, der Serie wurde ja oft Frauenfeindlichkeit vorgeworfen, was ich ziemlich lächerlich finde, da die Stellung der Frauen absolut historisch korrekt ist, man schwächte die krasse Darstellung mit dem fiktiven Charakter Alma Garett sogar noch ab, so hat man immerhin eine Frau, die eine halbwegs wichtige Rolle einnimmt. Calamity Jane ist ein enorm kultiger und sympathischer Charakter, auch weil auch sie nicht so hart ist wie sie zu glauben scheint. Sehr eindrucksvoll ist hier z. B. ihre erste Begegnung mit Nut.ten-Dompteur Al Swearengen, der sie durch seine pure Anwesenheit fast lähmt. Doch auch der Tod von Wild Bill Hickhock setzt ihr schwer zu auch wenn sie das nach außen nicht zugeben will, abermals sehr gut ausgearbeiteter und grandios gespielter Charakter, von dem man in den folgenden Seasons hoffentlich noch mehr zu sehen bekommt. Zudem bietet die Serie eine Vielzahl weiterer grandios geschriebene Charaktere, wie Trixie, Sol Star, den Doc und vor allem den Reverend Smith, sie alle bekommen ihre eigenen kleinen Geschichten, die wunderbar mit den großen Storylines verstrickt werden.
Was anfangs etwas erstaunt ist die Ausdrucksweise der Charaktere, es kommt wirklich kaum ein Satz ohne einen Fluch über die Lippen, was zwar teilweise etwas merkwürdig wirkt, doch einfach wunderbar zu den Charakteren passt und wohl auch sehr realistisch ist. Eine Calamity Jane, die in der Serie nur lupenreine Sätze von sich geben würde wäre beispielsweise völlig unglaubwürdig. Daran kann man sich durchaus stören, jedoch ist es nur konsequent die realistische Darstellung des Westens auch in die Sprache mit einzubringen. Trotz der Vielzahl an Flüchen sind die Dialoge richtig stillvoll und außergewöhnlich, teilweise haben sie schon fast eine poetische und philosophische Wirkung, was zwar nur schwer vorzustellen ist, dennoch stellt sich dieses Gefühl sehr oft ein, etwa wenn der Doc bezüglich des Reverend zu Gott spricht, ist das einfach nur eindrucksvoll und es stimmt sehr nachdenklich. Auch was die Darstellung von Sex und Gewalt angeht nimmt man kein Blatt vor den Mund, wir sind ja schließlich im Pay-TV bei HBO, da ist das erlaubt. Wenn etwa mal wieder Leichen von Mr. Wus Schweinen verspeist werden hält die Kamera recht moderat drauf und auch bei den Sexszenen hält die Kamera voll drauf. Ein weiteres Plus der Serie ist der großartige Score, der zwar sparsam eingesetzt wird, jedoch immer passend, wirkt der Score wuchtig und passt sich sehr gut an. Auch der Vorspann ist ein Meisterwerk, trotz der Dauer von 1:30 Minuten verspürt man nie das Bedürfnis ihn zu überspringen, zu beeindruckend sind die sehr edlen Bilder und vor allem die Titelmelodie, die fantastisch gewählt wurde, sie brennt sich sofort ins Gehirn ein, man wird sie so schnell nicht wieder los.
Man sieht der Serie zu jeder Sekunde an, dass HBO eine ordentliche Stange Geld hinlegen musste, sie gehört zweifellos zu den hochwertigsten TV-Serien überhaupt, die Kulissen sind sehr aufwendig und liebevoll gestaltet, auch optisch wirkt die Serie sehr, sehr edel und stillvoll, die Kostüme sind aufwendig gestaltet. Man hält sich was die Produktion angeht streng an die damaligen Verhältnisse und an die wenigen Fotografien die es von Deadwood aus dieser Zeit gibt, was vor allem auffällt, wenn man sich Al Swearengens „Jem“ ansieht.
Insgesamt rauer, dreckiger und sehr realistischer Abgesang auf den Wilden Westen. Dass die Serie eine wahre Geschichte erzählt ist ein sehr großes Plus, die Westernatmosphäre transportiert man sehr gut auf die heimischen Bildschirme, die üblichen dummen Genre-Klischees wirft man gnadenlos über Bord, die Serie wirkt authentisch, jeder einzelne Charakter ist ein Meisterwerk besonders Al Swearengen, der einer der besten Serien-Charaktere überhaupt ist, das Produktionsniveau ist außerordentlich hoch, die Schauspieler mit Ausnahme von Timothy Olyphant, der den Gesamteindruck doch etwas trübt sind Weltklasse. Die Stories sind meist gut ausgearbeitet und komplex miteinander verstrickt, die raue, auf der anderen Seite jedoch sehr stillvolle und poetische Ausdrucksweise passt super zu der Serie. Auf den Punkt gebracht: Ein absolutes Meisterwerk von HBO, welches man unbedingt gesehen haben muss, man sollte nur nicht den Fehler machen nach 3 Folgen aufzugeben, da der Einstig in die Serie nicht sehr leicht ist und sie ihre Klasse erst nach und nach entfaltet. Zudem muss man wirklich kein Western-Fan sein um die Serie zu mögen, da sie mit klassischen Western nicht besonders viel gemeinsam hat.
9/10 Punkte.
